K. R. Jaylin

Todestanz


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      „Du warst am Abend meiner Ankunft nachts auf meinem Balkon!“

      Er lächelte nicht, sondern sah sie mitfühlend an.

      „Das stimmt, denn ich spürte deine Verwirrung, Celicia. Du bist nicht für ein solches Leben gemacht, in dem dir jeder sagt, was du tun sollst und was nicht. Du hast es nicht verdient, dass jemand dich herumstößt, nur um dich dafür zu strafen, dass du lebst.“

      Sie fröstelte und wandte sich ab.

      „Ich komme zurecht.“

      Doch er legte behutsam eine Hand unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht wieder dem seinen zu. Celicia erschauerte unter dieser Berührung und spürte, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte. Die offensichtliche Sorge um ihr Wohlergehen rührte sie und aus irgendeinem Grund fühlte sie sich zu dem Fremden hingezogen. Ohne dass sie begreifen konnte, was sie eigentlich tat, sank sie mit einem Mal nach vorn und verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

      Seine Arme legten sich behutsam um sie und leise sagte er:

      „Weine ruhig, wenn es dich befreit, mein Liebes. Ich bin gekommen, um dich zu trösten, darum ruhe dich nun in meinen Armen aus. Hier wird dich niemand finden.“

      Sie nickte stumm, während Tränen ihre Wangen hinunterliefen und sie erschöpft die Augen schloss. Seine Nähe tat ihr gut und sie fühlte sich sicher und geborgen, als wäre sie wirklich unerreichbar für die Welt um sie herum. Ohne es zu merken, glitt sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf, und als sie die Augen schließlich wieder aufschlug, lag sie in ihrem eigenen Bett. Blasses Sonnenlicht fiel auf den Boden und sie brauchte einen Moment, um zu begreifen, wo sie war. Verwirrt richtete sie sich auf, und als ihr Blick an das Ende des Bettes fiel, beschleunigte sich ihr Herzschlag erneut. Dort saß der fremde Mann und beugte sich nun vor, da sie sich rührte.

      „Es wurde wirklich Zeit, dass du wieder zu dir kommst. Ich war schon fast in Sorge um dich.“

      Er lächelte sanft und sie spürte, wie sie errötete. Verlegen stammelte sie:

      „Es tut mir leid, ich war so müde, ich …“

      Doch er legte eine Hand an ihre Wange, woraufhin sie verstummte. Erst jetzt bemerkte sie, dass seine Haut sich seltsam kühl anfühlte und erschauerte bei dieser Erkenntnis. Mit einfühlsamer Stimme meinte er:

      „Sei nun nicht mehr verzweifelt. Wann immer du mich brauchst, werde ich zu dir kommen und dich von hier fortführen, fort aus Raum und Zeit, so wie heut Nacht. Dort wirst du sicher sein vor all der Grausamkeit in dieser Welt.“

      Jetzt, da sie wieder klaren Verstandes war, erwachte bei seinen Worten ihr Misstrauen und sie fragte mit zitternder Stimme:

      „Wer bist du? Wie bist du unbemerkt auf meinen Balkon gekommen? Und wie hast du es geschafft, mich hierher in mein Gemach zu bringen, ohne meine Amme aufzuscheuchen? Denn sie hätte es niemals zugelassen, dass ein anderer Mann als Leonard an meinem Bett wacht! Oh Gott, wenn er je von dir erfahren sollte …!“

      Da erhob er sich und erwiderte ruhig:

      „Den Prinzen würde dies nicht beunruhigen, denn er ist, wie ich ihn haben will. Und du denke stets an meine Worte, Celicia: Freiheit gibt es nicht ohne mich. Deine Sehnsucht wird dich erneut zu mir führen, ob du es willst oder nicht. Und ich werde da sein, um dich aufzufangen und zu trösten, zu jeder Zeit und an jedem Ort. Ich werde immer zu dir finden.“

      Mit diesen Worten trat er hinaus auf den Balkon, und als Celicia ihm folgte, um sich zu empören, war er bereits verschwunden.

      In den nächsten Tagen versuchte Celicia, nicht mehr an diese Begegnung zu denken und stattdessen weiter die Stunden durchzustehen, in denen man sie streng beaufsichtigte. Leonard bemühte sich, sie aufzumuntern und unternahm einige Ausflüge mit ihr. Es gelang ihm, sie zum Lachen zu bringen und ihr durch kleine Geschenke Freude zu bereiten, doch jedes Mal, wenn er sie aus den Gemächern seiner Mutter kommen sah, versetzte ihr kummervoller Blick seinem Herzen einen furchtbaren Stich. So wurde er erneut rastlos und verließ eines Nachts, als er nicht schlafen konnte, sein Zimmer, um draußen durch den dunklen Park zu wandern. Er suchte Zerstreuung, doch sie blieb ihm verwehrt. Wütend über sich selbst rammte er seine Faust schließlich gegen einen Baum und sank zu Boden.

      „Was bin ich nur für ein Narr! Ich ziehe sie in mein Elend hinein und kann sie nicht davor bewahren, unglücklich zu sein!“

      Er atmete schwer und vergrub das Gesicht in seiner Armbeuge.

      „Wenn du es so genau weißt, warum sitzt du dann hier und versuchst nicht, die Dinge zu ändern?“

      Ruckartig hob er den Kopf und war erleichtert, den Tod zu erblicken. Dieser stand in würdevoller Haltung zwischen den Bäumen und sah ihn mit hochgezogenen Brauen an. Leonard antwortete deprimiert:

      „Wie soll ich es denn ändern? Ich konnte doch mich selbst schon nicht befreien.“

      Der Tod kam ein wenig näher, während er sagte:

      „Sie ist nicht wie du, Leonard. Sie sucht nicht dasselbe, was du dein Leben lang begehrt hast.“

      Verwirrt starrte der Prinz ihn an.

      „Was meinst du damit?“

      Der Tod ließ sich neben ihm nieder und neigte den Kopf abschätzig zur Seite.

      „Denke einfach darüber nach, mein Lieber. Du wolltest von deiner Mutter geliebt werden, doch sie hat dich stets auf Distanz gehalten. Celicia dagegen wuchs wohlbehütet in liebevoller Umgebung auf. Deshalb konnte sie dich auch vom ersten Moment an so vorbehaltlos lieben, dass es dein Herz erwärmt hat. Und während du stets von der Königin zurückgehalten und letztendlich sogar unterdrückt wurdest, war das Mädchen frei und ungebunden. Sie konnte nach draußen in die Freiheit, wann immer sie wollte, konnte sich Freunde suchen, mit denen sie ihre Kindheit verbrachte. Sie konnte sich ungehindert entfalten und beweisen, doch du durftest nicht einmal hinaus, weshalb du dich am Ende heimlich davongeschlichen hast.“

      Leonard ergriff seinen Arm.

      „Und dadurch fand ich dich; ich habe also Grund, dankbar zu sein.“

      Dies entlockte dem Tod ein Lächeln.

      „Wie ich sehe, weißt du meine Zeit und Zuneigung zu schätzen, das freut mich.“

      Er legte daraufhin eine Hand auf Leonards Schulter und drückte diese so fest, dass es beinahe schmerzte.

      „Du musst begreifen, dass nichts so ist, wie es zu sein scheint. Celicia ist mit Sicherheit stark genug, um gegen die Königin zu bestehen; wenn du ihr das Leben erleichtern willst, finde endlich einen Weg, deine Mutter mit der Situation zu versöhnen. Dies ist letztendlich alles, was du für das Mädchen tun kannst.“

      Verzweifelt ließ Leonard die Schultern sinken.

      „Wenn ich nur wüsste, wie ich das erreichen soll. Seit Monaten versuche ich bereits, sie zu beschwichtigen, aber sie lässt mich nicht an sich heran. Zwischen uns steht eine Wand und sie ist sehr bedacht darauf, diese aufrechtzuerhalten.“

      Er ließ mutlos den Kopf gegen die Brust seines Freundes sinken.

      „Manchmal wünschte ich, ich könnte dies alles noch immer einfach beenden, ohne an andere denken zu müssen.“

      Der Tod verstand nur allzu gut, was er mit diesen Worten sagen wollte und zog den Prinzen impulsiv zu sich, um ihn durch seine Nähe zu trösten.

      „Du weißt, wie gern ich dich erlösen würde, Leonard; du hättest es verdient, diese Welt hinter dir zu lassen und mir in die andere, bessere Wirklichkeit zu folgen. Doch bin ich nicht überzeugt, dass du es wirklich willst und aus diesem Grunde werde ich dich auch wieder aus meiner Umarmung freigeben, sobald du dich gefangen hast. Für den Moment bist du sicher, denn ich werde dich nicht verlassen. Ruhe dich aus und finde deinen Mut, deine Kraft, um den nächsten Tag zu überstehen.“

      Leonard nickte und schloss erschöpft die Augen.

      „Ohne dich wäre ich verloren, mein Freund. Ohne dich gäbe es für mich