K. R. Jaylin

Todestanz


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von eiligen Rufen und schließlich einem lauten Klopfen aufgeschreckt worden.

      Sie schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Man hatte den Prinzen bewusstlos im Garten gefunden und in der folgenden Nacht war sein Körper von Fieberkrämpfen geschüttelt worden, welche am Tage nachließen, ihn bei der Dämmerung jedoch wieder ergriffen. Inzwischen war bereits die achte Nacht vorüber, in der er sich hin und her geworfen, sinnlose Sätze von sich gegeben hatte und nicht erkennen konnte, wer bei ihm war.

      In diesem Moment öffnete sich die Tür und Eleonore trat ein. Als sie Celicias blasses, gequältes Gesicht sah, wurde der Gesichtsausdruck der Königin milde und sie sagte:

      „Geh und ruhe dich aus, Kind. Ich werde nun eine Weile über ihn wachen. Du musst ein wenig Schlaf finden.“

      Celicia zögerte, ehe sie sich langsam erhob.

      „Vielleicht haben Sie recht, Majestät. Ich sollte wirklich …“

      Sie verstummte und kämpfte gegen Tränen, behielt mühsam ihre Fassung und fuhr fort:

      „Ich danke Ihnen, bitte achten Sie gut auf ihn.“

      Eleonore nickte würdevoll.

      „Natürlich.“

       Damit verneigte Celicia sich mit zittrigen Knien und verließ das Zimmer. Sie schleppte sich mühsam zu ihrem eigenen Gemach und lehnte sich dort erschöpft gegen die Tür, kaum dass diese sich geschlossen hatte. Tränen verschleierten erneut ihren Blick und sie schlug die Hände vors Gesicht.

      „Hab keine Angst, er wird bald wieder gesund sein, Celicia.“

      Wie betäubt hob sie den Blick und erkannte den Tod, welcher auf ihrem Sofa saß, die langen Beine ausgestreckt und mit einem mitfühlenden Ausdruck in den sonst so kalten Augen. Unsicher stand Celicia an der Tür und wusste nicht, was sie nun tun sollte. Da streckte der Tod einladend die Hand nach ihr aus, und ehe sie sich selbst zurückhalten konnte, hatte sie bereits das Zimmer durchquert und sank neben ihm zu Boden. Er zog sie nah zu sich und legte besänftigend die Arme um sie.

      „Weine nicht mehr, mein Liebes. Der Kronprinz mag geschwächt sein, doch er wird diese Welt nicht verlassen. Seine Zeit ist noch nicht gekommen.“

      Sie vergrub zitternd ihr Gesicht an seiner Brust und schluchzte:

      „Oh Gott sei Dank, ich dachte, er würde mich für immer verlassen, noch ehe wir wirklich zusammen sein konnten!“

      Ihre Hände krallten sich in den dunklen Stoff seines Hemdes und er sagte mit leiser Stimme:

      „Ich halte dich, Celicia. Für heute hast du genug durchlitten, drum lass mich bei dir sein. Ich werde dir nah sein und dir die nötige Kraft geben, dies alles zu überstehen. In meinen Armen wird jeder Kummer schwinden und die Sonne der Nacht weichen. Schlafe, mein Liebes. Lass die Welt versinken und gib dich der Dunkelheit hin, um dich zu erholen. Ich werde bei dir bleiben und über deinen Schlaf wachen.“

      Normalerweise hätte sie sich dagegen gesträubt, doch sie war zu erschöpft und aufgewühlt; vielmehr empfand sie nun tiefe Dankbarkeit für die Ruhe und Kraft, welche er ausstrahlte und das tiefe Gefühl von Geborgenheit, das nur er ihr geben konnte. So schloss sie die Augen und er spürte, wie ihr Körper schwer wurde. Darum richtete er sich auf und hob sie in seine Arme, trug sie hinüber zum Bett und ließ sich neben ihr nieder. Nachdenklich betrachtete er ihre schlafende Gestalt in seinen Armen und flüsterte:

      „Warum nur bist du so stolz und doch so lieblich, so schön und doch so kalt, so stark und doch so verletzlich? Warum kannst du mich zurückweisen, mich demütigen und mich verachten, obwohl du mich liebst? Wieso zwingst du mich, selbst ein solch menschliches Gefühl der Zuneigung zu empfinden?“

      Er fuhr mit der rechten Hand langsam über ihr Gesicht, ihre Schulter und ihre Hüfte, wobei er den Blick auf ihr Gesicht gerichtet hielt und sich ganz der Empfindung hingab, die ihn in ihrer Nähe erfüllte. Er atmete tief durch und wandte sich dann von ihr ab, um sich langsam zu erheben. Mit einem letzten Blick auf sie verschwand er aus ihrem Gemach und ließ sie allein im Schutze seiner Todesengel zurück.

      Seit langem hatte Eleonore sich nicht mehr so verzweifelt gefühlt; es war, als sähe sie bereits die Klauen des Todes nach ihrem Sohn greifen und sie wusste nicht, wie sie ihn retten sollte. Und zum ersten Mal seit der Ankunft des Mädchens hatte Eleonore beinahe so etwas wie Mitgefühl und Zuneigung empfunden, als sie erkannte, wie groß die Sorge Celicias war und dass sie nicht von Leonards Seite weichen wollte.

      Während sie nun neben ihrem bewusstlosen Sohn saß und darüber nachdachte, wie es nur weitergehen sollte, erklang mit einem Mal die leise Stimme hinter ihr, vor der sie sich bereits gefürchtet hatte.

      „Alles kommt, wie es kommen muss, Eleonore. So wie ich es dir stets gesagt habe.“

      Sie drehte den Kopf zitternd zur Seite und entgegnete:

      „Was willst du noch? Bist du gekommen, um mir mein Kind zu entreißen? Willst du mir dadurch den Todesstoß versetzen? Wenn du ihn mir nimmst, wird auch mein Leben zu Ende sein!“

      Der Tod trat langsam ans Fenster.

      „Und warum wird es zu Ende sein, Eleonore? Weil du dann wertlos bist? Oder weil es dein kaltes Herz zerreißen würde?“

      Sie schluckte schwer und wandte den Blick ab.

      „Es würde mein Herz in tausend Scherben bersten lassen, es würde meinem Leben den letzten Sinn nehmen. Darum wäre ich gezwungen, meinem Sohn zu folgen.“

      Daraufhin sah der Tod zu ihr und neigte in mildem Interesse den Kopf ein wenig zur Seite.

      „Tatsächlich? Das überrascht mich, Eleonore. Du, die du dich nie dazu durchringen konntest, deinem einzigen Kinde ein wenig Liebe entgegen zu bringen, ihn in deine Arme zu schließen und ihm zu sagen, was du empfindest, wie sehr du ihn brauchst, wie sehr er dich mit Stolz erfüllt – du willst mir sagen, dass du dich umbringen würdest, sollte ich ihn mit mir nehmen?“

      Sie ertrug seine Belustigung nur schwer und starrte auf das blasse Gesicht des Prinzen.

      „Du hast keine Ahnung von menschlichen Gefühlen; du verstehst nicht, was in einer Mutter vorgeht, die ihren Sohn hergeben muss. Du kannst nicht verstehen, wie es mich quält zu wissen, dass es meine Schuld ist, wenn Leonard diese Welt vor mir verlassen muss. Darum verhöhne mich ruhig, wenn du willst, es ist mir gleich. Du wirst mich niemals verstehen.“

      Da trat der Tod zu ihr und legte seine Hände auf ihre Schultern. Eleonores Haltung versteifte sich, als er sich zu ihr hinab beugte und leise meinte:

      „Du glaubst, ich wäre kalt und gefühllos, weil du mich seit jeher nur auf diese Art erlebt hast. Denn ich bin nun einmal der Tod, der Schwarze Prinz; ich habe eine Aufgabe, die Kälte und Unbarmherzigkeit von mir verlangt. Und ich erfülle meinen Auftrag gnadenlos und ohne zu zögern. Doch bin ich durchaus imstande, zu fühlen und zu verstehen, Schmerz zu teilen und Mitleid zu empfinden, wenn ich nur will, Eleonore.“

      Seine Hände glitten langsam ihre Arme hinunter und wieder hinauf, ehe er sie von den Schultern zu ihren Brüsten hinab gleiten ließ. Eleonore sog scharf den Atem ein und versuchte, seine Hände von sich zu schieben, doch seine Arme schlossen sich unter ihren Brüsten um sie und zogen sie von dem Hocker, auf dem sie gesessen hatte. Er holte sie zu sich herüber, wobei sie ihm noch immer den Rücken zugewandt hatte und zog sie so an sich. Er flüsterte:

      „Tu, was du tun willst, ich werde dich mit offenen Armen empfangen, wenn du dich entschließen solltest, ins Jenseits überzutreten. Und ich werde deine Seele vor der kalten Wirklichkeit verbergen, vor all denen schützen, die dich umklammern und an sich binden wollen. Du gehörst mir, Eleonore, und ich teile meine Beute mit niemandem.“

      Sie schloss sehnsüchtig die Augen und er berührte sanft ihren Hals, ihr Gesicht und das dunkle, hochgesteckte Haar, dann wanderten seine Hände wieder an ihren Armen hinab zu den Hüften, den Oberschenkeln und erneut zurück zu ihrem Gesicht. Schließlich nahm er ihre Hände in seine und führte sie an sein eigenes Gesicht, während Eleonores Kopf kraftlos gegen seine