Daniela Hochstein

Daimonion


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ehrliche Antwort zu geben, soweit es mir möglich ist.´ Sie räusperte sich kurz und ihre Stimme verriet, dass sie mit den Tränen kämpfte, als sie zögernd weiter sprach: `Unser jüngster Sohn ist seit einigen Monaten verschwunden. Sein Pferd sowie sein Gewehr wurden draußen im Wald gefunden, doch von ihm selbst fehlt bis heute jede Spur... Wir haben Wochen lang nach ihm suchen lassen. Zunächst hatten wir noch die Hoffnung, dass er eines Tages wiederkehren würde. Doch dann kam der kalte Winter...´ Meine Mutter schluckte schwer, sprach aber tapfer weiter. `Alle behaupten, dass er ihn unmöglich da draußen überlebt haben kann...´ Bei diesen Worten senkte meine Mutter den Kopf und hob ihre Hand vor die Lippen, als wolle sie ihnen verbieten, weiter zu sprechen.

      `Verzeihen Sie´, presste sie hervor, stand auf und verließ eilig das Zimmer, wohl - ich kannte sie gut genug, um das zu wissen - weil sie ihre Tränen nun nicht mehr zurückhalten konnte. Aber nicht nur sie, sondern auch Elisabeth begann daraufhin zu schluchzen. Schnell zog sie ein Taschentuch aus ihrem Ärmel hervor, um ihr Gesicht darin zu verbergen. Mein Vater hingegen starrte einfach geradeaus, mit einem Gesicht, wie eine empfindungslose Maske, fast als wäre er maßlos enttäuscht von mir.

      Diese Szene mit anzusehen, versetzte mir einen brennenden Stich mitten ins Herz. Die Brust vor Kummer eng zusammengeschnürt, riss ich mich von dem Anblick los und floh mit blutender Seele in die dunkle Nacht, wo ich mich hinter dem nächsten Busch verkroch und nun selbst meinen aufgestauten Tränen freien Lauf ließ.

      Es war eine Sache gewesen, sich den Schmerz, den mein Verschwinden meiner Familie bereitete, nur in etwa vorzustellen - konnte man sich dabei noch vor der schlimmsten Betroffenheit verschließen. Nun aber in ihre Gesichter zu schauen und die quälende Ungewissheit in ihrem gesamten Ausmaß darin zu erblicken, hatte noch einmal eine ganz andere Qualität, und es grämte mich zutiefst, dies zu erkennen.

      Angestrengt grübelte ich darüber nach, ob und wie ich wenigstens ihrem Leid noch Linderung verschaffen konnte, wenn es für Meines schon keine gab. Doch je mehr ich mir den Kopf darüber zerbrach, desto leerer fühlte er sich paradoxer Weise an. Letztlich hockte ich einfach bloß da, starrte zwischen den kahlen Ästen hindurch auf das Haus meiner Eltern und kämpfte gegen das Bollwerk meiner Ideenleere, errichtet aus schlechtem Gewissen, betäubender Trauer und zuletzt auch noch meinem langsam hindurchsickernden Durst, der bald schon an Intensität zunahm und jeden Gedanken, den ich aufnahm, bloß in die all zu bekannte Richtung lenkte...

      Schließlich sah ich ein, dass es keinen Sinn mehr hatte, hier an Ort und Stelle auf den grandiosen Einfall einer überzeugenden Lösung zu hoffen. Daher stand ich seufzend auf und machte mich schweren Schrittes auf den Weg Richtung Stadt. Dort, so hoffte ich, könnte ich wenigstens dieses eine, stets beharrlich wiederkehrende, dabei aber zutiefst verhasste Bedürfnis rasch befriedigen.“

      ***

      Armon spürte, wie der Druck von Ambriels Hand auf seiner Schulter sich verstärkte, und verstummte. Fragend schaute er ihn an, fand seinen Blick aber nicht erwidert. Stattdessen waren die Augen des Engels auf den Richter geheftet. Dieser griff die Pause sogleich auf.

      „Was gibt es, Ambriel?“, fragte er.

      „Euer Ehren, ich bitte Euch, an dieser Stelle nun selbst einen Zeugen aufrufen zu dürfen.“

      Erschrocken weiteten sich Armons Augen und er starrte den Engel mit offen stehendem Mund an. Was hatte Ambriel vor? Wen konnte er denn schon als Zeugen laden, der für ihn sprechen würde? Sollte Ambriel ihn vielleicht getäuscht haben über seinen Glauben an ihn und seiner Gesinnung, für Armons Seele zu kämpfen? Würde Armon gleich ganz alleine vor dem Tribunal stehen und geradewegs der Hölle in ihr feuriges Antlitz blicken?

      „Ich bitte Ludwig, den Nachtwächter herein“, sprach Ambriel und warf Armon dabei so flüchtig, dass es keiner sonst wahrgenommen haben mochte, ein Augenzwinkern zu. Jetzt verstand der Vampir.

      Als der Nachtwächter den Saal betrat, lugte Armon verstohlen zu Cheriour hinüber, der den behäbigen Gang des Zeugen mit skeptischem Blick verfolgte. Geräuschvoll nahm der Nachtwächter im Zeugenstand Platz, erwartungsvoll den Fragen entgegen sehend, die gleich an ihn gerichtet würden.

      Ambriel verzichtete darauf, an den Zeugen heranzutreten, hätte er dazu ja Armons Schulter loslassen und ihn damit wieder seinen üblen Verbrennungen und den Schmerzen anheim geben müssen. Daher fragte er von seinem Platz aus.

      „Ludwig, ich nehme an, dass Sie diesen Mann hier wieder erkennen?“

      Grimmig starrte der Nachtwächter in die Richtung des Vampirs.

      „Und ob.“

      „Er hat Sie getötet, nicht wahr?“

      Das Gesicht des Zeugen verdüsterte sich.

      „Allerdings hat er das. Ich war auf der Wache eingenickt und er hat mich geweckt. Mit seinen...“

      „Vielen Dank für Ihre Antwort“, unterbrach Ambriel den Zeugen abrupt. „Sie brauchen die Details nicht näher erläutern. Mein Taktgefühl gebietet mir, Ihnen dies zu ersparen. Vielmehr möchte ich wissen, ob Sie sich den Grund erklären können. Haben Sie eine Vermutung, warum mein Schützling Ihnen das angetan haben könnte?“

      Fassungslos sah der Nachtwächter Ambriel in die Augen.

      „Was ist das für eine Frage? Dieser Mann da, ist ein Monster. Mein Blut wollte er. Meine Seele! Es gab sonst keinen Grund...“

      Ambriel nickte.

      „Mhm. Ihnen kommt also gar nichts in den Sinn, was ihn vielleicht zu seinem Handeln getrieben haben könnte? Sie haben sich ihm gegenüber stets vollkommen anständig und korrekt verhalten?“

      Empört schaute der Zeuge in die Runde, auf der Suche nach Beistand. Ein Raunen erhob sich in der Menge und Ambriel hoffte, noch ein wenig Zeit zu haben, bis Cheriour, der bereits unruhig von einem Fuß auf den anderen trat, eingreifen würde.

      „Was hätte ich denn anderes tun sollen? Er war in diesen Laden eingebrochen. Es hatte eine Schießerei gegeben. Der Schuss war es ja gewesen, der mich erst herbeigerufen hat... Er war schuldig! Außerdem...“

      „Wessen war er schuldig?“

      Der Nachtwächter stutzte, unwillig, weil er nicht hatte ausreden dürfen.

      „Diebstahl.“

      „Hat er tatsächlich etwas gestohlen?“

      Wieder zögerte der Nachtwächter.

      „Nein“, gab er schließlich missmutig zu.

      „Wessen also war er schuldig?“

      „Einbruch.“

      „Und sagen Sie mir: haben Sie meinen Schützling gemäß dieses Vergehens, Einbruch, tatsächlich angemessen behandelt?“

      Hilfesuchend sah der Zeuge sich um. Jetzt reichte es Cheriour. Energisch trat er hervor und erhob seine Stimme.

      „Euer Ehren, ich weiß nicht wohin diese Befragung führen soll. Vielmehr nimmt sie Formen an, die ich nicht länger akzeptieren möchte. Ich bitte Euch, die Zeugenvernehmung hier zu beenden.“

      Hoffnungsvoll wanderte Ambriels Blick von Cheriour zu dem Richter, doch dieser hob bloß seine Hand und signalisierte damit, dass Cheriours Einwand stattgegeben wurde. Enttäuscht ließ Ambriel seinen angehaltenen Atem entweichen. Betrübt musste er erkennen, dass selbst der Richter dem gewünschten Urteil ferner war, als Ambriel geglaubt hatte. Dennoch, selbst wenn er seine Vernehmung nicht hatte zu Ende führen können, so war er doch entscheidend weit gekommen. Den Rest würde hoffentlich Armon selbst liefern, der nun wieder aufgefordert wurde, weiter zu berichten.

      Kapitel 7

      „In den letzten Monaten hatte ich meine anfängliche Scheu, die Stadt zu betreten, weitestgehend abgelegt. Ich hatte meine Wege gefunden, auf denen ich mich ungesehen bewegen konnte, um mir meine Opfer zu suchen, und hatte inzwischen meine favorisierten Ecken, wo ich diesbezüglich in der Regel schnell fündig wurde. Doch trotz meines brütenden Durstes,