Daniela Hochstein

Daimonion


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zusammenfahren ließ. Unwillkürlich fuhr ich mit meiner Zunge an meinen Zähnen entlang und fühlte dabei, wie die scharfen Spitzen meiner Eckzähne über ihre Oberfläche kratzten. Wie dumm war ich gewesen, die Leichen meiner Opfer Nacht für Nacht einfach liegen zu lassen, ohne darüber nachzudenken, was die Menschen daraus für Schlüsse ziehen würden, sobald sie sie gefunden hatten! Ich muss zwar zugeben, dass mir dieser Umstand bis vor zwei Nächten noch völlig gleichgültig gewesen war, aber jetzt bereute ich meine Nachlässigkeit dafür umso mehr, denn sie führte nun dazu, dass ich mich noch besser vorsehen musste, unerkannt zu bleiben.

      `Die Opfer wurden obduziert...´ Ulrichs unheilschwangere Stimme riss mich aus meinen Gedanken. `Es heißt, dass sie allesamt völlig blutleer gewesen sind... Der Dämon, er trinkt das Blut dieser armen Menschen und mit ihm ihre Seelen. Es heißt, es sei ein Vampir.´

      Ich schwieg.

      Vampir... Dieses Wort schwebte in der Luft wie ein Gespenst: durchscheinend, formlos, unfassbar. Das also war der Name für ein Wesen wie mich: Vampir...

      Ich formulierte diesen Begriff langsam in Gedanken und plötzlich fühlte ich mich anders. Meine Oberschenkel unter meinen Händen, meine Brust, die sich mit jedem Atemzug hob und senkte, mein Gesicht, über dessen Wangen die kalte Nachtluft strich, meine Haare, an denen der Fahrtwind zerrte, alles fühlte sich auf einmal anders an. Ich war ein Vampir! Und die Menschen hatten Angst vor mir. Solch eine Angst, dass sie sich des Nachts kaum nach draußen wagten...

      `Weiß man denn, wie so ein... Vampir... aussieht?´, fragte ich schließlich fast mechanisch, ohne Ulrich dabei anzusehen, wobei dieses Wort mir seltsam fremd vorkam, als ich es zum ersten Mal selbst laut aussprach. Für einen fast unangenehmen Moment lang spürte ich den nachdenklichen Blick des Kutschers auf meinem Profil ruhen, bevor er sich wieder auf die Rücken der Pferde richtete.

      `Ich habe zahlreiche, zum Teil hanebüchene Zeichnungen gesehen, doch keine ähnelt der anderen... Nein, ich glaube, man weiß nicht, wie diese Kreatur wirklich aussieht.´

      Kreatur...

      Plötzlich war mir nicht mehr nach einem Gespräch zumute. Daher nickte ich bloß und starrte in die Dunkelheit zu meiner Seite. Ulrich, der meine unvermittelte Schweigsamkeit freundlicherweise ohne Frage zur Kenntnis nahm, auch wenn er sie sicherlich gänzlich falsch deutete, schien wenig später ebenfalls in seine eigene Gedankenwelt abzutauchen, sodass wir eine Weile stumm des Weges fuhren, der uns inzwischen ein kurzes Stück durch den Wald führte.

      Der Mond schien zwar hell, doch wir hatten zusätzlich die Lampen beidseits des Kutschbocks entzündet und schaukelten nun, begleitet von geisterhaft zuckenden Schatten, zwischen den eng stehenden Bäumen dahin. Ich hatte bei diesem Wegesabschnitt von Anfang an kein gutes Gefühl gehabt, doch nun spürte ich, wie sich eine unbestimmbare Unruhe unter meiner Haut auszubreiten begann und meine Aufmerksamkeit wieder nach außen lenkte. Alarmiert sondierte ich meine Umgebung aus den Augenwinkeln. Dabei bezog ich auch Geräusche und Gerüche mit ein.

      Währenddessen mochte ich äußerlich zwar völlig arglos erscheinen, doch Ulrich, der Seite an Seite mit mir auf dem Bock saß, konnte meine körperliche Anspannung dennoch spüren. Ängstlich sah er mich an.

      `Der Dämon?´, fragte er flüsternd.

      Ich schüttelte kaum sichtbar den Kopf und bedeutete ihm mit meinem Finger vor den Lippen, still zu sein.

      Da war etwas. Ein Geräusch.

      Für einen Augenblick schloss ich meine Augen, um noch besser in die Nacht hinein lauschen zu können. Und da war es wieder. Diesmal allerdings mit solcher Deutlichkeit, dass ich nicht länger zweifelte, was ich zu tun hatte.

      `Darf ich?´, fragte ich Ulrich daher leise und nahm ihm dabei, ohne auf seine Antwort zu warten, die Zügel aus der Hand. Von den Umständen eingeschüchtert, ließ er mich freizügig gewähren.

      Zunächst behielt ich die Geschwindigkeit, mit der die Pferde vorantrabten, unverändert bei. Doch als wir uns endlich jener Stelle näherten, die zu umgehen zwar das Beste gewesen wäre, wozu uns aber keine Möglichkeit mehr blieb, schlug ich plötzlich peitschend mit den Zügeln auf die Rücken der Tiere. Erschrocken wiehernd warfen sie ihre Köpfe hoch und galoppierten fluchtartig los. Dabei hoffte ich, dass zum einen der Überraschungsmoment und zum anderen die Geschwindigkeit der Kutsche uns freies Geleit ermöglichen würden. Doch leider irrte ich mich da.

      Todesmutig sprangen zwei Männer auf den Pfad, einer davon hielt eine Fackel in der Hand. Die Pferde scheuten ob des plötzlichen Hindernisses, das da vor ihnen auftauchte. Abrupt blieben sie stehen und bäumten sich auf, sodass ich schon befürchtete, sie könnten uns im nächsten Moment durchgehen und die Kutsche zu Boden reißen. Aber bevor es noch dazu kommen konnte, griffen die Männer bereits beherzt in das Zaumzeug und zwangen die panischen Gäule zur Ruhe.

      Dann erst kamen zwei weitere Männer aus ihren Verstecken und stellten sich uns ebenfalls in den Weg. Ein junger, muskulöser Mann mit wildem Bartwuchs und schulterlangen, zum Teil verfilzten Haaren trat hervor und aus der Art seines Auftretens schloss ich, dass er dem Rang nach über den anderen stand.

      `Gebt mir alles, was ihr an Wert mit euch tragt und ich lasse euch unversehrt ziehen´, sprach er laut und bestimmt an Ulrich und mich gewandt, die wir bis dahin bloß tatenlos auf dem Kutschbock gesessen und ihn beobachtet hatten.

      `Wir haben nichts bei uns, was für euch von Interesse wäre´, entgegnete ich ebenso bestimmt.

      Der junge Mann lächelte kurz, als amüsierte ihn mein Widerstand, den er definitiv nicht ernst zu nehmen schien.

      `Das soll ich dir also glauben, Edelmann?´

      Er trat einen Schritt näher und seine Miene verfinsterte sich dabei, wohl damit sie bedrohlicher auf mich wirken sollte.

      `Zwing mich nicht, euch zu durchsuchen! Du könntest es bereuen.´

      `Tue es und du wirst es bereuen´, entgegnete ich in dem gleichen Tonfall.

      Der Räuber schaute mir mit hochgezogenen Brauen unverwandt in die Augen und presste dabei seine Zähne so fest aufeinander, dass sich seine Kiefermuskeln sichtbar anspannten. Dann lachte er ein wenig zu laut auf, um glaubhaft belustigt zu wirken, wandte sich von mir ab und befahl seinen Männern mit barscher Stimme: `Nehmt sie gefangen!´

      Auf sein Kommando hin, stürmten zwei seiner Leute auf unsere Kutsche zu, als hätten sie bereits mit gewisser Vorfreude darauf gewartet. Der Dritte hielt weiter die Pferde fest am Zügel.

      Ulrich schrie entsetzt auf und wollte, blind vor Panik, schnell die Flucht ergreifen. Doch er kam nicht einmal mehr dazu, den Kutschbock auch nur herunter zu klettern, da hatte ihn schon einer der Männer mit seiner schmutzigen Pranke am Mantel gepackt und unsanft von der Kutsche gezerrt. Aber kaum, dass Ulrich wieder festen Boden unter seinen Füßen spürte, versuchte er sich zappelnd aus dem unnachgiebigen Griff des Räubers zu befreien. Das jedoch war ein Fehler, denn der Räuber fackelte nicht lange. Er zog sein Messer aus dem Hosenbund und rammte es unvermittelt in Ulrichs linke Schulter. Dieser schrie auf vor Schmerz und sackte widerstandslos zu Boden, wo er zusammengekauert liegen blieb und sich wimmernd die Hand auf seine blutende Wunde presste.

      Wie gebannt starrte ich auf das Blut, das unermüdlich zwischen Ulrichs Fingern hervorquoll und die Luft mit seinem eisernen Geruch erfüllte. Ja, ich meinte sogar, es hören zu können, wie es mir plätschernd zuraunte: `Komm zu mir, trink von mir!´ Und ich spürte einen ziehenden Schmerz in meinen Wangen, während sich der Speichel in meiner Mundhöhle sammelte.

      Doch schon kurze Zeit später, wurde ich durch eine harte Hand aus meiner Faszination gerissen. Der Bandit hatte nun mich am Arm gepackt und wollte mit mir wohl ähnlich verfahren, wie zuvor mit Ulrich. Da zersprang ein rasender Zorn irgendwo in meiner Kehle, die eigentlich gerade nach nichts anderem verlangte, als nach Blut. Mit blitzartiger Geschwindigkeit und einem wütenden Aufschrei, entwand ich mich seinem Griff, sprang zu ihm herab, packte ihn mit beiden Händen am Kopf und drehte diesen mit einem krachenden Ruck einmal um seine Achse. Leblos fiel der Räuber zu Boden, noch bevor er überhaupt wusste, wie ihm geschah. Doch sein Fall war noch nicht zu Ende, da wurde ich bereits von dem Nächsten angegriffen,