Daniela Hochstein

Daimonion


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Geruch eines herannahenden Frühlingsmorgens. Mit geschlossenen Augen sog ich den Duft tief in mich ein und stellte mir dabei vor, wie sich gleich die Nebelschleier langsam, vom Licht der Morgensonne erwärmt, von den taunassen Wiesen erheben und sich schließlich in ihrem rosafarbenen Zwielicht auflösen würden. Mit diesem Bild vor Augen wollte ich schlafen gehen.

      Ich schloss die Fensterläden und zog die Vorhänge zu. Es wurde höchste Zeit, denn die Dämmerung begann sich schon in blassem Grau am wolkenlosen Horizont abzuzeichnen. Es würde sicher ein sonniger Tag werden...

      Ein sonniger Tag, den ich nicht miterleben würde. Ein sonniger Tag, wie ich ihn niemals mehr erleben würde.

      Seltsamerweise hatte ich bis jetzt noch gar nicht richtig über diese Tatsache nachgedacht. Aber jetzt, wo ich wieder unter Menschen weilte, fiel es mir umso schmerzhafter auf. Dennoch, morgen Abend würde ich erwachen und wieder Mensch sein. Irgendwie. Dazu war ich fest entschlossen.

      Kapitel 9

      Müde ging ich zu dem Bett hinüber und löste die Bänder, mit denen die vier Bettvorhänge zurückgehalten wurden. Dann legte ich mich angezogen wie ich war - samt Stiefel - rücklings auf die, über dem Bett ausgebreitete Tagesdecke. Wohlig versank ich ein Stück in der weichen Matratze und schlief unmittelbar darauf ein.

      Obgleich mein Schlaf über Tag immer traumlos, tief und ohne das geringste Bewusstsein war, fühlte ich mich nach diesem Mal unglaublich erholt. Als ich meine Augen aufschlug, war es absolut finster in meinem Zimmer und ich brauchte einen kurzen Moment, mich daran zu erinnern, wo ich eigentlich war. Letztendlich war es die, meinen Körper sanft umschmeichelnde Matratze, welche mir dabei entscheidend auf die Sprünge half.

      Ich musste lächeln, denn es war einfach wunderbar, in solch einem Bett wach zu werden! Wie lange hatte ich das entbehren müssen... Es war sogar so wunderbar, dass ich noch eine ganze Weile mit geöffneten Augen liegen blieb und schlicht weg dieses angenehme Gefühl genoss.

      Dann aber begann ich darüber nachzudenken, welche nächsten Schritte nun zu unternehmen waren. Schließlich raffte ich mich – nicht ganz ohne Bedauern – auf, verließ das Bett und öffnete die Vorhänge und Fensterläden. Draußen war die Sonne bereits untergegangen und das letzte Dämmerlicht ließ schon die ersten hellen Sterne am Himmel aufleuchten. Ich liebte diesen Zeitpunkt, denn hier hatte ich in der Tat noch das Gefühl, es sei Tag.

      Die Menschen waren noch unten auf den Straßen unterwegs; sei es, um ihre letzten Besorgungen zu tun oder nach getaner Arbeit heimzugehen, und sie verliehen der Stadt den Hauch der Lebendigkeit, der alsbald jedoch mit zunehmender Dunkelheit verflog.

      Nach einer geraumen Weile löste ich mich schließlich von dem Anblick der einschlafenden Stadt unter meinem Fenster und ging zu dem kleinen Nachttisch, der sich neben dem Bett befand, um eine dort befindliche Kerze zu entzünden. In dem Licht der Flamme, nahm ich das Zimmer nun zum ersten Mal eingehend in Augenschein. Dabei entdeckte ich in einer Nische, die hinter einem Vorhang verborgen lag, einen Wachtisch mit Waschschüssel und wassergefülltem Krug sowie einen großen Spiegel, der sofort meine Neugier weckte.

      Ich zog den Vorhang zur Seite, holte den Kerzenleuchter, um ihn auf dem Waschtisch abzustellen und trat näher an den Spiegel heran. Skeptisch, ja sogar ein wenig ängstlich musterte ich mein Spiegelbild von oben bis unten, als sähe ich mich zum ersten Mal, was in gewisser Hinsicht sogar zutraf. Doch so sehr ich mich auch anfangs vor dem gefürchtet hatte, was ich wohl erblicken könnte, so erleichtert war ich nun, festzustellen, dass ich mich im Grunde nicht sehr verändert hatte.

      Auf den ersten Blick sah ich nach wie vor aus, wie ein gewöhnlicher Mensch. Vielleicht etwas blass, aber in Adelskreisen galt dies ohnehin als modern und würde daher nicht weiter auffallen. Bloß meine Augen..., an ihnen, schien mir, hatte sich etwas verändert. Es war eigenartig. Bisher waren sie von brauner Farbe gewesen, wie die meines Vaters. Nun aber waren sie schwarz. Und sie besaßen einen eigenartigen Glanz. Doch wenn ich ganz genau hinsah, schien dieser aus ihnen selbst heraus zu kommen, denn zu meiner Verblüffung zeigte sich auf meiner Iris kein Spiegelbild, so sehr ich auch versuchte, eines einzufangen. Dies unterschied mich von den Menschen.

      Ein weiteres Detail waren meine Eckzähne. Nacht für Nacht fühlte ich sie hinter meinen Lippen, an meiner Zunge; treu ebneten sie mir den Weg in die Hälse meiner Opfer. Stets waren sie präsent. Anfangs hatte mich diese Tatsache irritiert und manches Mal sogar geärgert. Inzwischen hatte ich mich an sie gewöhnt. Aber gesehen hatte ich sie noch nie.

      Also öffnete ich meinen Mund und zog mit meinem Finger die Oberlippe ein wenig hoch, um sie zu betrachten. Ich muss zugeben, dass ich dies nicht ganz ohne Widerwillen tat, waren sie doch am engsten mit meiner verhassten Natur verbunden. Spitz und scharf prangten sie mir entgegen. Allerdings waren sie kürzer, als ich erwartet hätte, aber dabei immer noch länger, als sie es gewöhnlich bei einem Mensch sind. Diesen Umstand notgedrungen zur Kenntnis nehmend, ließ ich meine Lippe wieder los, auf dass sie sich über meine kleinen Mordinstrumente schieben und sie wieder verdecken konnte. Beim Sprechen würden sie sich glücklicherweise gut versteckt halten. Bloß beim Lachen sollte ich in Zukunft aufpassen.

      Andere Dinge wiederum, hatten sich überraschender Weise gar nicht verändert. Beispielsweise war mein Kopfhaar keinen Deut länger geworden, obgleich der letzte Haarschnitt ein gutes dreiviertel Jahr zurücklag. Gut, es war ziemlich zerzaust, aber dem konnte schnell Abhilfe geschaffen werden.

      Ebenso zeichnete sich nicht einmal der Schatten eines Bartes auf Wangen und Kinn ab, ohne dass ich mich in den letzten Monaten rasiert hätte. Ein Blick auf meine Fingernägel machte mir bewusst, dass auch sie seit meiner Verwandlung nicht gewachsen waren. Ich hatte bisher gar nicht darauf geachtet, aber nun fiel es mir auf. Mein Gesicht war weder schmaler, noch runder geworden. Nein, es war genauso, wie ich es in Erinnerung hatte.

      Es schien, als sei ich in gewisser Weise in dem Zustand konserviert, in dem ich mich unmittelbar vor der Verwandlung befunden hatte. Alles, was daran etwas geändert hätte, seien es Wunden, Narben, abgebrochene Nägel oder dergleichen, wurde von meinem Körper regeneriert und in den alten Zustand zurückgeführt. Eine eigenartige Vorstellung... Ob beruhigend oder eher Besorgnis erregend, vermochte ich dabei nicht einmal zu sagen. Für die Begegnung mit den Menschen allerdings, war das zunächst nicht von Belang.

      Mit einem Kamm, der glücklicherweise bereitlag, ordnete ich schließlich meine Haare und zupfte die vom Schlaf verrutschte Kleidung noch etwas zurecht. Dann wandte ich mich von dem Spiegel ab, steckte die Geldbörse in meine Westentasche und verließ das Gasthaus; allerdings nicht, ohne den Wirt noch gebührend für seine Dienste zu belohnen. Überschwänglich bedankte er sich und ich empfand es mal wieder als eindrucksvoll, wie sehr die Welt dem Geld zu Füßen lag. Ein Umstand, den ich zukünftig auch bei der Auswahl meiner Opfer mit zu berücksichtigen gedachte. Denn es würde immer wieder Situationen geben, in denen mir wohl nur die Taler helfen konnten, meine Wünsche zu unpassenden Uhrzeiten erfüllt zu bekommen.

      Als Erstes an diesem Abend, noch vor der Jagd, suchte ich einen Lederwarenhändler auf. Glücklicherweise fand ich auf Anhieb einen, der sich auch nach Ladenschluss noch in seinem Geschäft aufhielt, sodass ich nur anzuklopfen brauchte. Er zögerte zwar, mir zu öffnen, ließ sich aber mithilfe eines entschuldigenden Lächelns meinerseits doch dazu überreden.

      Auf diese Weise erstand ich mir schließlich einen überteuerten, fast mannshohen Schrankkoffer, den ich nicht etwa für die vielen Kleidungsstücke benötigte, die ich nicht besaß. Nein, er würde mir andere Dienste leisten müssen: Er würde meine dunkle Schlafgelegenheit sein, wenn ich einmal unterwegs war und nirgends ein, vor dem Sonnenlicht absolut sicheres Nachtlager bis zur Morgendämmerung finden konnte.

      Ihn zu besitzen empfand ich doch als ungemeine Beruhigung und ich gab dem Händler ein großzügiges Trinkgeld, damit ich den Koffer noch solange bei ihm unterstellen durfte, bis ich ihn dann im Laufe der Nacht abholen würde.

      Hiernach machte ich mich schließlich auf die Jagd, bis ich satt genug war, um nicht gleich bei dem bloßen Geruch jedes beliebigen Menschen gegen darbenden Blutdurst ankämpfen zu müssen. Dabei achtete ich außerdem darauf,