Daniela Hochstein

Daimonion


Скачать книгу

bis ich mich plötzlich vor einem kleinen, eigentlich eher unauffälligen Geschäft wieder fand.

      Ich blickte bloß beiläufig durch das verstaubte Fenster hinein, aber als ich sah, was sich dahinter befand, musste ich zugeben, dass mein Nachsinnen wohl doch nicht so erfolglos geblieben war, wie ich bis dahin geglaubt hatte. Mein Blick fiel geradewegs auf allerlei Tintenfässer in unterschiedlichen Farben, außerdem Federn in sämtlichen Varianten sowie stapelweise Papier, und just in diesem Moment wusste ich, wie ich meiner Familie helfen konnte.

      Der Abend war bereits so weit fortgeschritten, dass der Laden geschlossen und die Lichter darinnen gelöscht waren. Der Besitzer hatte sich wahrscheinlich schon in seine Gemächer zurückgezogen und würde bald schlafen gehen. Ich beschloss daher, mich in einer dunklen, nahe gelegenen Nische zu verstecken und noch so lange zu warten, bis auch die letzten Lichter hinter den übrigen Fenstern des Hauses erloschen und nächtliche Ruhe eingekehrt war. Dann erst wagte ich mich wieder hervor und ging zu der Ladentüre.

      Mit einem kurzen, kräftigen Hieb schlug ich die dünne Scheibe ein, die wie ein kleines Fenster auf Augenhöhe in das Türblatt eingelassen war. Dann griff ich mit der Hand durch das Loch und entriegelte die Tür von innen, um mir Zugang zu verschaffen. Hastig schaute ich mich noch einmal um, bevor ich schließlich das Lädchen betrat und geradewegs auf die Schreibutensilien zusteuerte.

      Es hätte alles zusammengenommen nicht lange gedauert und ich wäre mit den wenigen Dingen, die ich brauchte, über alle Berge gewesen, bis man den Diebstahl schließlich entdeckt hätte; davon jedenfalls war ich ausgegangen. Doch wie es der Teufel wollte, musste der Besitzer des Ladens gerade zu diesem Zeitpunkt zufällig in der Nähe gewesen sein, sei es, dass er gerade auf dem Weg war, sich Erleichterung zu verschaffen, oder was weiß ich, welche Gründe ihn noch umher getrieben haben. Jedenfalls hatte er die Geräusche, die ich bei meinem Einbruch verursacht hatte, gehört und öffnete nun, mit einer Pistole in der einen und einem Kerzenleuchter in der anderen Hand, die Innentür zu seinem Geschäft.

      Ich erstarrte vor Schreck, denn ich war überhaupt nicht darauf vorbereitet, ja ich hatte ihn nicht einmal kommen gehört. Zu sehr war ich damit beschäftigt gewesen, mir Tintenfass, Feder und Papier zusammenzusuchen und mich für diese gute Idee zu beglückwünschen.

      Vorsichtig betrat der Mann den Laden und hielt seinen Leuchter hoch, während er sich achtsam umschaute. In der Zwischenzeit hätte ich mich vielleicht noch rasch verstecken oder aber auch einfach davonrennen können, wenn das Licht der Kerze mir nicht gerade unmittelbar in meine empfindlichen Augen geschienen und mich unangenehm geblendet hätte. So aber blieb mir, der ich die letzten Monate lediglich im Schein des Mondes und der Sterne verbracht hatte, nichts anderes übrig, als schützend meinen Arm vor das Gesicht zu heben und blinzelnd zu versuchen, meine Augen an das Licht zu gewöhnen.

      Ich musste gruselig in dem flackernden Schein der Flamme ausgesehen haben: zerzaustes Haar, dreckige, lumpige Kleidung, nackte Füße und kalkweiße Haut... Jedenfalls schrie der Kaufmann erschrocken auf, als er mich erblickte, stellte eilig den Leuchter beiseite, hob seine Pistole hoch, zielte auf mich und drückte den Abzug. Laut krachend löste sich ein Schuss, dessen Kugel mich direkt in die linke Brust traf und mit unglaublicher Wucht rücklings zu Boden schleuderte. Ein massiver Holzschrank bremste schließlich meinen Fall und bohrte mir dabei noch zu allem Überfluss den runden Griff einer Schublade in den Rücken. Keuchend vor Schmerzen blieb ich an den Schrank gelehnt liegen und starrte fassungslos auf meine Brust, wo die Kugel eine klaffende Wunde aufgerissen hatte. Mein Blut schoss unaufhaltsam daraus hervor, durchtränkte binnen Sekunden mein zerrissenes Hemd und sammelte sich in kürzester Zeit zu einer Pfütze unter mir auf dem Boden. Ich konnte fühlen, dass die Kugel bis in mein Herz vorgedrungen war und es genauso aufgerissen hatte wie meine Haut. Eine bedrohliche Schwärze zog langsam an dem Horizont meines Bewusstseins herauf und ich fürchtete, mein Herz würde nun schlussendlich doch stehen bleiben, auch wenn der Dolch des Wegelagerers ihm damals nur wenig ausgemacht hatte.

      Die Geräusche um mich herum begannen zu verblassen, die Welt zu einem immer enger werdenden Loch zusammen zu schrumpfen. Meine Gedanken wollten sich zunehmend verflüchtigen und ich wähnte mich bereits des endgültigen Todes, da klarte mein Bewusstsein plötzlich wieder auf. Ich spürte, wie mein Herz sich in meiner Brust kräftig, ja fast wütend zusammenzog, als müsse es einmal tief Luft holen. Es machte einen kurzen Satz, um daraufhin sogar mit doppelter Kraft weiter zu pumpen. Und dann passierte etwas, das mich nicht minder überraschte als den Kaufmann, der - mich bereits für sterbend haltend - herangetreten war und auf mich herabblickte.

      Es begann mit dem eigenartigen Gefühl, als krampfe sich mein Brustkorb wie eine Faust zusammen, während gleichzeitig der Blutstrom aus meiner Wunde versiegte. Sie fing von innen heraus zu heilen an und ich konnte spüren, wie die Kugel dabei Stück für Stück aus meinem Körper herausgequetscht wurde, bis sie wie ein welkes Blatt von mir abfiel. Mit einem klirrenden Geräusch plumpste sie schließlich zu Boden und kullerte dem Kaufmann direkt vor die Füße. Dieser starrte sichtbar verwirrt zunächst die Kugel und dann mich an.

      `Das ist unmöglich´, flüsterte er benommen und wich bestürzt vor mir zurück.

      Aufgeschreckt durch den Schuss, waren inzwischen sämtliche Mitbewohner des Hauses herbeigeeilt und hatten sich in dem kleinen Laden versammelt, sodass sie ebenfalls zwangsläufig Zeugen dieser wundersamen Heilung wurden. Furchtsam betrachteten sie mich, wobei niemand es wagte, sich mir weiter zu nähern.

      Ich wollte aufstehen und die Gunst der Stunde nutzen, um so schnell wie möglich zu entwischen. Doch zu allem Unglück war gerade in diesem Moment der Nachtwächter von draußen hereingekommen, der auf seinem Rundgang wohl zufällig in der Nähe gewesen sein musste und ebenfalls von dem Krach der Pistole angelockt worden war. Er war ein äußerst kräftiger, großer Mann von sicherlich bereits vierzig Jahren. Breitbeinig stand er in der Tür und blockierte damit meinen einzigen Fluchtweg. Verzweifelt blickte ich mich um, fand aber einfach keine andere Möglichkeit, zu entkommen.

      Ich war gefangen!

      Der Nachtwächter war, wie ich bald zu spüren bekam, ein Mann der Tat. Noch während der Kaufmann ihm mit überschlagender Stimme berichtete, was vorgefallen war – dabei bezeichnete er mich als Teufel, der schleunigst auf den Scheiterhaufen gehörte – war dieser mit überraschender Schnelligkeit an mich herangetreten, hatte mich kurzer Hand gepackt und mit einer gekonnten, kraftvollen Bewegung auf den Bauch gedreht. Ebenso flink verschränkte er mir meine Arme auf dem Rücken, sodass mir hiernach nicht mehr der geringste Bewegungsspielraum blieb. Gleich, wie stark ich sein mochte, in dieser Position hatte ich nicht viel davon, und bei jedem Versuch, mich zu befreien, drückte der Kerl meine Arme noch fester auf den Rücken, was verdammt schmerzhaft war!

      Mochte mein Körper keinen dauerhaften Schaden durch Verletzungen erleiden, weil er sich stets rasch davon wieder erholte, aber – weiß Gott - Schmerzen konnte man mir immer noch zufügen...

      `Schnell, ich brauche einen festen Strick, damit ich den Bastard hier fesseln kann´, befahl der Nachtwächter mit barscher, tiefer Stimme, worauf ich hören konnte, wie sich jemand eilig in Bewegung setzte, mit schnellen Schritten im Nebenzimmer verschwand und bald darauf wieder zurückkehrte. Unmittelbar darauf spürte ich, wie der Nachtwächter beherzt meine Handgelenke aneinanderzufesseln begann, und dabei war er wirklich nicht zimperlich. Er zurrte den Strick so fest zusammen, dass meine Hände taub wurden, und dessen nicht genug, verfuhr er ebenso mit meinen Fußgelenken. Zudem schien er auch noch eine sichtliche Freude daran zu haben, mir auf jede erdenkliche Weise weh zu tun. Zuletzt packte er mich bei den gefesselten Beinen und drehte mich mit einem unsanften Schwung auf den Rücken, um mich dann, unter den befriedigten Blicken der Anwesenden, aus dem Laden heraus zu schleifen.

      Ein feiner Sprühregen hing in der Luft und legte sich wie ein feuchtes Tuch über mein Gesicht, sobald wir ins Freie gelangten. Ungerührt zog mich der Nachtwächter über das nasse Pflaster quer durch die schlafende Stadt und nahm dabei keinerlei Rücksicht auf die Steine und Kanten, die überall nur darauf lauerten, gegen meinen Schädel schlagen und mir wie unnachgiebige Krallen die Haut an Rücken und Armen aufreißen zu können. Für was auch immer dieser Kerkermeister mich nach den Schilderungen des Ladenbesitzers hielt, einen gewöhnlichen Menschen hätte er sicherlich nicht derart unwürdig behandelt, dessen