Daniela Hochstein

Daimonion


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werden sollte – wie auch immer diese ausgesehen hätte... Niemand von ihnen hatte sich auch nur im Geringsten dafür interessiert, warum ich war, wie ich war. Niemand hatte gegen das Verhalten des Nachtwächters protestiert, gleich wie brutal er mit mir umgegangen war. Dabei hatten sie ja nicht einmal wissen können, dass ich eine Gefahr für sie darstellte, denn bis dahin hatte ich noch niemandem etwas zu Leide getan. Sie wussten lediglich durch das, was sie gesehen hatten, dass mein Körper etwas Übernatürliches an sich hatte. Und das war ihnen schon Grund genug, nach meiner Vernichtung zu schreien...

      Was zog ich daraus nun für Schlüsse?

      Zunächst einmal war ich enttäuscht, denn wie oft habe ich darüber nachgedacht, wie ich mein neues Leben meiner menschlichen Moral unterordnen könnte und hatte mir dabei viel Disziplin bis hin zur Selbstverleugnung abverlangt (denn natürlich war es weit schmackhafter und lustvoller, in den wohlriechenden Hals einer jungen, hübschen Frau zu beißen, als in den eines nach ranzigem Schweiß stinkenden Banditen...).

      Und wozu? Waren diese Menschen es tatsächlich wert, Achtung vor ihrem Leben zu haben, während sie selbst alles, was andersartig und nicht direkt zu erklären war, sofort aus der Welt schaffen wollten, ohne es erst einmal genauer betrachtet zu haben?

      Meine Antwort lautete trotzdem `Ja´. Nicht für die Menschen selbst, aber für mein eigenes Gewissen, das sich immer noch als das eines Menschen fühlte, der Seinesgleichen nicht töten durfte.

      Doch obgleich ich gewillt war, mich weiterhin möglichst an meine selbst auferlegten Regeln zu halten, beschloss ich, nicht mehr so streng zu mir zu sein, denn wenn auch mein Gewissen noch menschlich war, so war ich es selbst eben nicht mehr. Das Töten war seit meiner Verwandlung für mich nun nicht mehr allein ein Akt der Grausamkeit, nein, er beinhaltete, neben der Erhaltung meiner Existenz, ebensosehr auch etwas durchaus Lustvolles - so befremdend es vielleicht klingen mag, und so schwer es mir anfangs fiel, mir dies einzugestehen. Ich war nun etwas Anderes - auch wenn ich noch immer keinen Namen dafür hatte - und gehorchte damit anderen Gesetzen. Mein Überleben war jetzt daran geknüpft, Blut von Menschen zu trinken. Das war meine Nahrung, meine Natur, und für mich galt ihr Gesetz, wie für jede andere Lebensart dieser Erde: das oberste Ziel ist die Selbsterhaltung!

      Dies bedeutete aber auch, dass ich mich so, wie ich war - untot, übernatürlich, von einem blutgierigen Dämon besessen - niemals einem Menschen offenbaren können würde, ohne dabei um mein Leben fürchten zu müssen; selbst wenn ich mich noch so gut unter Kontrolle haben würde.

      Und es bedeutete, dass ich alleine war. Es gab niemanden, mit dem ich mein Dasein teilen konnte. Niemand, der meine widerstreitenden Gefühle verstehen können würde. Niemand, der jemals Interesse an meinem Überleben haben würde, außer mir selbst... Dies in letzter Konsequenz zu begreifen fiel mir nicht leicht und diese Erkenntnis lag wie ein drückender Stein auf meiner Brust, sodass ich das Gefühl hatte, stetig dagegen anatmen zu müssen.

      Ich betrachtete mein Leben: die Vergangenheit und die Zukunft, und dabei reifte in mir der Entschluss, dass ich so, wie bisher nicht weiterleben wollte. Ich wollte nicht länger ausgestoßen sein und bloß von Weitem an dem Leben der Menschen teilhaben. Ich wollte nicht jede Nacht von der Sehnsucht nach meiner Familie zerrissen werden. Ich ertrug diesen Zustand nicht mehr länger und ich musste einsehen, dass ich hier nicht mehr hingehörte. Also beschloss ich, meinen derzeitigen Aufenthaltsort, die Gruft nahe meinem Elternhaus, zu verlassen und nie wieder dorthin zurückzukehren.

      So nahm ich mir das Papier, Feder und Tinte und begann, meiner Mutter zu schreiben. Ich verfasste den Brief mit der linken Hand, damit sie meine Schrift nicht erkennen konnte und schrieb ihr, dass ihr Sohn von einer Räuberbande schwer verletzt im Wald gefunden und mitgenommen worden war. Aufgrund seiner Kleidung, die ihn als Edelmann verriet, hatte man gehofft, ein hohes Lösegeld für ihn erpressen zu können. Doch nach einer langen Zeit im Delirium, hatte er erst jetzt, kurz vor seinem Versterben, noch einmal den Verstand wiedererlangt und seine Identität endlich preisgegeben.

      Ich schrieb ihr als jemand, der lieber unbekannt bleiben, aber aus Mitgefühl mit einer besorgten Mutter, diese wenigstens von dem Tod ihres Sohnes in Kenntnis setzen wollte. Ihr Sohn sei im Wald beerdigt worden, mehr könne der Verfasser des Briefes jedoch leider nicht verraten.

      Dann faltete ich das Papier, fügte als Zeichen für den Wahrheitsgehalt des Schreibens noch eine Haarsträhne von mir hinzu und schlich mich zur tiefsten Nachtzeit an das Haus meiner Eltern heran, um ihn, beschwert mit einem Stein, vor der Eingangstür abzulegen.

      Ich verharrte noch einen Moment vor der Tür und überlegte, ob ich hiermit die richtige Entscheidung getroffen hatte. Doch was hätte ich noch anderes für sie tun können? Ich würde ihnen nie wieder unter die Augen treten können. Also sollten sie sich lieber endgültig mit meinem Tod abfinden, anstatt ewig in Ungewissheit zu bleiben und vergebens darauf zu hoffen, dass ich irgendwann vielleicht doch wieder zurückkehren würde.

      Schließlich wandte ich mich ab und verschwand, ohne mich noch einmal umzusehen. Aber ich ging nicht zurück zu der Gruft, um dort auf den Sonnenaufgang zu warten und zu schlafen. Nein, davon hatte ich genug! Ich hatte genug von diesem steinernen Totenbett, genug von den zerrissenen Lumpen an meinem übernatürlichen Leib, genug davon, wie ein Raubtier durch die Wälder oder die dunklen Gassen zu schleichen, stets darauf bedacht, von niemandem gesehen zu werden. Ich hatte genug von meinem einsamen Schattendasein! Ich wollte wieder unter den Menschen leben und mich in ihrer Gesellschaft befinden!

      Das mag paradox klingen, hatte ich doch gerade erst erlebt, was es für mich bedeuten konnte, wenn ich von ihnen erkannt wurde. Doch vielleicht war es genau das, was mich dazu bewog, mich als Ihresgleichen auszugeben und auf diese Weise unerkannt von ihnen akzeptiert zu werden.

      Daher suchte ich mir in dieser Nacht ein ganz besonderes Opfer, wohl wissend und trotzdem in Kauf nehmend, dass ich diesmal meinen Grundsätzen nicht treu bleiben würde.

      Es war zu solch später Stunde zwar nicht einfach, den Richtigen zu finden, aber ausnahmsweise schien mir das Schicksal diesmal wohlgesonnen zu sein.

      Einsam auf einer leeren Straße in der schlafenden Stadt, spazierte ein junger Mann, der genug Ähnlichkeit mit mir hatte, als dass er für meinen Zweck taugte. Er hatte ungefähr mein Alter, meine Körperstatur und –größe, und der Kleidung nach zu urteilen, schien er eher gehobenen Kreisen anzugehören. Wahrscheinlich befand er sich gerade auf dem Heimweg nach einem geselligen Abend in irgendeinem Wirtshaus, aber das sollte mich jetzt nicht weiter interessieren.

      Unbemerkt verfolgte ich ihn ein Stück seines Weges und passte ihn schließlich an einer dunklen Brücke, die über einen kleinen schwarzen Fluss führte, ab.

      Der junge Kerl gehörte sicher nicht zu der Gruppe Menschen, die ich gewöhnlich zu töten pflegte, aber hier musste der Zweck einmal das Mittel heiligen, denn leider war dieses Opfer für die Umsetzung meines Vorhabens notwendig, denn vorrangig hatte ich es auf seine Kleidung abgesehen.

      Der gestrige Einbruch und seine unseligen Folgen saßen mir noch zu tief in den Knochen, als dass ich nun bereit war, auch nur das geringste Risiko einzugehen, noch einmal in die Finger irgendeines Ladenbesitzers oder Nachtwächters zu geraten. Die Kleidung also einfach aus einem Geschäft zu stehlen, kam für mich heute Nacht nicht in Frage.

      Den jungen Mann bloß bewusstlos zu schlagen und ihn dann zu berauben, erschien mir ebenfalls zu gefährlich. Was war denn, wenn er mich doch noch irgendwie zu Gesicht bekam oder wenn seine Ohnmacht bloß von kurzer Dauer war? Ich würde unweigerlich Gefahr laufen, erkannt zu werden. Nein, mir blieb keine sicherere Idee, als das zu tun, was ich mittlerweile gut und unbemerkt konnte: Töten.

      Dabei machte ich mir nur zu gern das Wissen zu nutze, mein Herz gegen die Schelte meines empörten Gewissens zu verschließen. Das wenigstens hatte ich inzwischen nach so vielen Opfern gelernt.

      Unbemerkt schlich ich mich von hinten an den jungen Mann heran und nahm ihm sein Leben kurz und schmerzlos. Ich würde sagen, er bekam nicht einmal viel davon mit.

      Dann wuchtete ich ihn mir über die Schulter, verließ die Straße und ging mit ihm den kleinen Wall hinab zum Ufer des Flusses. Dort suchte ich mir ein finsteres Eckchen unterhalb der Brücke, wo ich ihn