Ingo M. Schaefer

Tödliche Rechnung


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Spieler. Das war der erste Eindruck, den Sander von diesem korpulenten, aber nicht dicken Mann hatte. Kromer war einen Kopf kleiner als Sander, aber der Händedruck seiner kleinen unruhigen Hand war kraftvoll. Kromer schien über vierzig zu sein. Das zu einem kleinen Pferdeschwanz gebändigte volle Haar vermochte diesen Eindruck nicht zu mildern. Das Gesicht war für Sander eine Strichzeichnung. Der Mund mit den blassen Lippen war ein Strich, die kleine spitze Nase zwei Striche, die Augen mit den haarlosen Wimpern und den dünnen Augenbrauen waren Ansammlungen von Strichen. Kromer schien Sander geistige Strichzeichnungen mit einem hellen Maßanzug zu betonen.

      Sander mochte ihn auf Anhieb nicht. Aber hier stand der Mann, der Charlie über einen schwere Zeit hinweggeholfen hatte.

      „Ah, Herr Sander. Freut mich Sie endlich kennen zu lernen, wenn auch unter diesen schlimmen Umständen.“ Kromer war um seinen großen Mahagonitisch herum gekommen und kam mit ausgebreiteten Armen auf Sander zu.

      „Freut mich ebenso, Herr Kromer!“ Sander zeigte sein Geschäftslächeln und schlug in die dargebotene Hand ein. Vor ihm stand ein Profi, aalglatt und skrupellos. Die Sorte Mensch, mit der Sander tagtäglich zu tun hatte, für die der Gewinn, nicht die Ware zählte.

      „Kommen Sie, machen wir es uns gemütlich!“ Kromer führte den Besucher zu drei ledernen Sesseln, in deren Mitte ein nierenförmiger Glastisch stand.

      Kromer ließ Kaffee und Gebäck von einer brünetten Schönheit bringen, die Sander schon im Vorzimmer aufgefallen war.

      Die beiden tasteten sich eine Weile ab. Dann lastete eine Stille im Raum.

      „Schlimm, was da mit Charlie passiert ist“, meinte Kromer plötzlich.

      Sander nickte nur düster.

      „Was passiert mit seinen Bildern?“, fragte Kromer.

      „Ich bin Alleinerbe und deswegen bin ich auch gekommen. Wir sollten Charlie groß rauskommen lassen“, antwortete Sander.

      Kromers Gesicht hellte sich auf.

      „Wir?“

      Sander nickte.

      „Ich habe eine eigene Firma, die mich in Anspruch nimmt. Sie sind vom Fach, haben Beziehungen. Für Ausstellungen braucht man Bilder.“

      Kromer wurde nachdenklich.

      „Hm, seit ich Charlie unter die Fittiche nahm, hat er nur Auftragsarbeiten produziert.“

      „Ich weiß, die .. Nachbildungen.“

      Kromer grinste.

      „Nachbildungen, hm, ein schönes Wort, aber wir können offen miteinander sein. Es waren hervorragende Fälschungen. Das ist nicht illegal, solange sie als Nachbildungen ausgezeichnet sind. Sie erzielen auf dem Markt einen stattlichen Preis, weil die Originale unerschwinglich oder unverkäuflich sind. An glänzenden Fotodrucken ist heute nur die Masse interessiert, zu der meine Klienten nicht gehören.“

      Sander blickte sich um. Die Einrichtung hier wie auch im Vorzimmer war teuer.

      „Ich sehe es. Vielleicht sollte ich umsteigen.“

      Beide lachten falsch.

      „Nun gut“, nickte Sander. „Diese Nachbildungen sollten wir da lassen, wo immer sie hängen, aber Sie müssten doch die anderen Bilder finden können, die Charlie vor seiner Infizierung gemalt hatte. Soweit ich weiß, müssten das über hundert sein.“

      Kromer pfiff leise durch den Mund.

      „Das dürfte keine Problem sein, ebenso der Katalog.“

      „Vielleicht könnte man dies vielleicht mit anderen kranken Künstlern verbinden. Das Problem wird immer noch auf die sozialen Randgruppen beschränkt. Sie kennen doch auch einige, wie man mir erzählte.“

      Kromers Mund wurde noch dünner.

      „Vielleicht“, meinte Kromer zurückhaltend. „Ich glaube aber nicht, dass dieses Konzept erfolgreich wäre. Bilder von Todeskandidaten. Ziemlich makaber, finden Sie nicht.“

      Sander zuckte nur mit den Schultern.

      „Nein“, schüttelte Kromer den Kopf. „Assoziationen wie Charlie-AIDS-Mord könnten entstehen. AIDS sollte in Charlies Ausstellung keinen Platz haben.“

      „Vielleicht haben Sie recht, war nur eine Idee von mir.“

      „Und keine schlechte, wirklich. Aber nicht für Charlie. Wissen Sie, ich hab´s erlebt, wie er fallengelassen wurde, ausgestoßen wie ein Pestkranker im Mittelalter. Er arbeitete schnell und hervorragend. Selbst als die Krankheit vor einem halben Jahr ausbrach, er hat es mir selbst gesagt, schuftete er wie ein Pferd. Drei Bilder in einem Monat. Aber das hat ihn wahrscheinlich am Leben erhalten. Eine Schande, dieser Mord.“

      Kromer stand auf, ging zu einem kleinen Schrank, dem er eine Cognac-Flasche und zwei Gläser entnahm.

      „Sie auch?“, fragte er Sander.

      „Ja gerne.“

      Sie hoben die Gläser.

      „Auf Charlie!“

      „Auf Charlie!“

      Sie unterhielten sich einige Zeit, bis Sander aufbrach.

      Im Vorzimmer flirtete er kurz mit der Brünetten, die der Einladung zum Abendessen lächelnd zusagte.

      Sie hieß Margit und machte es ihm nicht allzu leicht. Der Unternehmer musste, wie so oft, erkennen, schöne Frauen waren intelligent und selbstbewusst. Zuweilen vergaß er, warum er sie eingeladen hatte, und war darüber verwirrt. Er wollte die intime Atmosphäre, die zwischen beiden entstand nicht durch Kromer oder Charlie zerstören. Um elf machte sie ihm klar, nicht allein nach Hause gehen zu wollen. Eins kam zum anderen und Sander hatte eine Idee, als Margit in seinen Armen einschlief. Er schlüpfte aus dem Bett, nahm ihren Schlüsselbund und fuhr zu Kromers Büro. Mit dem Schlüssel war er schnell in dem Raum mit dem Mahagonitisch und den Ledersesseln. Sander zog die schweren Gardinen vor die Fenster und schaltete die Schreibtischlampe an. Schnell durchsuchte er das Büro. Er schlug Ordner auf, stöberte in Karteikästen. Kromer schien nicht nur in dieser Stadt Künstler zu vermitteln. Der Amateureinbrecher schrieb ein Dutzend Namen und Telefonnummern auf. In einem anderen Kasten fand er Firmenadressen, darunter auch Business Top. Zehn Adressen schrieb er sich ebenfalls auf. Plötzlich horchte Sander auf. Ein Auto hielt an. Sander knipste das Licht aus und wartete. Das Geräusch von klirrendem Glas, quietschenden Reifen machten Sander bewegungsunfähig. Er musste hier raus.

      Schnell tastete er sich im Dunkeln vorwärts. Hastig wischte er an Karteikästen und Ordnern herum. Nur langsam gewöhnten sich die Augen an das fehlende Licht. Mist aber auch! Hörte er da schon die Polizeisirenen, nein, das war seine Panik. Er stieß eine Bodenvase um, die laut zerbrach. Er verfluchte sich, raste weiter. Er glaubte eine Ewigkeit zu brauchen, um aus dem Büro auf die Straße zu fliehen. Aus den Augenwinkeln sah er hinter jedem Fenster Augen, die ihn anstarrten und ihn wegen seiner Größe überall wiedererkennen würden. Er riss den Zündschlüssel herum und ließ den Motor absaufen. Neuer Versuch. Der Motor sprang heulend an. Er trat das Gaspedal durch und schoss drei Block weiter, ehe er die Scheinwerfer einschaltete.

      Leise und verschwitzt schlich er sich in die Wohnung. Sie schlief tief und fest. Er zog sich aus, duschte sich den Schweiß ab und schlüpfte zu ihr ins Bett. Kurz darauf klingelte das Telefon. Sander stellte sich schlafend, bis Margit aufstand und zum Telefon ging.

      „Ja, wer ist da? ...Was? Eingebrochen? Ja, natürlich, ich komme, so schnell ich kann.“

      Sander spielte nun auch den Erwachenden, grummelte:

      „Was ist?“

      Margit kam zu ihm, setzte sich auf die Bettkante.

      „Bei uns ist eingebrochen worden. Kromer will, dass ich sofort komme, um nachzuprüfen, was gestohlen wurde.“

      „Eingebrochen?“ Er richtete sich scheinbar plötzlich auf.

      „Ja!“

      „Was