K. R. Jaylin

Todestanz


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sein Leben wirklich in Gefahr brachte. Diese Tatsache erschien ihm unerträglich, denn er sehnte sich nach seinem Freund aus tiefstem Herzen, wie unheilvoll und undurchschaubar dieser auch war. Dessen offensichtliche Zurückweisung erdrückte ihn schier und so fühlte er sich einsamer als je zuvor.

      Die Ballnacht war sternenklar und von einer leichten Brise durchzogen. Viele nervöse junge Frauen befanden sich unter den Gästen und Leonard, vor dem die wahren Absichten seiner Eltern zwar geheim gehalten worden waren, der sie sich jedoch ganz gut selbst zusammenreimen konnte, sah diesem Abend mit Grauen entgegen.

      Nur widerwillig ließ er sich in den Saal führen, der bei seiner Ankunft von einem aufgeregten Geflüster erfasst wurde. Leonard nahm Platz und vermied es lange, in die erwartungsvollen Gesichter der Menschen zu blicken. Doch schließlich trat Jonah zu ihm und schleppte ihn hinaus auf den Balkon, wo er schon bald in Gespräche mit allen möglichen Adelsmännern verstrickt war; natürlich hatte jeder von ihnen nur ein Ziel vor Augen, nämlich so bald wie möglich das Gespräch auf seine Tochter zu lenken und ihre Vorzüge ebenso wie ihre Schönheit anzupreisen. Leonard lächelte gequält und folgte nur unter größter Anstrengung den Regeln der Etikette, zwang sich zu Tänzen mit unzähligen Mädchen und nutzte schließlich gegen Mitternacht einen Moment, in dem er unbeobachtet war und entfloh in eine dunkle Ecke des Balkons. Doch da war schon jemand.

      „Oh, entschuldigen Sie, Hoheit, ich habe Sie nicht kommen sehen!“

      Verblüfft starrte er in das wunderschöne Gesicht einer jungen Frau, welche nicht minder überrascht aussah als er. Augenblicklich beschleunigte sich sein Herzschlag, und er beeilte sich zu antworten:

      „Nicht doch, ich bitte vielmehr um Vergebung, dass ich so ungalant hierher gestürzt bin.“

      Sie lächelte ein wenig scheu und strich ihre langen, rotblonden Locken zurück.

      „Nachdem man Sie den ganzen Abend über praktisch nicht einen Moment hat Luft schnappen lassen, kann ich Ihre Eile verstehen.“

       Er wusste nicht, was er sagen sollte, denn ihr unerwarteter Anblick hatte ihn vollkommen verwirrt. Ein peinliches Schweigen trat ein, welches sie schließlich beendete.

      „Entschuldigen Sie mich, Hoheit, aber meine Eltern wissen nicht, wohin ich verschwunden bin und ich möchte nicht, dass sie sich unnötig sorgen.“

      Er nickte nur widerwillig und mit einem Knicks ließ sie ihn allein zurück. Er sah ihr nach und murmelte:

      „Wunderschön …“

      Da tauchte Jonah lächelnd neben ihm auf.

      „Ja, sie ist ganz bezaubernd, nicht wahr? Unter uns, mein Lieber: wenn du sie willst, solltest du schnell sein. Ich habe bemerkt, dass sie so manchen Blick auf sich zieht und der junge Graf Lohens kann seine Augen partout nicht von ihr lassen.“

      Leonard seufzte schwer und wandte sich ab.

      „Selbst wenn ich mich in sie verlieben würde, was könnte ich ihr schon bieten?“

      Verblüfft sah Jonah ihn an.

      „Du beliebst zu scherzen, verehrter Cousin. Wer könnte einem Mädchen mehr bieten als der Kronprinz selbst?“

      Doch Leonard winkte ab, wenngleich sein Blick erneut in den Saal schweifte, wo er das Mädchen nun beim Tanz mit besagtem Grafen sehen konnte.

      „Ich rede von mehr als materiellen Dingen, Jonah. Sieh mich doch nur an. Ich bin gerade 22 und doch schon halbtot. Ich bin in einem Leben gefangen, welches mir nicht erlaubt zu leben. Wie könnte ich da einer jungen Frau voller Lebenslust zumuten, den goldenen Käfig mit mir zu teilen, wo er mich doch schon selbst umbringt?“

      Deprimiert drehte er sich erneut um, doch Jonah packte ihn entschlossen an den Schultern und zog ihn zurück Richtung Saal.

      „Schluss mit dem Gejammer, mein Freund. Ein schönes Mädchen an deiner Seite wird selbst dir die Freude am Leben zurückbringen, darauf gebe ich dir mein Wort. Und wer weiß, vielleicht schafft sie es ja, den Käfig genügend zu vergrößern, so dass er euch nicht erstickt. Du solltest es in jedem Fall in Erwägung ziehen und deshalb …“

      Sie waren nun wieder im Inneren des Palastes und Jonah gab dem irritierten Kronprinzen einen aufmunternden Stoß vorwärts.

      „… wirst du jetzt dahin gehen und diesen eitlen Pfau von der schönen Celicia vertreiben. Nur Mut, sie wird gewiss nicht nein sagen.“

      Seine Augen schweiften zum wiederholten Male von seinem selbst erwählten Schützling zu dem Mädchen, welches seit Mitternacht ununterbrochen an seiner Seite war. Er war verwirrt, denn ihr Anblick weckte Empfindungen in ihm, welche er weder begreifen noch erklären konnte. Alles, was er wusste, war, dass sie ihn faszinierte.

      Zunächst war er ziemlich ungehalten über ihr Erscheinen gewesen, da es Leonard aus dem demütigen, verzweifelten Zustand riss, in den er ihn sorgfältig geführt hatte. Mit großer Befriedigung hatte er in den vergangenen Wochen beobachtet, wie der Prinz sich selbst mehr und mehr verlor. Seine Zurückweisung hatte die Ängste in dem jungen Mann geweckt, der in seiner gesamten Kindheit nie wirkliche Liebe zu spüren bekommen hatte; nur sein geheimnisvoller Freund war immer für ihn da gewesen, wann immer er in Not gewesen war oder sich einfach nur einsam und verloren gefühlt hatte. Der Plan war aufgegangen, denn der Prinz war mehr und mehr in Abhängigkeit seines Vertrauten geraten.

      Doch nun lagen die Dinge anders. Er hatte vorgehabt, sich dem Prinzen an diesem Abend wieder zu zeigen und ihn zurück in seine Arme zu führen, jedoch war er sich nun nicht mehr sicher, ob es gelingen würde. Darum entschied er sich schließlich dazu, bis zum nächsten Morgen zu warten. Er würde die Dinge ein wenig anders angehen müssen, nun, da die Nähe des Mädchens dem Kronprinzen neuen Lebensmut gab.

      Er verhielt sich deshalb weiterhin still und entschwand schließlich in die dunklen Gemächer des Westflügels, wo er einfach wartete. Er wusste, es würde nicht lange dauern und tatsächlich, schon nach wenigen Minuten öffneten sich die Türen und die Königin trat ein, bereits in ihr Nachtgewand gehüllt und mit einem erschöpften Ausdruck auf dem nicht mehr ganz so jungen Gesicht. Als sie gerade die Decke zurückschlug, sagte er:

      „Ist es nicht faszinierend zu beobachten, wie die Dinge sich entwickeln?“

      Eleonore wirbelte sogleich herum und er trat gelassen ins Licht des Mondes, welches durch die großen Fenster fiel. Sie rang sichtlich um Fassung und fuhr ihn an:

      „Was willst du hier?“

      Er lächelte kühl.

      „Wie ich sehe, sind die Jahre nicht spurlos an dir vorübergegangen, meine Liebe. Das Alter ist zu niemandem gnädig, nicht einmal zu einer Königin. Vielleicht hättest du doch lieber mit mir kommen sollen, als deine Haut noch zart und rosig war und keine grauen Haare deinen dunklen Schopf durchzogen.“

      Er wusste, dass er sie am besten bei ihrer Eitelkeit packen konnte und das Lächeln vertiefte sich, als sie sogleich darauf einging.

      „Rede gefälligst nicht in diesem Ton mit mir! Ich mag vielleicht keine 20 mehr sein, doch kann ich durchaus von mir behaupten…!“

       Er unterbrach sie scheinbar gelangweilt, während er durchs Zimmer schlenderte.

      „Im Vergleich zu dem Mädchen, welches den Blick des Prinzen auf sich gezogen hat, bist du nichts als eine alte Frau. Aber es ist gut für ihn, nicht wahr? So kann er meinen Klauen noch eine Weile entgehen, denn er wird nun wohl nicht mehr von selbst zu mir kommen wollen.“

      Eleonores Haltung versteifte sich.

      „Du hast es also immer noch auf mich und meine Familie abgesehen! Ich wusste es!“

      Der Tod wandte sich ihr mit einem hässlichen Ausdruck auf dem sonst so schönen Gesicht zu.

      „Dachtest du, ich würde auch nur einen von ihnen verschonen, nachdem du mich herausgefordert hast? Ich werde dir das nehmen, was dir am meisten bedeutet, Eleonore! Und das ist dein Sohn! Sperr ihn ruhig ein, so oft du willst, irgendwann wirst du nicht da sein und dann werde ich ihn erwarten! Gib ihm