Ingo M. Schaefer

Tödliche Rechnung


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kannte fast alle Künstler. Einem, Markus Woltz, brachte sie die Tequila. Woltz, ein grobschlächtiger bärtiger Bildhauer, saß mit einer Frau, die Sarah vom Sehen her kannte, allein an einem der Tische.

      „Hey Sarah, wo ist Charlie denn?“, fragte Woltz.

      Sie versteifte sich sofort.

      „Charlie ist tot, Markus!“ Sie erschrak wegen ihrer eigenen lauten Stimme. Köpfe drehten sich zu ihr um.

      „Was? Charlie ist tot?“, dröhnte die Stimme des Bärtigen durch das Lokal. Viele Köpfe drehten sich. Einige Leute standen auf.

      Fragen, Menschen, Sarah wich hinter die rettenden Theke. Vergeblich. Die Fragen prasselten auf sie ein.

      „Seit wann ist er tot?“

      „Ist das sicher?“

      „Warum wissen wir nichts?“

      „Wie ist das passiert, ein Unfall?“

      „Ausgerechnet Charlie.“

      „Sarah, sag doch was!“

      Sie wurde panisch. Erst das überraschende Ausbrechen der Krankheit, jeden Tag wurde es schlimmer, dann der Tod von Charlie und jetzt diese Leute, die sich auf sie zu stürzen schienen. Kein Wort schaffte den Weg über die Lippen, desto stärker zuckten die Schultern. Sie wollte hier raus. Ihr gefiel nicht, was sie sah: viele, plötzlich fremd gewordene Augen starrten sie an, wartend.

      „Schwesterchen, alles in Ordnung?“

      Der Glanz in den Augen verschwand. Es wurde still. Vorgestreckte Köpfe zogen sich zurück. Der warnende Unterton war niemandem entgangen. Einige Künstler machten sofort Platz. Eine Gasse entstand. Mit Kai Sander legte sich niemand an.

      Sander, in Lederjacke und Jeans, ging zu seiner Schwester hinter den Tresen und grinste in die Menge, während er sich die Jacke auszog

      „Wer wollte was trinken?“

      Woltz brach als erster das Schweigen und polterte:

      „Zwei Doppelte auf den Schreck, du auch?“, fragte er seine Freundin, die den Kopf schüttelte.

      „Ich auch, hallo Kai!“

      „Tschuldigung, Sarah!“

      „Wie ne dumme Meute waren wir...“

      Sander goss Gläser nach, zapfte Bier. Sarah setzte sich auf den Hocker, trank Cola und seufzte.

      Einige blieben an der Theke stehen, der Großteil war an die Tische zurückgekehrt.

      „Was ist mit Charlie passiert?“, fragte Woltz.

      Sander erzählte alles bis auf Genaros Verfolgung.

      „Also, Genaro“, sagte Woltz bestimmt, „ist eiskalt.“

      Sander sagte nichts dazu, fragte aber stattdessen:

      „Weiß jemand etwas über Charlies Geschäfte? Ich meine die Fälschungen.“

      Ein hagerer junger Mann, fast ausgemergelt, mit tief liegenden Augen antwortete:

      „Da gibt es nicht viel zu erzählen. Fälschungen sind es nicht sondern Nachbildungen. Ich hab auch ein paar an Kromer verkauft.“

      „Kromer?“ Sander blickte überrascht auf. Sofort stieg Ärger in ihm hoch, weil er sich nicht beherrscht hatte. Der junge Mann wurde sofort misstrauisch.

      „Was ist? Das ist nicht illegal. Was soll mit Kromer sein? Der ist okay, Mann.“

      „Wenn es nicht verboten ist, kein Problem“, meinte Sander ruhig. „ Hat Charlie auch an Kromer verkauft?“

      „Bestimmt. Viel haben wir für die Bilder nicht bekommen, war ja nicht viel Arbeit drin. Aber ist besser als nichts. Genaro war vorher der King, aber Charlie konnte einfach zu gut malen. Der nahm Genaro viele gute Aufträge weg. Für Genaro ist das bestimmt übel gewesen.“

      „Woher kommen die Aufträge?“

      „Keine Ahnung. Kromer macht das. Er sagt, welches Bild gemalt werden soll.“

      „Dann ist Kromer ein Galerist?“

      „Ja, ohne Galerie. Er betretbt `ne Art Agentur, nur für Maler.“

      „Und er lebt gut davon“, warf Woltz ein. „Wir können uns grad das Nötigste leisten.“

      „Ohne ihn könnte ich mir nicht mal das leisten, du Arschloch!“ Der junge Mann zitterte, aber die Stimme war klar. Er schlang die Arme um sich und rannte aus der Kneipe.

      Woltz und Sander blickten sich kurz an.

      „Was hat er denn?“, fragte Sander erstaunt.

      „Die meisten, die für Kromer arbeiten, sind positiv. Der da,“ Woltz nickte zum Ausgang, „macht nicht mehr lange.“

      „Kennst du Kromer näher?“, fragte der Kaufmann den Hünen.

      Der schüttelte den Kopf.

      „Kaum, aber er scheint in Ordnung zu sein. Hab bisher Gutes über ihn gehört. Jeder Agent nutzt seine Leute aus, der auch. Wollte ihm auch was anbieten, aber der verkauft nur Bilder. So jetzt lass uns auf Charlie anstoßen. Auf Charlie!“

      Alle hoben die Gläser. Geschichten von Charlie wurden verlangt und Sander musste reden. Er kam erst spät ins Bett.

      4

      An diesem Montagmorgen kam Sander erst um zehn in seine Im- und Exportfirma, hörte sich den neuesten Firmenklatsch an und endlich auch die Berichte der letzten Woche. In der Mittagspause fand er die Zeit seine Schwester anzurufen. Ihre verschlafene Stimme wurde nicht wach. Sie legte auf.

      Kommissar Lork meldete sich. Unter den Papieren sei auch das Testament gefunden worden, in dem Sander zum Testamentsvollstrecker benannt wurde.

      „Können Sie in die Wohnung kommen? Eine reine Formalität.“ Keine Bitte, eine Aufforderung.

      „Jetzt?“ Sander war nicht begeistert.

      „Wenn es Ihnen möglich ist, ja, Herr Sander“, meinte Lork betont gleichgültig. Sander machte sich mit gemischten Gefühlen auf den Weg.

      „Guten Tag, Herr Sander.“ Lork hielt ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. Sander schlug ein.

      „Guten Tag, Herr Kommissar.“

      Lork holte aus seiner Innentasche ein Kuvert und reichte ihn Sander.

      „Wir haben die Wohnung gründlich durchsucht“, sagte Lork. „Sie können ab jetzt über sie verfügen.“

      „Danke!“ Der Freund des Toten nahm den Umschlag. „Was haben Sie herausgefunden?“

      Lork blickte ihn lange an.

      „Lesen Sie!“

      Kai Sander riss die Briefhülle auf.

      Charlies Testament war kurz. Sander war der Alleinerbe. Auf seinen Konto lagen dreißig tausend Euro, die an Sarah gingen, weil er sie angesteckt hatte.

      „Sie haben das gelesen?“, fragte er.

      Lork nickte und sagte:

      „Die klassischen Mordmotive: Geld und Rache!“

      Der Obduktionsbefund war eindeutig. Charlie war zuerst bewusstlos geschlagen, dann ins Bad geschleift worden. Auf dem Betonboden fand die Polizei entsprechende Spuren. Der oder die Täterin hatte dann mit einem Küchenmesser dem Bewusstlosen die Pulsadern der linken Hand aufgeschnitten. Das Messer wurde vom Körper weggeführt. Hätte Charlie sich selbst umgebracht, hätte die Schnittrichtung der Wunde einen anderen Verlauf gehabt. Zudem war Charlie Linkshänder. Er hätte den rechten Arm geschnitten. Die Techniker sicherten Fingerabdrücke dreier fremder Personen.

      Lork maß Sander Vermutungen über Genaro und den Fälschungen keine Bedeutung zu.