Daniela Hochstein

Daimonion


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hier schildere, aber das war sie in diesem Moment ganz und gar nicht. Im Gegenteil: es war das erste Mal, dass ich als Mensch, den ich nun darstellte, tötete.

      Die Auswahl meines Opfers erfolgte zudem nicht, wie sonst, nach rein moralischen, sondern ganz eindeutig auch nach sehr egoistischen Maßstäben. Erschwerend kam noch hinzu, dass mein Opfer – ein Mann meines Alters - nicht vor mir erschrak oder beim ersten Anblick bereits wusste, dass ich nichts Gutes bringen würde. Vielmehr fasste er direkt Zutrauen zu mir, sodass er mich sogar mit den üblichen Floskeln begrüßte, als ich mich ihm näherte. Ich tat mich daher wirklich schwer, ihm so unbarmherzig das Leben auszusaugen. Aber ich versuchte mich dem Mitleid zu verschließen und stattdessen an das Prinzip der Selbsterhaltung zu denken.

      Fressen und gefressen werden... In diesem Moment galt es nun eben, mich zu nähren und mein Überleben zu sichern.

      Für den nächsten Abschnitt meiner Reise machte ich mich auf die Suche nach einem Kutscher, der bereit war, mich noch in dieser Nacht in die nächste große Stadt zu fahren.

      Allerdings erwies sich dies als viel schwieriger, als ich zunächst gedacht hatte. Das lag nicht unbedingt daran, dass der Abend schon fortgeschritten war und nur noch Wenige überhaupt wach waren, die ich hätte ansprechen können. Nein, es war noch früh genug, um ausreichend Kutschen auf der Straße anzutreffen, die sich gerade auf dem Weg zu den Stallungen befanden oder sogar schon davor standen, während die Pferde noch für die Nacht versorgt wurden. Doch gleich, wen ich ansprach und versuchte, mit einem guten Preis zu locken, jeder lehnte strikt ab, des Nachts zu fahren, was mich zugegebener Maßen sehr verwunderte.

      Erst nach längerem Suchen und einer deutlichen Preiserhöhung, traf ich endlich auf einen Fahrer, der sich zwar schwer mit der Entscheidung tat, aber schließlich doch einwilligte.

      Da sich die Pferde bereits im Stall befanden, musste ich eine Weile warten, bis sie wieder herausgeführt und vor die Kutsche gespannt worden waren. Währenddessen beobachtete ich interessiert, wie die Stallburschen – etwas mürrisch, weil sie sich eigentlich schon in ihrem erwarteten Feierabend wähnten - ihre Arbeit verrichteten. Der Kutscher trieb sie dabei ungeduldig an, während er, die Brauen sorgenvoll zusammengezogen, selbst Hand mit anlegte. Er wollte die Fahrt allem Anschein nach schnell hinter sich bringen, fast als sei sie ihm unheimlich, auch wenn ich mir diese Furcht nicht erklären konnte.

      Nachdem die Kutsche endlich bereit zum Aufbruch war, öffnete der Fahrer einen Deut zu ruppig die Kabinentür und signalisierte mir mit einer pflichtbewussten Geste, nun einzusteigen. Doch ich winkte ab.

      `Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gerne oben auf dem Kutschbock mitfahren´, erklärte ich.

      Der Fahrer, ein schlanker, kleiner Mann, sah mich für einen kurzen Moment irritiert an, wobei er seine ohnehin schon schmalen Augen skeptisch zu zwei Sicheln zusammenkniff.

      Ich lächelte entschuldigend.

      `Ich genieße es immer, mir bei der Fahrt die frische Luft um die Nase streichen zu lassen.´

      Die Wahrheit aber war, dass ich mit ihm sprechen wollte. Mir war einfach danach, mich mit einem Menschen zu unterhalten, denn ich hatte schon so lange kein richtiges Gespräch mehr geführt. Zudem war ich neugierig, was es für Neuigkeiten aus der Welt der Lebenden gab.

      Nach kurzem Zögern nickte der Fahrer schließlich stumm und stieg, ohne sich weiter nach mir umzusehen, hinauf auf seinen Platz. Ich tat es ihm nach, wobei ich langsam daran zweifelte, dass ich neben diesem Mann tatsächlich auf meine Kosten kommen würde, und so begann die Fahrt tatsächlich sehr schweigsam.

      Nachdem wir, auf meine Bitte hin, noch meinen Schrankkoffer bei dem Lederwarenhändler abgeholt und auf die Gepäckablage geschnallt hatten, sollte es endlich auf die Reise gehen. Griesgrämig trieb der Kutscher die Pferde an und starrte dabei wortlos vor sich hin, ohne mich weiter zu beachten.

      Ich empfand sein Verhalten als recht unhöflich. Immerhin wurde er mehr als gut von mir für diese Fahrt bezahlt, und ein Fünkchen mehr Freundlichkeit konnte man dafür doch schließlich verlangen. Dann aber dachte ich mir, dass es viel interessanter wäre, herauszufinden, warum diese nächtliche Fahrt ihn sowie all die anderen derart mit Widerwillen erfüllte, und ich entschloss mich, aller Abweisung zum Trotz ein Gespräch mit ihm zu beginnen.

      `Was für eine herrliche Nacht, nicht wahr?´

      Ein Murren war die einzige Antwort, die ich bekam. Ich wartete eine Weile, doch der Kutscher machte keinerlei Anstalten gesprächiger zu werden.

      `Ich nehme an, Sie verdienen nicht jede Nacht so gut wie diese?´

      Auf ein zustimmendes Grunzen seitens des Fahrers folgte wieder bloß beharrliches Schweigen. Aber gerade, als ich meine Hoffnung auf eine gehaltvollere Antwort aufgeben wollte, begann der Kutscher tatsächlich doch noch zu sprechen.

      `Für weniger hätte ich das Risiko auch nicht auf mich genommen...´, knurrte er.

      Ich war überrascht.

      `Welches Risiko?´, fragte ich und der Fahrer blickte mich daraufhin nicht weniger überrascht an.

      `Wissen Sie denn nicht, was hier nachts geschieht? Sie sind wohl nicht von hier.´

      Neugierig zog ich die Stirn kraus.

      `Nein, aber vielleicht mögen Sie mir ja Näheres erzählen...´

      Der Kutscher – sein Name war Ulrich – starrte grimmig geradeaus und schloss dabei seine Hände zu festen Fäusten um die Zügel.

      `Hier kommen nachts Menschen zu Tode...´, sagte er und senkte dann seine Stimme um eine Tonlage, wohl um den folgenden Worten noch mehr Bedeutung zu verleihen: `Und es heißt, sie sterben nicht auf natürliche Weise!´

      `Mhm...´

      Ich war etwas enttäuscht, klang es doch arg nach einem kindischen Ammenmärchen, das nichts anderem dienen sollte, als sich gegenseitig Angst einzujagen.

      `Nun, wer weiß, vielleicht haben sie sich zu Tode erschreckt, weil es dunkel draußen geworden ist.´ Ich versuchte, mir ein spöttisches Grinsen zu verkneifen.

      Ulrich schaute mich entrüstet an und für einen kurzen Augenblick meinte ich, Zorn in seinen Augen aufblitzen zu sehen.

      `Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht unterbrechen. Es war bloß ein dummer Spaß von mir´, beeilte ich mich, ihn wieder zu besänftigen, damit er weiter sprach.

      Nach einem missmutigen Seitenblick in meine Richtung fuhr Ulrich schließlich fort: `Es heißt, ein Dämon fällt hier des Nachts über die Menschen her, um ihre Seelen auszusaugen und mit sich in die Tiefen der Hölle zu reißen.´

      Es folgte eine Pause, in der Ulrich sich verhalten umblickte, als befürchtete er, dass er allein durch seine Worte eben diesen Dämon aus der Dunkelheit heraufbeschwören könnte.

      `Also gut´, nahm ich daraufhin den Faden auf, `hier kommen also nachts Menschen zu Tode... Aber wieso ausgerechnet sollte ein Dämon sie töten? Wie steht´s mit Mördern von ganz menschlicher Natur, die ihr Unwesen hier treiben? Das wäre doch eine viel naheliegendere Erklärung, oder?´

      Ulrich schüttelte energisch seinen Kopf, während er mich mit großen Augen anblickte, als hätte ich noch nicht recht verstanden.

      `Nein, es heißt, dass man bei den Leichen...´ Ulrich schluckte, als müsse er erst einen Widerstand in seiner Kehle überwinden, bevor er weitersprechen konnte. `... Na ja, dass man bei ihnen Bisswunden am Hals gefunden hat. Immer an der gleichen Stelle. Und zwar hier...´

      Er tippte mit seinem Finger auf seinen Hals, dorthin, wo die Halsschlagader verlief. Eine mir durchaus sehr vertraute Stelle.

      `Sie sehen - so sagt man - weder aus, als seien sie von einem Raubtier, noch von einem Menschen. Vielmehr würde... beides gleichzeitig passen.´

      Diesmal war ich es, der den plötzlichen Widerstand in seiner Kehle überwinden musste. Entgeistert starrte ich Ulrich an.

      `Sehen Sie, jetzt vergeht Ihnen Ihr Spott´, sagte er daraufhin, nicht ohne einen gewissen Triumph in