Christian U. Märschel

Kiez, Koks & Kaiserschnitt


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niemand da, der mich behütete. Ich beschloss, als Märtyrer zu sterben.

      Meine Außenseiter-Linie zog ich durch bis zum Ende der Schulzeit.

      Falsch - eigentlich bis heute!

      Ich bin damals gehänselt, verspottet und gedemütigt worden. Im Vergleich zu dem, was wohl heutzutage an Schulen vorgeht, war das damals –rückblickend

      gesehen- allerdings gar nichts.

      

       Ich – über mich

      Ich war schon im­mer der miss­ra­te­ne Sohn. Für Onkel und Tante, für die Nachbarn, und still und leise –ohne dass sie es je so ausdrückte- auch für meine Mutter.

      Sie hätte sich einen anderen Sohn gewünscht. Einen der so ist wie zum Beispiel Hans-Jürjens, wie man das in Krefeld am Niederrhein ausspricht, der Sohn einer

      befreundeten Nachbarin. Leider war gerade der für mich immer genau das, was aus mir nicht werden sollte. Ich war immer schon ein Opportunist, einer der immer das Gegenteil wollte, egal, worum es ging.

      Ich grü­ble viel und über­le­ge, wa­rum ich so ge­wor­den bin, wie ich bin. Von mei­nen El­tern ha­be ich das nicht. Mei­ne Mut­ter war ei­ne lie­be, ar­ti­ge Haus­frau und

      gu­te Mut­ter. Mein Va­ter ein hoher Po­li­zei­be­am­ter, ge­nau wie mein On­kel, mein Opa war in der Hei­mat, in Rü­gen­wal­de in­ Pom­mern, damals vor dem Krieg,

      ir­gend­wie im Stad­trat.

      Da muss aus dem Jun­gen doch was or­dent­li­ches wer­den!

      Ich war so im Mit­tel-Al­ter, da­mals in un­se­rer Sied­lung. Mit den äl­te­ren Kin­dern woll­te ich nicht spie­len, weil ich mir nichts sa­gen las­sen woll­te. Die Gleich­al­tri­gen

      woll­ten nicht mit mir spie­len. Viel­leicht, weil ich Fußballspielen nicht lei­den konn­te. Es wa­ren auch nicht so sehr vie­le Gleich­al­tri­ge. Al­so spiel­te ich mit Jün­ge­ren.

      Da war ich der Äl­te­ste, konn­te den Ton an­ge­ben, wur­de im­mer um Hil­fe und Rat ge­fragt. Da­her rührt wahr­schein­lich mei­ne Men­ta­li­tät, al­lem auf den Grund

      ge­hen zu wol­len.

      Viel­leicht hät­te ich lie­ber De­tek­tiv, Schnüff­ler, wer­den sol­len.

      Denn wenn ich nicht blöd da ste­hen woll­te, vor den Jün­ge­ren, dann muss­te ich Ant­wor­ten ha­ben auf ih­re Fra­gen. Und so ha­be ich mich ei­gent­lich im­mer schon

      für al­les und je­des in­ter­es­siert. Was ich nicht wuss­te, ha­be ich mei­ne El­tern ge­fragt. Die wuss­ten al­les.

      El­tern wis­sen im­mer al­les. Sie sind ja auch schon groß.

      In der Pu­ber­tät ent­deck­te ich mei­ne tech­ni­schen Fer­tig­kei­ten und ei­ne große Lie­be zu Mo­tor­rä­dern. Mit reich­lich Fan­ta­sie von der Na­tur aus­ge­stat­tet, aber lei­der

      nicht mit ei­nem Mo­tor­rad, mach­te ich kurz­er­hand mei­ne Fahr­rä­der zu heißen Feu­er­stüh­len.

      Ei­ne Wind­schutz-Schei­be von ei­nem Po­li­zei­mo­tor­rad, die mein Va­ter selig ir­gend­wann ein­mal mit­brach­te, muss­te dar­an, ein Ha­lo­gen-Fern­schein­wer­fer von

      un­se­rem al­ten Au­di 80, den ich im Kel­ler fand, Kunst­stoff-Pack­ta­schen, die ei­gent­lich Mo­fa-Zu­be­hör wa­ren und ähn­li­ches mehr, Haupt­sa­che auf­fäl­lig.

      Das ich geltungssüchtig bin, war mir damals noch nicht bewusst.

      Jedenfalls habe ich dadurch Schrauben gelernt und mir früh schon einen gewissen Sachverstand, was Technik anbetrifft, zugelegt. Bei meinen Autos später setzte

      sich das ähnlich fort. Von meinem Vater, der starb, als ich vierzehn war, hatte ich Geld geerbt, das meine Mutter bis zu meinem achtzehnten Geburtstag mit

      Beschlag belegte. Besser so, wie ich heute einsehe.

      Zur bestandenen Führerscheinprüfung bekam ich dafür einen grün-metallic-farbenen Alfasud, aus erster Hand, sechseinhalbtausend Mark. Ich war der König

      der Siedlung, und König zu sein war geil, auch wenn ich das damals, mit gerade mal 18 noch nicht so ausgedrückt hätte. Weil cool war ich damals nicht.

      Das war man in der Zeit, Anfang der Achtziger, auch noch nicht.

      Bis ich so ungefähr sechsundzwanzig war, hatte ich dreißig Autos durch, darunter mehrere Ami-Schlitten aus den Siebzigern, gekauft während meiner Lehrzeit,

      wo man immer viel Geld zur Verfügung hat für solche kostenintensiven Hobbies. Die hatte ich meistens für zwei oder drei Wochen, jedes Mal für dreißig Mark

      tanken und hoffen, dass die Kiste nie kaputt geht.

      Die meisten Autos habe ich dank übertrieben entwickeltem Geschäftssinn für viel zu teures Geld gekauft und mit Verlust wieder verkauft.

      Auch diese sichere Hand in Gelddingen setzt sich bis heute fort. Zusammenfassend denke ich, wenn ich Eltern mit pubertierenden Kindern in Markenklamotten

      an der Hand sehe - wehret bloß rechtzeitig den Anfängen!

      Ich schaffte die Realschule phasenweise sogar recht gut, am Ende nur noch mit Mühen. Meine erste Bewerbung und die Fürsprache eines einflussreichen

      Nachbarn hatten bereits Erfolg bei meinen darauf folgenden Bewerbungen um eine Lehrstelle.

      Ich machte meine Lehre als Speditionskaufmann.

      "Lern was, dann haste was!" sagte Mama immer.

      Und: "Geh ins Büro, da sitzt Du warm und trocken, hast pünktlich Feierabend und keine schmutzigen Hände."

      Solche Weisheiten begleiteten meine Jugend, das kennt wohl manch anderer auch. "Wenn Du eine Lehre hast, hast Du immer was sicheres im Leben.

      Danach kannst Du tun und lassen, was Du willst, wenn es nicht klappt, hast Du immer noch Deinen Ausbildungsberuf, in den Du zurückkannst."

      Pustekuchen!

      Biste heutzutage drei Monate aus dem Job, nimmt dich keiner mehr. Und nach drei Jahren kannste den Lehrbrief wegschmeißen! Aber das wusste meine

      Mutter damals noch nicht. Sonst hätte sie es nicht so gesagt. Denn sie wollte immer nur mein Bestes.

      Leider habe ich mein Bestes bis heute nicht gefunden. Im Moment, mit gerade mal sechsunddreißig, versuche ich zum x-ten Male, es zu finden. Und heute

      weiß ich am wenigsten, wo ich es noch suchen soll. Weil ich mittlerweile fast schon alles abgegrast habe. Auf der Suche nach dem Besten.

      Meine Geltungssucht, die ich lange erhalten habe, hat mir dabei allerdings auch geholfen. Denn ich bin auf nette, unaufdringliche Weise geltungsbedürftig.

      Nicht mehr, wie früher, mit übertriebenem Firlefanz sondern mit schlichter Eleganz, die erst auf den zweiten Blick auffällt.

      Das anthrazitfarbene fünfsechsziger Nutten - Coupe, die Zuhälter-Breitling achtzehnvierundachtzig, die ich von Chico kaufte. Irgendwann mal im Laden

      kam er mit dem Ding rein und bot sie zum Verkauf an, weiß der Teufel, wie der arme vormalige Besitzer aussah, nachdem Chico ihm die Uhr abgenommen hatte.

      Jede Menge Silberschmuck an Armen, Hals und Fingern, der sieht gut aus, fällt auf gebräunter Haut schön auf, ist echt und dabei nicht einmal teuer!

      Was willste mehr? Immer etwas extravagante Kleidung, auch nicht einmal teuer, muss nur auffällig sein, sich von der Masse abheben. Darauf kommt es an.