Ingo M. Schaefer

Tödliche Rechnung


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bringen und zu verhören.

      Sander rief sofort seinen Anwalt an und gab ihm die Adresse seiner Schwester. Dann rief er in seiner Firma an, dass er heute nicht mehr käme. Er zwang sich zur Ruhe, indem er durch das Atelier hin- und herging, um seine Gedanken zu ordnen.

      Für seine Schwester hatte er alles geregelt. Der Anwalt hatte den Auftrag jede Kaution zu bezahlen und die dafür nötigen Bürgschaften zu besorgen.

      Von Lork konnte er keine Hilfe erwarten. Der wollte den Fall so schnell wie möglich abschließen.

      Charlies Nachlass musste geregelt werden. Er musste mehr über diesen Kromer in Erfahrung bringen. Allerdings hatte Kromer überhaupt kein Motiv. Mit Charlie verdiente er gut.

       Genaro.

      Sander verließ aufgeregt die Wohnung.

      5

      Der Maler lag gekrümmt am Boden. Sein Gesicht blutete.

      „Ich war´s nicht!“, schrie er und sah Sander ängstlich an. Der hielt eine Spraydose vor ein fertiges Bild. Es war der Schrei von Edvard Munch.

      „Das Bild braucht noch den letzten Schliff“, meinte Sander.

      „Nein, bitte, ich habe zwei Wochen daran gearbeitet“, schrie Genaro.

      „Bis auf gestern Abend!“ Er hielt die Spraydose näher an das Bild. „Ich warte auf Antwort.“

      „Ja, ja, ich war bei ihm, aber ich habe ihn nicht umgebracht.“

      „Das kannst du sonst wem erzählen.“ Sander drückte den Knopf. Ein Zischen kam.

      „Verdammt, ich wollte mit ihm reden. Zusammen hätten wir den Markt aufgerollt und Kromer hätte nach unserer Pfeife tanzen müssen.“

      Die Spraydose fiel zu Boden.

      Genaro wurde auf einen Stuhl gezerrt.

      „So, du dreckiges Schwein. Du sagst mir jetzt alles. Über Kromer, über Charlie, über dich.“

      Genaro berichtete über sein erstes Treffen mit Kromer. Südamerikaner und Asiaten zahlten gute Preise für Fälschungen bekannter Maler. Er bekam zwischen fünfhundert und tausend Euro pro Bild. Als Charlie in den Markt eintrat, bedeutete dies eine ernste Bedrohung. Kromer bestellte häufiger bei Charlie, da dessen Technik besser war, manchmal zu gut. Gestern hatte Genaro Charlie von einer Zusammenarbeit überzeugen wollen. Kurz nach neun hatte er dessen Wohnung verlassen. Die Tür zu Charlies Wohnung war nur angelehnt gewesen. Er hatte Licht gemacht, und die Gelegenheit genutzt herumzustöbern und zu spionieren. Im Bad sah er schließlich Charlies Leiche. Er war sofort geflüchtet und hatte vergessen seine Fingerabdrücke abzuwischen.

      „Hm, ein bisschen dürftig. Was ist mit Kromer?“

      „Was soll mit dem sein?“

      Sander packte Genaro am Kragen.

      „Du bist gestern nach dem Essen zu Kromer gefahren.“

      „Sie spionieren mir nach?“ Genaro versuchte sich aufzubäumen

      „Die Polizei wird sich bestimmt dafür interessieren.“ Sander grinste.

      „Hey, das können Sie nicht machen!“

      „Und ob, du bist ein elender schleimiger Hund.“ Sander ging zum Telefon und rief Lork an.

      „Ja, sind Sie denn bescheuert!“ Der Kommissar tobte in seinem Büro. Sander saß aufrecht im Besucherstuhl. „Diese Aussage ist einen Dreck wert vor dem Gericht. Unter Zwang erpresst, der sagt jetzt kein Wort mehr.“

      „Sie haben doch die Fingerabdrücke von ihm“, erwiderte Sander ruhig. „Er war´s. Meine Schwester ist unschuldig.“

      „Ach, da kommen Sie einfach daher, schlagen jemanden krankenhausreif, zwingen ihn zu sagen, was sie hören wollen. Das ist schwere Körperverletzung, vielleicht versuchter Totschlag.“

      „Was regen Sie sich auf? Zwang? Pah, das wird hier doch jeden Tag gemacht mit Asylanten und Pennern. Spielen Sie also nicht die Unschuld vom Lande.“

      Lork schlug mit der Faust auf den Tisch.

      „Wie reden Sie mit mir?“, brüllte Lork und rieb sich die schmerzende Hand.

      „Sie haben meine Schwester verhaftet. Das habe ich nicht zugelassen. Sie ist unschuldig. Oder hat sie ein Geständnis abgelegt?“ Sander blickte Lork durchdringend an.

      „Nein“, antwortete Lork, fügte aber schnell hinzu. „Aber das kriege ich aus ihr heraus.“

      „Weil sie die erste ist, die sie verdächtigen konnten.“ Sander stand auf stützte sich mit den Armen auf den Schreibtisch. „Jetzt haben Sie zwei Verdächtige. Genaro hat gesagt, er sei um neun losgegangen. Um diese Zeit starb Charlie oder später. Ein seltsamer Zufall. Meine Schwester war um acht Uhr im Sprenkel. Dafür gibt es Zeugen. Wie soll sie Charlie da umgebracht haben? Ich wusste nichts von einem Testament, wusste sie es? Hat sie Ihnen gesagt, sie hätte von dem Geld gewusst?“

      Lork schüttelte missmutig den Kopf.

      „Dann die Ansteckung durch Charlie“, fuhr Sander fort. „Unmittelbar nach Charlies Infizierung trug sie auch den Virus. Sie hat ihm nie Vorwürfe deswegen gemacht. Es war nicht Charlies Schuld, die liegt beim Krankenhaus. Erst jetzt, wo die Krankheit ausgebrochen ist, tötet sie ihn? Ziemlich weit hergeholt. Und kommen Sie mir nicht mit Ihrer psychologischen Mottenkiste. Sarah ist keine Mörderin! Genaros Motiv war viel stärker. Charlie war eine Bedrohung für ihn geworden.“

      „Das wäre schön, klappt aber nicht. Was die Zeit betrifft, so passt ihre Schwester da glänzend hinein und Genaro fliegt raus. Unsere Leute haben ausgerechnet, wie viel Zeit verging vom Schnitt bis zum Eintritt des Todes: bis zu einer halben Stunden! Der Zeitpunkt des Todes ist genauer eingegrenzt worden. Halb neun bis neun. Also zwischen acht und halb neun wurde ihr Freund so schwer verletzt, dass er eine halbe Stunde später daran starb. Damit ist Genaro so gut wie aus dem Schneider. Bleibt also ihre Schwester übrig und jeder Staatsanwalt wird mir zustimmen. Ich glaube ihr nicht, von dem Testament nichts gewusst zu haben.“

      „Ach, glauben Sie nicht? Wie erklären Sie sich dann die Tatsache, dass ihr nur noch wenig Zeit bleibt, vielleicht nur noch wenige Tage? In Schmerzen, Kraftlosigkeit, den Tod vor Augen. Nicht gerade die besten Umstände, um Geld zu verprassen. Dieses Motiv ist genauso einen Dreck wert wie das andere.“ Triumphierend blickte Sander den Kommissar an, drehte sich um und knallte die Tür hinter sich zu.

      6

      Die Schränke in Charlies Schlafzimmer und im vorderen Wohnraum waren ausgeräumt. Kleidungsstücke, Prospekte und Bücher lagen verstreut auf dem Boden. Den runden Tisch hatte Sander abgeräumt, alles in eine große Tüte geschmissen. Er hatte Tücher ausgebreitet, um den Farb- und Lösungsmittelgeruch zu dämpfen.

      Auf dem Tisch lagen zahlreiche Stapel Papiere und Ordner. Der methodische Geschäftsmann überflog jedes Blatt und sortierte: Rechnungen hier, dort Schriftwechsel mit Institutionen, Galeristen und dem Krankenhaus. Charlies Akten reichten bis in seine Studienzeit hinein. Sander prüfte Steuererklärungen, verglich Rechnungen. Die Buchführung des toten Freundes war präzise.

      Es war Mitternacht durch, als Sander eine Rechnung vor sich liegen hatte, die er nicht zuordnen konnte. Charlie stellte der Firma Business Top für einen Werbeauftrag den Betrag von fünfzigtausend Euro in Rechnung. Das Datum lag ein halbes Jahr zurück. Das Geld war nie überwiesen worden, nirgendwo verbucht. Die Rechnung war stark zerknittert, schien mal ein Papierknäuel gewesen zu sein, dafür bestimmt in den Abfall zu kommen. Sander sah genauer hin. Druckfehler fand er: statt EURO stand dort EURP, statt `Wir bedanken uns für den Auftrag` stand dort `wir bedanken ins für den Auftrag`. Er legte das Blatt zu Seite.

      Charlie verkaufte seit seiner Infizierung regelmäßig Bilder an Kromer. Zwischen zwei- und dreitausend Euro bekam er für jedes Bild. Die Ausgaben