Christian U. Märschel

Kiez, Koks & Kaiserschnitt


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anhören, was denn aus mir geworden sei, und warum ich so zu meiner eigenen Mutter wäre. Bis zu ihrem Tode konnte

      ich mir in –nach ihrer Ansicht hierzu geeigneten Situationen- anhören, wie schlecht dieses Buch für mich gewesen wäre und wie es mein – und damit auch ihr- Leben verändert hätte – zum Nachteil natürlich.

      Nun hatte sie die Quelle allen Übels gefunden – das Buch hatte einen immer bleibenden Keil zwischen uns getrieben. Dies hielt sie mir sogar auf dem Totenbett noch einmal vor.

      Ich erinnere mich an einen Tag, an dem sie mir mal wieder richtig zugesetzt hatte.

      Was ich mit dieser Aktion bezweckte, weiss ich heute nicht mehr so genau, auch nicht, was der Anlass für den Streit eigentlich gewesen war. Ich konnte nicht mehr.

      Immer gegen meine Mtter ankämpfen zu müssen, nichts, was ich tat war gut oder richtig, ständig diese unterschwelligen Bemerkungen, dieses „vom eigenen Sohn

      enttäuscht zu sein“, diese gespielte (oder auch tatsächliche) Niedergeschlagenheit „...ach sich hab es ja so schwer mit dir, ich komme gar nicht mehr gegen sich an,

      du liebst deine Mutter nicht...“ schürte den Hass und Jähzorn in mir.

      Als Paradebeispiel eines Traumsohnes wurde mir immer Hans-Jürjens (rheinischer Dialekt) , der Sohn einer befreundeten Nachbarin, vorgehalten. Nicht offiziell, nein, ganz subliem, ganz unterschwellig! Der war drei Jahre älter als ich, in meinen Augen und auch rückblickend auf die Zeit damals ein grosssprecherisches Mama-Söhnchen, das immer tat, was die Eltern sagten und vor allem was die Oma sagte. Was meiner Mutter nie auffiel war wohl, das hier Hans-Jürjens die ganze Familie manipulierte, besonders zuvor erwähnte Oma, die mit reichlich Geld ausgestattet war, dass sie dem lieben Hans-Jürjens in rauhen Mengen zukommen liess, so dass der sich alles kaufen konnte, was er wollte.

      „Siehst du“, sagte meine Mutter oft, „der Hans-Jürjens hat so viele neue Sachen, der versteht sich gut mit seiner Familie und bekommt viele schöne Sachen.“

      Ja, der ach so liebe Hans-Jürjens war auch drei Jahre älter als ich kleiner Rotzbengel und hatte schon begriffen, wie das mit dem manipulieren ging!

      An einem Tage, von dem ich nicht mehr weiss als die Erinnerung an diese Situaton, rannte ich wutschnaubend in den Keller, dorthin, wo das Werkzeug meines

      verstorbenen Vaters aufbewahrt war und holte eine Axt, wie meine Mutter später sagte, es war vielmehr ein Beil glaube ich, hervor, rannte mit diesem in der Hand die Treppe wieder herauf und stellte es demonstrativ in mein Zimmer vor mein Bett. Ich weiss nicht mehr ob es meine Mutter dort gesehen hatte oder bereits, als ich damit die Kellertrepe wieder herauf gekommen war. Sie musste sich wohl sehr daruber erschrocken haben.

      Nach dem Tod meiner Mutter habe ich noch oft an diese Situation gedacht und darüber nachgedacht, was ich damals mit dem Beil wollte. Heute wie früher schon

      weiss ich, dass ich sie damit nicht angreifen, geschweige denn töten wollte, auch wenn es sich für meine Mutter so dargestelt haben könnte. Heute erst weiss ich,

      dass ich damals nur diesen Menschen in ihr töten wollte, den ich so verabscheute, den Menschen, der mich zu seinem Ebenbild, einer Kopie seiner selbst machen

      wollte, und alles daran setzte, dies durchzusetzen, mit aller Macht und mit aller Kraft, die sie dafür nur aufbringen konnte. Mir kam es oft vor, als wenn es ihr Lebensinhalt war, mich so zu machen, wie sie mich wollte.

      Heute verstehe ich auch ein wenig, dass sie dies wahrscheinlich tat, weil sie einsam war. Weil ihr Mann gestorben war, der einzige Vertraute, Nahestehende, Freund, Kamerad, den sie hatte – ausser ihrem Sohn, dem sie diesen Platz nun zuweisen wollte.

      Aber ein Kind ist ein eigenständiger Mensch, oder zumindest entwickelt es sich zu so einem. Je mehr Macht man über ein Kind ausübt, desto mehr beschleunigt man den Vorgang, dass es sich von einem abwendet und in die völlig konträre Richtung entwickelt.

      Aber das hat meine Mutter damals wohl nicht gewusst.

      Ich schreibe ihr auch heute noch die Schuld daran zu, dass ich misstrauisch jedem gegenüber bin, den ich kennenlerne und der nett zu mir ist.

      Das ich bindungsunfähig bin.

      Dass ich Frauen, die sich um mich und meine Problemen kümmern wollen, wie damals zum Beispiel Silvie und später noch einige andere – Frauen, die also gut für

      mich gewesen wären- verstosse und mit Füssen trete.

      Die Sache mit dem Beil hatte damals kein besonders erwähnenswertes Ende.

      Irgendwann habe ich es wieder in den Keller an seinen Platz gebracht, wohl hat es ein paar Tage lang in meinem Zimmer gestanden, bis meine Wut verraucht war und ich wohl auch ein schlechtes Gewissen bekommen hatte.

      Meine Mutter hat lange Zeit nicht mit mir gesprochen, aber wir haben auch nie wieder über diese Situation gesprochen. Ich hätte auch nicht darüber sprechen wollen.Nicht aus Verlegenheit oder Scham oder Reue, sondern weil ich einfach nicht über Gefühlsausbrüche reden kann und will, schon gar nicht mit einer Mutter, die jede Aussage auch gegen mich verwenden könnte. Trotzdem kam die Sache mit dem Beil später noch ein einziges Mal auf den Tisch.

       Kleine Triumphe

      Irgendwann hatte ich mir zum Derrick-Outfit statt der doch recht liederlich aussehenden Bundeswehr-Kampftasche in natoolivgrün, die total angesagt war (ebenfalls mit markigen Sprüchen aus dem Edding-Stift verziert), einen geschäftleitungstauglichen Kunststoff-Aktenkoffer als Schultasche zugelegt.

      Nach der nächsten Pause lag derselbe –ausgekippt- unter meiner Schulbank!

      Schweine!

      Lasst mich in Ruhe.

      Ich bin so wie ich bin.

      Ich will auch gar nicht wie ihr sein.

      Als ich an dem selben Tag nach Hause kam, habe ich brav zu Mittag gegessen mit Mama, und danach wie ein geölter Blitz in den Bastelkeller, den mein Vater

      schon von meinem Opa und ich dann von meinem Vater übernommen hatte. Am nächsten Morgen auf dem Weg zur Schule hatte der Koffer ein Schloss und –

      eine Alarmanlage!! Selbst gebaut!

      Die erste Stunde an diesem Morgen war Physik bei Frau Lohmann, einer kleinen, drahtigen und energischen Frau mt kurzen, rötlichen Haaren und

      Sommersprossen um die Nase. Ich erinnere mich, als sei es gestern gewesen, ich war in der kleinen Pause noch mit irgendeinem Schuldienst beschäftigt und

      kam dadurch etwas später in den Physikraum. Schon von weitem und durch die geschlossenen Türen hörte ich – die Alarmanlage des Koffers! Da hatte doch

      tatsächlich jemand versucht, ihn trotz meinem Schloss und der wichtigen Aufschrift „ALARMANLAGE!“ zu öffnen! Das Gejaule dröhnte durch die stillen

      Schulflure. Mein Gang beschleunigte sich, ich rannte fast. Dann riß ich die Tür des Physiksaals auf, besorgt, ob der Koffer trotz alledem schon wieder

      ausgekippt worden sei, zugleich aber auch stolz über das Funktionieren der Alarmanlage! Gelächter der unbeteiligten Schulkameraden, rote Köpfe bei den

      Tätern, die mich in der Pause danach mal wieder in die Mangel nahmen, – aber: physikalische Anerkennung von Frau Lohmann, der Physiklehrerin! Ich musste

      den Koffer –und insbesondere die ausgetüftelte Alarminstallation- der Klasse und der erstaunten Lehrerin vorführen, von der ich den Eintrag „Zwei Plus“ in den

      zeugnisrelevanten, roten Lehrerkalender bekam für diese technische Höchstleistung.

      Wie gesagt, die grosse Pause stand mir noch bevor….

      Ich wollte einfach schon immer von anderen in Ruhe gelassen werden! Ich liess andere ja auch in Ruhe! Auch wenn sie anders waren als