Daniela Hochstein

Daimonion


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mich zu rannte. Aber als sähen meine Augen alles viel langsamer, als es in Wirklichkeit geschah, war es für mich ein Kinderspiel, meinem Angreifer auszuweichen, ihm dabei das Messer zu entwenden und es ihm noch in der gleichen Bewegung von hinten in den Rücken zu jagen. Dessen jedoch nicht genug, zog ich es, noch während er zu Boden stürzte, wieder heraus und stürmte damit auf den Dritten zu, der bis dahin reglos neben den Pferden gestanden hatte und artig ihre Zügel in der Hand hielt.

      Ohne sich zu bewegen, starrte er mich bloß an, als verstehe er überhaupt nicht, was sich gerade vor seinen Augen abspielte. Und noch bevor er überhaupt reagieren konnte, war ich schon bei ihm, hatte seinen Kopf bei den Haaren gepackt und ihm mit dem Messer die Kehle durchschnitten.

      Oh, wie sein Blut herausschoss!

      Wie gerne hätte ich es in diesem Moment über meine Lippen strömen lassen! Mein ganzer Körper verkrampfte sich vor Verlangen und womöglich hätte ich ihm spätestens an dieser Stelle nachgegeben, wenn sich nicht der junge Anführer noch immer für unbezwingbar gehalten hätte.

      Hart gesotten trat er mir gegenüber und blickte mir berechnend ins Gesicht. In seiner Hand hielt er ein langes, zweischneidiges Messer und ganz offensichtlich hatte er die Absicht, mich damit zu töten. Er hätte es gerne versuchen können. Was wäre das für ein Spektakel geworden, wenn er hätte feststellen müssen, dass ihm dies selbst mit dem größten Messer nicht gelungen wäre... Nun, ein Spektakel, das ich mir und Ulrich jetzt ersparen wollte.

      Also ließ ich mich auf ein kleines Gefecht mit dem jungen Räuber ein, in dem ich gekonnt seinen Attacken auswich und ihm zuletzt mein Messer in den Bauch stieß. Sterbend sank er zu Boden und ich musste mich eilig von ihm entfernen, um der Verlockung seines, vom Kampf erhitzten Blutes zu widerstehen.

      Stattdessen wandte ich mich Ulrich zu, der noch immer auf dem Boden lag und mit geschlossenen Augen und schmerzverzerrtem Gesicht seine rechte Hand gegen seine blutende Schulter drückte.

      Wohl wissend, welches Risiko ich damit einging und welche Willenskraft es von mir fordern würde, ging ich langsam zu ihm hinüber und kniete mich zaghaft neben ihm nieder. Dabei fiel es mir schwer, nicht ununterbrochen auf seine blutüberströmte Hand zu stieren.

      Mühsam musste ich mich von dem Anblick losreißen, um Ulrichs hilfesuchenden Blick zu erwidern.

      `Bleiben Sie ruhig! Ich kümmere mich um Ihre Wunde´, versuchte ich ihn zu beruhigen und lächelte ihn zuversichtlich an.

      Ich kümmere mich um Ihre Wunde... Wie einfach sich das sagen ließ... Wie einfach es einem gewöhnlichen Menschen wohl auch gefallen wäre... Doch als ich - nun einmal kein Mensch - nach einem entschlossenen Schlucken Ulrichs Mantel öffnete und auf den großen, nassen, roten Fleck auf seinem weißen Hemd blickte, musste ich unweigerlich meine Hände fortziehen und einen Moment lang innehalten.

      Zum Glück hatte ich eigentlich keinen großen Hunger, sodass ich bloß gegen die ungemeine Lust ankämpfen musste, mir das zu nehmen, was mein Körper so unbändig begehrte. Ansonsten hätte Ulrich diesen Moment sicher nicht überlebt.

      `Muss ich sterben?´, fragte er, der mein Zögern bemerkt hatte, mit zittriger Stimme, und als hätte er mich mit dieser Frage aus einem Traum gerissen, blickte ich ihn irritiert an.

      `Nein...! Nein, ich kriege das wieder hin´, versprach ich ihm eilig und machte mich gegen alle inneren Widerstände zum Trotz daran, sein Hemd aufzureißen, um seine Wunde freizulegen. Dabei biss ich mir in der Not heimlich auf die Zunge, bis sie blutete und mir der Geschmack meines eigenen Blutes für eine gewisse Zeit die nötige Ruhe verschaffte, um mich auf mein Tun konzentrieren zu können.

      Wie sich bei näherer Untersuchung herausstellte, war das Messer wohl an der obersten Rippe abgerutscht und daher nicht sehr tief in Ulrichs Körper eingedrungen. Doch es musste dummerweise ein Gefäß getroffen haben, denn das Blut floss in Strömen, sobald der Druck von außen auf die Wunde nachließ.

      Instinktiv – und damit meine ich den Instinkt eines Menschen, den ich glücklicherweise auch noch zu besitzen schien - presste ich meine Hand darauf und blickte mich dabei suchend um. Ich brauchte etwas, um Ulrich verbinden zu können. Da ich jedoch nichts Brauchbares entdeckte, entschloss ich mich kurzum, Ulrichs ohnehin schon zerrissenes Hemd zu verwenden. Solange, wie ich allerdings brauchte, um ihm sein Hemd vom Leib und in Streifen zu reißen, gebot ich ihm, die Wunde selbst abzudrücken, was er auch wie geheißen tat. Mit seiner freien Hand aber griff er schwach nach meinem Arm.

      `Bitte´, begann er mit müder Stimme. `Bitte, Sie müssen... die Wunde säubern!´ Er machte eine kurze Pause, als müsse er erst neue Kraft schöpfen, bevor er in stoßweisen Atemzügen weiter sprechen konnte. Sein Anliegen schien ihm jedoch sehr wichtig zu sein, sodass er sich die Ruhe, die er dringend nötig hatte, nicht gönnen wollte.

      `Im Krieg damals... mein Kamerad... hatte eine Blutvergiftung... ist gestorben... Seine Wunden... wurden zu spät... gereinigt...´

      Ulrichs Anliegen erschien mir in der jetzigen Situation zwar völlig absurd, denn meiner Ansicht nach war es jetzt viel wichtiger, die Blutung möglichst bald zum Stillstand zu bringen, da der Blutverlust bereits sehr groß war. Doch schließlich nickte ich, wollte ich doch, dass er sich nicht länger unnötig aufregte.

      `Also gut! Wo kann ich denn in der Kutsche Wasser oder etwas Ähnliches finden?´

      Ulrich machte ein betroffenes Gesicht.

      `Ich habe... nichts...´

      Ich verdrehte die Augen.

      `Womit, glauben Sie denn, soll ich Ihre Wunde hier nun reinigen?´

      `Haben Sie vielleicht... selbst etwas dabei?´, fragte Ulrich hoffnungsvoll. Doch ich schüttelte bloß den Kopf und betrachtete Ulrich nachdenklich, während ich mir erneut auf meine inzwischen wieder verheilte Zunge biss. Teufel, ich wollte endlich fertig werden, denn erstens würde Ulrich den Blutverlust nicht mehr lange verkraften und zweitens mochte ich mir nicht ständig auf die Zunge beißen! Also fuhr ich schließlich fort, Ulrichs Hemd in Streifen zu reißen.

      `Vielleicht können Sie... die Wunde aussaugen... und so vom Dreck befreien...?´, fiel Ulrich auf einmal ein, der scheinbar nicht bereit war, sich mit der gegebenen Situation abzufinden.

      Sprachlos hielt ich wieder inne und starrte ihn an. Wenn er nicht aufpasste, würde ich ihn bald nicht nur von dem Dreck, sondern auch noch von seinem Leben befreien...

      `Wissen Sie eigentlich, worum Sie mich da bitten?´ Empört schüttelte ich den Kopf, als genüge das zur Antwort, und riss mit einem kräftigen Ruck den nächsten Streifen aus dem Hemd.

      `Bitte!´, hauchte Ulrich und als ich ihm in die Augen blickte, standen darin nackte Angst und Verzweiflung.

      `Unmöglich!´, schmetterte ich seine Bitte dennoch ab und machte mich daran, den Stoffrest, den ich gerade in meinen Händen hielt, zusammenzurollen, um ihn nachher unter dem Verband auf die Wunde zu legen und damit die Blutung abzudrücken. Gleichzeitig aber sog ich kräftig das Blut aus meiner Zunge, um mich mühsam von dieser ungemeinen Versuchung abzulenken, in die Ulrich mich da führte. Doch selbst wenn es anfangs noch etwas genützt hatte, so wurde der Effekt mittlerweile deutlich geringer. Immer lauter wurde die Frage in mir: Warum denn nicht? Er bittet dich ja sogar darum! Warum also nicht?

      Schließlich legte ich den Stoff entschlossen beiseite.

      `Also gut´, sagte ich nur und beugte mich über Ulrichs Schulter. Dann legte ich vorsichtig meine Lippen um seine Wunde und begann, behutsam daran zu saugen.

      Selbst wenn ich heute wieder über diese Szene nachdenke, erinnere ich mich noch lebhaft daran, welche Furcht ich damals hatte, möglicherweise nicht mehr rechtzeitig aufhören zu können, und wie ich mich währenddessen schalt, überhaupt auf Ulrichs Bitte eingegangen zu sein. Doch auf der anderen Seite hätte ich ohne dies vielleicht nie die Gabe erkannt, die ich bis heute als sehr segensreich empfinde.

      Es war ein eigenartiger, süßherber Geschmack, als Ulrichs Blut sich mit dem aus meiner Zunge vermischte und, begleitet von einem angenehm prickelnden Gefühl, meine Kehle hinunter lief. Doch mir blieb nur wenig Zeit, dieses