K. R. Jaylin

Todestanz


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denn noch ist deine Seele nicht verzweifelt genug. Und was deinen Sohn betrifft, so werde ich auch sein Leben noch einmal verschonen; aber ich werde zurückkommen und ihn holen, wenn die Zeit gekommen ist. Vergiss nie, dass du mir geweiht bist, seit jenem Tag vor bald 30 Jahren, an dem du so unglücklich gestürzt bist, dass es dich deine Freiheit gekostet hat. Du kannst mir nicht entfliehen.“

      Damit zog er eine ihrer Hände an seine Lippen und küsste sie zärtlich, ehe er sie losließ und gleich darauf verschwunden war. Eleonore blieb stehen, wo sie war und sah auf die von ihm geküsste Hand hinab; mit einem Mal wurde ihr furchtbar übel und sie stürzte blindlings aus dem Zimmer.

      Seine Lider waren schwer wie Stein und sein ganzer Körper fühlte sich kraftlos und leer an. Mühsam schlug Leonard die Augen auf und blinzelte verwirrt. Jemand beugte sich langsam über ihn, doch er konnte nicht klar sehen. Die leise Stimme beschleunigte jedoch sogleich seinen Herzschlag.

      „Willkommen zurück im Licht, mein Freund.“

      Er wollte sich aufrichten, doch die Hände des Todes legten sich auf seine Schultern und hielten ihn sanft, aber bestimmt zurück.

      „Ruh dich aus, Leonard; du bist noch immer schwach, auch wenn du das Schlimmste überstanden hast.“

      Der Prinz fragte heiser:

      „Was ist geschehen? Ich fühle mich, als wäre ich um Jahre gealtert.“

      Er konnte unscharf erkennen, wie der Tod sich am Rand des Bettes niederließ.

      „Du hast den letzten Schwur nur halbherzig geleistet, mein Lieber. Darum wurdest du bestraft.“

      Leonard fröstelte und schloss beschämt die Augen.

      „Ich wollte nicht zögern, doch mit einem Mal habe ich mich gefürchtet. Ich dachte …“

      „Du dachtest an Celicia und was geschehen würde, sollte sie diejenige sein, welche eines Tages hinter die Wahrheit kommt. Du fürchtetest, dass ich ihr Leid zufügen könnte.“

      Leonard schwieg bedrückt, doch zu seiner Verwunderung schien der Tod sich über seine Sorge zu amüsieren.

      „Es war töricht, sich selbst zu quälen, mein lieber Leonard. Ich habe nicht vor, irgendjemanden zu bestrafen, nur weil er die Wahrheit erkennt. Ich werde gezwungen sein, Maßnahmen zu ergreifen, sollte es tatsächlich dazu kommen, dass unsere Bindung entdeckt wird. Doch werde ich niemanden foltern oder gar in die andere Welt zerren.“

      Erleichtert sah Leonard auf.

      „Dann vergibst du mir meine Schwäche?“

      Er konnte langsam wieder deutlich sehen und so entging ihm nicht, dass sein Freund ihn nachdenklich musterte.

      „Ja, ich vergebe dir. Allerdings wirst du den Schwur wiederholen müssen, wenn du noch immer willst, dass ich an deiner Seite bleibe.“

      Der Prinz schluckte schwer, nickte dann aber.

      „Ja, das will ich. Ich will noch immer alles tun, damit du nicht fortgehst.“

      Daraufhin streckte der Tod ihm wie schon einige Tage zuvor die linke Hand entgegen und Leonard ergriff diese, ohne zu zögern. Der Tod wiederholte die Worte, die er bereits am See zu ihm gesagt hatte und dieses Mal kam die Antwort des Prinzen sofort mit fester, entschlossener Stimme:

      „Ich schwöre es.“

      Da nahm der Tod Leonards Gesicht in seine Hände, um ihn zu sich zu ziehen.

      „Damit wäre es besiegelt, mein Freund. Nun steht unserer Vertrautheit nichts mehr im Wege und du wirst nie mehr fürchten müssen, mich zu verlieren.“

      Mit diesen Worten beugte er sich vor und küsste den Prinzen auf die Stirn, wobei dieser kaum merklich zusammenzuckte. Anschließend entließ der Tod ihn aus seiner Umarmung und schob ihn zurück in die Kissen.

      „Nun ruhe dich weiter aus, mein Lieber. Ich werde in deiner Nähe bleiben, bis du wieder gesund bist. Und du wirst dich damit beeilen müssen, wenn du nicht deine eigene Hochzeit versäumen willst.“

      Mit einem seltsamen Lächeln wandte er sich daraufhin ab und ließ Leonard in tiefer Erleichterung zurück.

      Die Genesung des Prinzen ging nun rasch vonstatten und so wurde der Tag der Hochzeit nicht erneut verschoben. Am Morgen des großen Tages schien strahlend die Herbstsonne vom Himmel und ließ die Baumwipfel im Park rot und golden funkeln. Celicia war eine strahlende Braut und Leonard, wenngleich noch recht blass, wirkte glücklicher denn je. Als sie nach der Trauung die Kapelle verließen, sah Eleonore dem Brautpaar mit widersprüchlichen Gefühlen nach. Albert führte sie an seinem Arm aus der Kirche und sagte, als sie allein in ihrer Kutsche saßen:

      „Nun, mein Herz, alles hat sich zum Guten gewendet; ich bin im Übrigen sehr froh, dass du das Mädchen endlich an seiner Seite akzeptiert hast.“

      Eleonore starrte aus dem Fenster und erwiderte:

      „Wie kommst du darauf, dass ich sie akzeptiere? Mir ist schlichtweg bewusst geworden, dass Leonard nicht länger auf mich hört und deshalb gebe ich ihn widerwillig in ihre Hände.“

      Albert seufzte und wollte etwas erwidern, doch Eleonore war noch nicht fertig.

      „Allerdings bedeutet dies nicht, dass ich es aufgebe, ihn vor dem Tod zu schützen, denn ich weiß, dass er kommen wird, um ihn sich zu holen. Und so sehr es mich auch verbittert, ich kann nicht die Augen vor der Tatsache verschließen, dass Leonard nahe am Abgrund steht. Er neigt dazu, sich selbst zu verlieren und der Wirklichkeit zu entfliehen. Dies macht ihn wiederum verwundbar und die Gefahr ist groß, dass der Tod sich diese Schwäche zunutze machen wird.“

      Albert schwieg darauf, doch der Königin war es nur recht; sie war zu sehr mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt, als dass ihr bewusst geworden wäre, dass ihr Gatte sonst immer versucht hatte, sie zu beschwichtigen, wann immer sie mit dem Gerede über den Tod anfing. Aber inzwischen hatte der König begriffen, dass wohl tatsächlich eine unheilvolle Macht durch die Mauern seines Schlosses streifte und sein Unwesen trieb - nach allem, was geschehen war, gab es für ihn keine andere Erklärung mehr. So blickte er sorgenvoll auf seine Frau und fragte sich, inwieweit Eleonore in Gefahr sein mochte und ob es irgendetwas gab, das er tun konnte, um sie alle zu beschützen.

      Seine Augen folgten jeder ihrer Bewegungen und ein unheilvolles Lächeln breitete sich auf dem schönen Gesicht aus. Gemächlich lehnte der Tod sich auf der obersten Säule im Ballsaal zurück und fragte sich, wie die Menschen nur so blind und ahnungslos sein konnten. Hier saß er mitten unter ihnen, doch bemerkten sie ihn nicht; dabei bräuchte er bloß die Hand nach einem von ihnen auszustrecken, um eine Hysterie auszulösen. Er atmete tief durch und hob die linke Hand, wo er gedankenverloren seinen Ring betrachtete. So naiv, so dumm war es zu glauben, er würde sich von einem einzelnen Manne aufhalten lassen. Sein Blick schweifte verächtlich zu König Albert, der gerade seine Gemahlin zum Tanz führte. Die kalten Augen des Todes verengten sich.

      „Wir sprechen uns bald, Majestät. Sehr bald.“

      Das Lächeln wurde zynisch und er wandte sich wieder dem Brautpaar zu. Er neigte den Kopf zur Seite und beobachtete Celicia, die so beschwingt und fröhlich an der Seite ihres Liebsten war, dass er einen höhnischen Laut von sich gab.

      „Du denkst, er wird dich glücklich machen, doch wird er dir niemals das geben können, was du dir erhoffst, meine Liebe. Aber du wirst schon bald anfangen, es zu verstehen.“

      Er zog sein rechtes Bein heran und stützte sich mit dem Arm darauf, während er sich leicht nach vorn beugte. Ein wenig verärgerte es ihn, dass keines seiner Opfer bisher bemerkt hatte, dass er anwesend war. Dachten sie vielleicht, er würde diesem Ereignis fernbleiben? Er warf einen Blick hinüber zu seinen Todesengeln, die regungslos im Saal verstreut standen; solange sie sich nicht rührten, konnte nicht einmal Leonard sie sehen. Der junge Mann war dem Tod bereits so eng verbunden, dass dessen Boten stets für ihn sichtbar waren. In diesem Moment sprach Leonard mit gedämpfter Stimme zu seiner Braut und löste sich gleich darauf von ihr. Der Tod hatte sich unwillkürlich aufgerichtet