K. R. Jaylin

Todestanz


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über diese alte Geschichte sprechen.

      „Mein Herz, bitte …“

      Aber sie funkelte ihn zornig an.

      „Er hat es auf uns abgesehen und du weißt es! Weil er mir Rache schwor, so schandbar es auch ist! Er wird nicht eher ruhen, bis er unsere ganze Familie zerstört hat! Und ich werde nicht beiseitetreten, um es ihm einfacher zu machen!“

      Ungeduldig starrte Leonard seine Eltern abwechselnd an.

      „Wovon in aller Welt sprichst du, Mama?“

      Eleonore öffnete den Mund, doch Albert kam ihr zuvor.

      „Geh, Leonard, ich bitte dich. Geh reiten und denke nicht darüber nach, was deiner Mutter solch Kopfzerbrechen bereitet.“

      Leonard wollte widersprechen, doch auch wenn der König ihn gebeten hatte, so war es eigentlich ein Befehl gewesen. Also verneigte er sich knapp und eilte noch immer aufgebracht hinaus. Erst, als er im Hof ankam und von seinen Mitstreitern für die Jagd freudig begrüßt wurde, beruhigte er sich langsam wieder. Er schwang sich sogleich auf den Rücken des schwarzen Hengstes, welchen er schon als Knabe bewundert und den man ihm an seinem 12. Geburtstag zum Geschenk gemacht hatte, und rief:

      „Nun denn, meine Herren, legen wir los!“

      Unter Gelächter und lautem Hufgetrappel verließen sie den Hof und ritten in die angrenzenden Ländereien, welche zum Königspalast gehörten. Einer seiner Freunde, Prinz Jonah, welcher gleichzeitig sein Cousin war, ritt neben ihn und fragte mit gedämpfter Stimme:

      „Warum so spät, mein Lieber? Gab es erneut Ärger an der Front?“

      Leonards Blick verdüsterte sich.

      „Frag mich lieber nicht. Allmählich glaube ich, dass sie den Verstand verliert. Sage aber nichts zu einem der anderen, denn sie sind nicht Familie wie du und dürfen nicht hören, wie ich so über ihre Königin spreche.“

      Jonah meinte nachdenklich:

      „Ich habe Gerüchte aus dem Schloss gehört. Klatsch, welchen deine Ammen und die Dienerinnen der Königin nähren. Man sagt, dass sie fürchte, der Tod könnte kommen und dich in die Unterwelt reißen.“

      Leonard schwieg einen Moment, ehe er antwortete:

      „Ich denke, dies ist nur Geschwätz. Es ist zwar offensichtlich, dass meine Mutter jemanden fürchtet. Sie sprach davon, dass jemand unsere Familie zerstören wolle, doch kann sie damit wohl kaum den Tod gemeint haben.“

      Jonah lächelte.

      „Es wäre auch zu verrückt. Der Tod ist kein Wesen, welches einen an sich reißt; es ist vielmehr einfach ein Zustand, in den man fällt, wenn man nicht achtsam ist.“

      Leonard schaute in Gedanken versunken zwischen den Bäumen hindurch.

      „Bist du dir da so sicher? Hast du es denn schon einmal mit angesehen? Das Sterben?“

      Jonah zog überrascht die Augenbrauen hoch.

      „Nein, das nicht. Doch ist dies die allgemeine Auffassung, und so ...“

      Leonard nickte langsam und zwang sich, den Blick auf den Weg vor sich zu richten und die dunklen Schwingen der Todesengel zu ignorieren, welche für ihn sichtbar zwischen den Bäumen erschienen.

      „Sicher, du hast Recht. Alles andere wäre wohl absurd.“

      Als Leonard ein wenig später seine Gefährten bei ihrem Rastplatz zurückließ und sich seinen Weg durch das Dickicht bahnte, musste er nicht lange suchen. Als er seinen Freund erkannte, der lässig auf einer aus dem Boden ragenden großen Baumwurzel saß und ihm entgegenblickte, beschleunigten seine Schritte sich von selbst und er verbarg sein Gesicht gleich darauf in seinem Schoß. Die leise, sanfte Stimme wärmte ihn tief in seinem Inneren, als wäre sie eine zärtliche Geste.

      „Sie wird nicht aufhören, und das weißt du seit jeher. Warum quälst du dich immer noch, Leonard? Du brauchst nur ein Wort zu sagen und ich erlöse dich von deiner Pein.“

      Er fuhr dem jungen Mann tröstend durchs Haar, während dieser einen erstickten Laut von sich gab.

      „Nein, das kann ich nicht. Das ganze Reich verlässt sich auf mich; meine Mutter kann keine Kinder mehr bekommen, das haben die Ärzte unlängst festgestellt. Wenn ich fortgehe, wird es keinen Thronerben geben.“

      Der andere Mann schwieg und unglücklich fuhr Leonard fort:

      „Und doch macht sie mir das Leben so schwer. Was ich auch will, es wird von ihr sogleich verboten. Mein ganzes Leben habe ich mich nur nach ihrer Liebe und meiner Freiheit gesehnt, doch weder das eine noch das andere hat sie mir je gegeben.“

      Da sah er auf und schluckte schwer.

      „Ich weiß, sie fürchtet dich. Sie glaubt, du würdest unsere Familie zerstören.“

      Noch immer hielt das Schweigen an und Leonard nahm seinen Mut zusammen.

      „Sag es mir. Seit Jahren weiß ich, wer du wirklich bist, doch du warst mir stets ein Freund. Ich fürchte mich nicht vor dir und auch nicht vor deiner Umarmung. Ich möchte nur wissen, ob du tatsächlich unsere Familie auslöschen willst oder ob es sich bei dieser Annahme nur um ein Hirngespinst meiner Mutter handelt.“

      Der Tod neigte leicht den Kopf zur Seite und musterte Leonard einen Moment nachdenklich, dann antwortete er mit sichtlichem Widerwillen:

      „Deine Mutter fürchtet mich mehr als alles andere. Sie begegnete mir, als sie ein junges Mädchen war - damals war ich gezwungen, ihr die Mutter zu nehmen. Sie sah mich an und wusste, wer ich bin. Seit jener Zeit will sie ihr Leben und das ihrer Lieben um jeden Preis vor mir schützen. Und was deine Familie angeht, so erfülle ich nur meinen Auftrag.“

      Damit erhob er sich und wandte sich kühl ab.

      „Aber eigentlich solltest du dies wissen. Anscheinend war meine Zuneigung dir gegenüber verschwendete Zeit, wenn du nach mehr als einem Jahrzehnt noch immer an mir zweifelst.“

       Mit einem letzten Blick seiner kalten Augen, in denen sich nun unverhohlene Wut widerspiegelte, schritt er sogleich von dannen. Bestürzt sah Leonard ihm nach und rief ihn zurück, doch er war bereits allein und erhielt somit auch keine Antwort.

      Das Geflüster war nach wenigen Wochen nicht mehr zum Schweigen zu bringen. Selbst die harten Strafen, welche die Königin über all jene verhängte, die sie beim Schwatzen erwischte, konnten die Münder nicht zum Verstummen bringen. Die offensichtliche Todessehnsucht des Prinzen, seine zunehmenden Depressionen und die daraus resultierende Unwilligkeit, sich eine Gemahlin zu suchen und auf die Thronfolge vorzubereiten, sorgten für schier endlosen Gesprächsstoff.

      Eleonore bat ihren Mann, etwas gegen die Sturheit ihres Sohnes zu unternehmen, doch Albert weigerte sich. Er war der Ansicht, dass es allein die Schuld der Königin sei, dass der Junge so geworden war - schließlich hatte sie ihn eingesperrt und von allem ferngehalten, was Freude in sein Leben gebracht hätte. Eleonore schimpfte und tobte, vergaß dabei sogar ihre Würde, doch es brachte ihr nichts. Schließlich kam sie zu dem Schluss, dass ihnen nur eines zu tun bliebe, um den Prinzen abzulenken und vielleicht endlich umzustimmen: es würde ein Ball zu Ehren seines 22. Geburtstags stattfinden, bei dem er sich in Ruhe die möglichen Heiratskandidatinnen ansehen konnte. Der König hielt dies ebenfalls für eine gute Idee, um ihren Sohn auf andere Gedanken zu bringen und so liefen schon bald die Vorbereitungen auf vollen Touren.

      Leonard selbst hatte sich von aller Welt zurückgezogen und verbrachte seine Zeit damit, lebensgefährliche Reit- und Kletterpartien zu unternehmen, doch der gewünschte Erfolg blieb aus. Er schaffte es dabei lediglich, sich einige Prellungen, Abschürfungen und am Ende sogar einen schmerzhaften Bruch seines Schlüsselbeins zuzuziehen, doch eine tödliche Wunde blieb ihm verwehrt. Verzweifelt streifte er durchs Schloss, um sich eine geeignete Waffe zu suchen, mit der er sich das Leben nehmen konnte, doch die wachsamen Augen seiner Mutter waren überall; längst ließ sie ihn nicht mehr unbeaufsichtigt umherwandern und so musste Leonard resigniert erkennen, dass er mehr