Daniela Hochstein

Daimonion


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habe den Tod in schon vielen Gesichtern gesehen. Ich sah ihn beispielsweise bei meiner Frau und leider auch bei meinem einzigen Sohn... Ich sah ihn außerdem noch bei vielen anderen Menschen: Freunden, Verwandten, Kameraden. Dabei hatten jedoch alle etwas gemeinsam: sie waren zu diesem Zeitpunkt entweder ernsthaft erkrankt oder schwer verletzt. Und...´, Heinrich machte eine betretene Pause, `...sie sind alle bald darauf verstorben.´

      Erneut schwieg Heinrich und betrachtete seine furchigen Hände, die noch immer wie zwei verschlungene Baumwurzeln auf dem Tisch ruhten. Dann richtete er seinen stahlblauen Augen wieder auf mich.

      `Doch es ist nicht nur das... Ich bin nun selber alt und meine Jahre auf dieser Erde sind gezählt... Glauben Sie mir, nicht zuletzt auch dies schärft meinen Blick.´

      Ich hatte Heinrich aufmerksam zugehört und doch fehlte mir die Verbindung zu dem, was er nun über mich behauptet hatte. Er konnte doch unmöglich wissen, was ich war...

      Heinrich bemerkte meine Skepsis und bemühte sich, rasch fortzufahren.

      `Sie allerdings fallen vollkommen aus dem Rahmen! Wenn ich in Ihre Augen schaue, dann erkenne ich darin den Tod, doch alles an Ihnen erscheint bei bester Gesundheit, strotzend vor Kraft und Energie. Ein junger Mann in seinen besten Jahren...´

      Heinrich kniff die Augen zusammen, als hoffe er, auf diese Weise durch meine äußere Erscheinung hindurch in mein Inneres blicken zu können. So sah er mich eine Weile an. Dann jedoch gab er seinen Versuch mit einem leichten Kopfschütteln auf und sprach endlich weiter: `Nein, es ist nicht allein in Ihren Augen... Das ist falsch! Es ist nicht der Tod, der Sie bedroht... Es ist eher...´ Heinrich zögerte einen Moment und auf einmal weiteten sich seine Augen, `...es ist eher der Tod, der Sie umgibt... oder begleitet... Ja, das ist es!´

      Heinrich sah mich an, als habe er plötzlich etwas an mir entdeckt, das ihn erschreckte, aber ebenso auch faszinierte, und ich selbst war schlicht weg beeindruckt.

      Woran genau konnte er den Tod erkennen? Und wie konnte er ihn so exakt begreifen? Wusste er womöglich mehr über mich, als er vorgab?

      Ich saß skeptisch zurückgelehnt auf meinem Stuhl und beobachtete Heinrich aufmerksam, ohne dabei auch nur eine Miene zu verziehen. Ich beobachtete ihn dabei, wie er mich eingehend studierte und auf meine Reaktion wartete. Doch ich hielt es für klüger, nur ihn sprechen zu lassen und blieb daher stumm.

      Plötzlich lächelte Heinrich. Er lächelte mir unverwandt ins Gesicht, ohne den Anflug eines Misstrauens oder der Ablehnung. Es lag nichts als ein zutiefst ehrlicher Ausdruck darin und ich merkte, dass ich geneigt war, ihm blindlings zu vertrauen; allein wegen dieses Lächelns.

      Dann nahm Heinrich seinen Becher, der noch einen Rest Bier enthielt, und leerte ihn mit einem Zug. Zufrieden stellte er ihn ab und wandte sich wieder an mich.

      `Was halten Sie davon, mich in mein Haus zu begleiten. Dort können wir in Ruhe reden. Wenn Sie mögen, spielen wir auch eine Partie Schach?´

      Ich zögerte abermals.

      Was wollte Heinrich von mir? Wollte er mich vielleicht in eine Falle locken? Das abschreckende Erlebnis mit dem Nachtwächter hatte mir mehr als ausgereicht, um Respekt vor den Menschen zu haben, ja sogar, um mich davor zu fürchten, von ihnen durchschaut zu werden. Auf der anderen Seite konnte ich mir eigentlich sicher sein, dass Heinrich gar nichts über mich wissen konnte. Ich war gerade erst in dieser Stadt angekommen und ein weiteres Wesen wie mich gab es nicht. Wenn die Menschen über Vampire sprachen, schienen sie keine Ahnung zu haben, wie diese überhaupt aussahen. Was also hatte ich zu befürchten? Vielleicht war es wirklich einfach bloß Interesse, das Heinrich an mir hatte, aus eben den Gründen, die er mir vorhin genannt hatte; und eine unglaublich feinsinnige Intuition, die ihm ein präzise zutreffendes Gefühl vermittelte, ihm aber keine Erklärung dazu liefern konnte...

      Dazu kam, dass ich mich ebenso von ihm angezogen fühlte. Und auch ich konnte noch nicht genau erklären, warum das so war. Aber aus irgendeinem Grund war ich geblieben, als ich ebenso gut noch hätte gehen können.

      Nein, eigentlich war es keine Frage mehr, ob ich ihn begleiten würde oder nicht. Die Entscheidung hatte ich bereits getroffen, und zwar in dem Moment, in dem ich mich zu ihm gesetzt hatte.

      `Also gut, ich nehme Ihre Einladung an´, sagte ich schließlich und Heinrich nickte mit einem sichtlich erfreuten Grinsen um die Mundwinkel.

      Mit einer knappen Handbewegung winkte er die Wirtin heran, um zu bezahlen und verließ anschließend mit mir die Wirtschaft.

      Draußen stand eine Berline bereit. Der Fahrer kauerte mit verschränkten Armen auf seinem Sitz und war wohl während der langen Wartezeit eingenickt. Als Heinrich ihn anrief, schreckte er zusammen und schaute sich für einen kurzen Moment lang etwas verwirrt um, als habe er gerade etwas geträumt. Dann aber besann er sich, sprang von seinem Sitz herunter und öffnete die Kabinentür, um uns einsteigen zu lassen. Kurze Zeit später setzte sich die Kutsche in Bewegung und trug uns laut klappernd über das holprige Straßenpflaster zur Stadt hinaus und dann auf einer kleinen unbefestigten Landstraße Richtung Süden. Während der Fahrt saßen Heinrich und ich uns gegenüber und ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Heinrich mich immer wieder interessiert musterte. Ich selbst hingegen bevorzugte es, die meiste Zeit über aus dem Fenster zu schauen, und zwischendurch folgte Heinrich meinem Blick, als wüsste er gerne, was ich dort draußen in der für seine Augen fast undurchdringlichen Dunkelheit zu sehen vermochte.

      Nach ungefähr einer halben Stunde Fahrt näherte sich unsere Kutsche einem kleinen Schlösschen, dessen Fenster im Erdgeschoss noch vereinzelt erleuchtet waren. Zuletzt bog sie auf einen Weg ein, der direkt darauf zuführte, und hielt schließlich vor dem Eingangsportal an.

      Der Kutscher stieg ab und öffnete uns abermals die Kabinentür, worauf Heinrich mir mit einer einladenden Geste gebot, vor ihm auszusteigen. Zögernd kam ich dem nach, blieb aber dann staunend vor der Kutsche stehen, um das Schloss, das sich vor uns erhob, genauer zu betrachten.

      Wie zwei Wächter, war beidseits eines verspielten, zweigeschossigen Haupttrakts jeweils ein runder, oben spitz zulaufender Turm postiert, jeder angeschlossen an einen ebenerdigen Seitenflügel. Zu dem zentral gelegenen Eingangsportal wand sich von beiden Seiten eine geschwungene Treppe hinauf, um sich dort zu einer kleinen, halbrunden Terrasse zu vereinigen. Überall, wo ich auch hinsah, krochen blühende Sträucher und Ranken die Wände empor, was dem Gebäude etwas Märchenhaftes verlieh.

      Hätte man mich vorher gefragt, wie ich mir Heinrichs Heim vorstellte, so hätte ich viele Ideen gehabt, die aber allesamt mit der Wirklichkeit wenig gemeinsam gehabt hätten. Kurzum: ich war überrascht, aber es gefiel mir.

      `Wollen Sie mir nicht folgen?´, fragte Heinrich nach einer Weile leise, als wolle er mich nur ungern stören. Durch seine Worte aus meiner Versunkenheit gerissen, schüttelte ich den Kopf.

      `Aber natürlich´, sagte ich bloß und stieg daraufhin hinter ihm die Stufen zum Eingang hinauf.

      Kaum waren wir vor der Tür angekommen, wurde diese von einem Diener geöffnet und wir betraten eine großzügige Eingangshalle, beherrscht von einer breiten, sich nach oben verjüngenden Treppe. Ein roter Teppich lief ihre Stufen hinauf, bis zu der Galerie, in die sie mündete, und führte von dort aus zu den obigen Zimmern.

      Zu unserer Linken wie zur Rechten befanden sich riesige, zweiflügelige Türen, die gerade offen standen, sodass ich einen Blick hindurch werfen konnte. Präsentiert wurde mir zu jeder Seite ein großräumiger Salon, über den man wiederum in das nächste Zimmer gelangte.

      Nun war ich ja selber nicht verarmt aufgewachsen, aber ich musste zugeben, dass dies hier das Gut meiner Eltern doch um einiges an Größe und Ausstattung übertraf.

      Heinrich führte mich durch den Salon des rechten Flügels zu seinen privaten Räumlichkeiten, die kleiner und viel wohnlicher eingerichtet waren als der Salon selbst. Dort betraten wir eine kleine Bibliothek – seine ganz Persönliche, wie er erwähnte; denn es gab ebenso noch eine Große in dem anderen Flügel, die er jedoch eher zu repräsentativen Zwecken zu nutzen pflegte, auch wenn diese mittlerweile sehr selten geworden waren.

      Drei