Ingo M. Schaefer

Tödliche Rechnung


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irgendwie mit Kultur beschäftigt, trug irgendwas schwarzes, sei es ein Rollkragen, ein Jackett, eine Bluse, ein V-Pullover mit großem V für weiße Haut. Sander saß auf der niedrigen Steinmauer und sah ständig auf seine Uhr. Endlich erblickte er seine Schwester, die sich einen Weg zu ihm bahnte. Da und dort blieb sie kurz stehen und tauschte Begrüßungen aus.

      Sarah Sander war zweiunddreißig Jahr alt. Das verbrauchte Gesicht, leicht aufgedunsen, war früher einmal schön gewesen. Sie sah wie Mitte fünfzig aus. Die Ähnlichkeit mit ihrem Bruder bestand in der langen geraden Nase. Der große Mund hatte volle Lippen. Das Make-Up war dick auftragen. Ihr Körper war schlank, aber kräftig, ihr Gang der einer Katze. Sander stand auf und schloss die Arme um seine Schwester. Sie erwiderte die Umarmung und presste sich an ihn, suchte Halt.

      Kai kaufte für beide Ice-to-Go. Sie setzten sich auf die Steinmauer. Schweigend schleckten sie. Sarah war als erste fertig.

      „Warum Charlie?“ Sarah vergrub das Gesicht in den Händen. „Ich war doch gestern Abend noch bei ihm.“

      „Was?“ Ihr Bruder runzelte die Stirn.

      „Ja, wir haben uns aber die neuesten Arbeiten unterhalten. Er hatte Aufträge für zwei van Gogh Bilder und einen Monet. Er überlegte wieder auszustellen, mit neuen Bildern, die von Tod und Infektion handeln sollten. Außerdem wollten wir es wieder probieren. Er wollte, dass ich zu ihm ziehe. Hört sich das nach Selbstmord an? Nein!“

      „Dann hat Charlie“, überlegte Sander laut, „Besuch bekommen, als du schon weg warst. Dieser Gast hat ihn ermordet und es so aussehen lassen wie Selbstmord. Jeder wusste, dass Charlie Bluter war und deshalb sehr vorsichtig mit Messern umging, überhaupt mit allen scharfen und spitzen Sachen. Jede Wunde bedeutete Lebensgefahr für ihn.“

      „Aber er hatte genug Gerinnungsmittel, um sich zu retten. Er muss sich gewehrt haben.“

      „Keine Spur von Kampf“, schüttelte Sander den Kopf. „Der Arzt sprach von einer Schädelverletzung. Der Mörder muss ihn bewusstlos geschlagen haben. Dann erst hat er Charlies Pulsadern aufgeschnitten. Charlie hatte keine Chance.“

      Nach einem kurzen Schweigen fragte sie:

      „Was willst du tun?“

      „Rumfragen. Ein bisschen kenne ich die Szene ja auch, obwohl ich mich in seine geschäftlichen Dinge nie eingemischt habe. Ich weiß nur, dass er nach der Infizierung mit Fälschungen bekannter Maler gutes Geld verdiente. Vielleicht hatte er sich Feinde gemacht.“ Er zuckte kurz mit der Schulter.

      „Hm, also Mirko Genaro war auf jeden Fall kein Freund von Charlie.“ Ihre Augen leuchteten. Sie nickte vor sich hin. „Dem würde ich das zutrauen. Genaro ist arrogant und kalt.“

      „Wo wohnt er?“, fragte er. Sie gab ihm die Adresse. Sander kannte sich aus in dem Viertel. Genaro wohnte in Charlies Nähe.

      „So ich muss jetzt los. Ich muss heute ins Sprenkel.“ Das Sprenkel war eine Künstlerkneipe, in der Sarah als Bedienung arbeitete. Sie stand auf, schwankte, setzte sich wieder hin. Ihr Körper zitterte. Sie schien Schmerzen zu haben, hielt den Bauch mit ihren Armen umklammert und krümmte sich nach vorne.

      „Sarah!“ Sein Blick war nicht nur fragend.

      Sie winkte ab. Langsam richtete sie sich auf.

      „Es geht wieder. Musste ja mal so kommen, ein passender Zeitpunkt finde ich.“ Sie versuchte zu lächeln. „Guck nicht so. Es war doch klar, dass es irgendwann soweit ist.“ Sie stand wieder auf, schwankte, blieb aber stehen. „Rufst du mich an, wenn du was rausgefunden hast?“

      Ihr Bruder nickte. Die Augen verrieten seine Gedanken.

      Sie ließ die Arme hängen.

      „Seit drei Tagen! Charlie bemerkte es sofort und wollte deshalb, dass ich zu ihm ziehe. Er wollte mich pflegen bis ...“ Sie wandte den Kopf. Tränen schossen aus den Augen. Sander war sofort bei ihr und schloss sie in die Arme.

      „Ich hab Angst, Kai! Ich will nicht sterben und kann nichts dagegen tun.“

      Sander blieb stumm, streichelte ihren Kopf.

      „Komm, ich bring dich nach Hause.“

      3

      „Soso, Maske ist tot. Uns alle erwischt es mal.“ Mirko Genaro saß schräg auf dem Stuhl, den rechten Arm über die hohe Lehne gelegt. Er war fast so groß wie Sander aber sehr dünn. Sein Gesicht war feminin, bis auf das spitze Kinn, die stechenden braunen Augen und die buschigen schwarzen Augenbrauen. Er machte einen selbstsicheren fast überheblichen Eindruck auf Sander.

      Vor einer Stunde hatte er Genaro angerufen. Seine Einladung zu einem Essen in einem exklusiven Restaurant hatte Genaro überzeugt. Sie hatten gegessen, der Nachtisch war gerade serviert worden, da berichtete Sander vom Tod seinen Freundes. Genaro nahm die Nachricht mit einem zufriednen Lächeln auf.

      „Sie mochten ihn nicht, warum?“, fragte Sander mühsam beherrscht.

      „Er war nicht der Typ, den man mögen konnte“, antwortete Genaro.

      „Hat er Ihnen was getan?“

      „Er war ein dahergelaufener Preisträger, der einfach in einen Markt eindrang, den andere geschaffen haben.“

      „Etwa Sie?“, fragte Sander spöttisch.

      Genaro blickte Sander finster an, sagte nichts.

      „Hat Charlie ihnen Aufträge weggenommen, weil er einfach besser war?“

      Genaro sah zur Decke hinauf, dann auf Sander. Der Blick war kühl, auch wenn Sander meinte, Triumph zu sehen.

      „Was meinen Sie, wenn Charlie umgebracht worden ist?“, grinste Sander.

      Der Maler richtete sich mit einem Ruck auf.

      „Was reden Sie da? Sie haben doch eben gesagt, es war Selbstmord“

      „Ich sagte aufgeschnittene Pulsader, nicht Selbstmord. Die Kripo könnte sich für ihre Geschichte interessieren. Charlie nahm ihnen mehr Aufträge weg, ein HIV Infizierter, noch dazu Bluter. Da kann man doch leicht einen Selbstmord vortäuschen. Sie haben ein Motiv.“

      „Hören Sie, das kann mir niemand anhängen. Außerdem können Sie nicht beweisen, dass Maske mir Aufträge weggenommen hat. Das ist Ihre Idee. Ich habe nichts gesagt und sage dazu nichts.“ Genaro stand auf. „Vielen Dank für das Essen. Aber an einem weiteren Gespräch bin ich nicht interessiert. Guten Tag!“

      Er ging schnell zum Ausgang.

      Sander winkte den Kellner herbei, drücke ihm zweihundert Euro in die Hand mit der Bemerkung „Stimmt so!“ und folgte dem dünnen Mann.

      Genaro fuhr einen beigen Golf. Sander folgte mit einigem Abstand. Genaro steuerte den Wagen in eine exklusive Wohngegend. Er parkte den Wagen am Straßenrand einer verkehrsberuhigten Zone und ging schnell zum Eingang eines renovierten dreistöckigen Gebäudes im Jugendstil. Sander sah ihn im Eingang verschwinden und fuhr einige Fahrzeuge weiter bis er eine Parklücke fand. Er stieg aus, ging zum Eingang, in dem Genaro verschwunden war und las die Namensschilder: Heitmann, Lemken, Kromer. Schnell ging er zum Auto, stieg ein und verschwand aus der Gegend.

      Zurück in seiner Wohnung fand Sander heraus, das Leon Heitmann, Ewald Lemke und Martin Kromer das Haus bewohnten, in dem Genaro verschwunden war.

      Er rief seine Schwester an.

      Ob sie einen Heitmann kenne. Da müsse sie erst überlegen, ihr Namensgedächtnis sei so schlecht, ja, sie schreibe sich die Namen gerade auf, Heitmann Lemke und wie Krone? Ach so mit m Kromer. Der Name würde ihr was sagen. Sie würde zurückrufen, ob er auch zu Hause sei, ja gut. Ja, ihr würde es wieder prima gehen. Sie habe hier viel zu tun.

      Sarah Sander hielt sich kurz am Tresen fest, als sie den Hörer auflegte. Wieder ein kleiner Schwächeanfall. Nach Hause gehen war unmöglich. Sie brauchte das Geld.

      „Sarah, noch zwei Tequila!“