Daniela Hochstein

Daimonion


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bringen...

      Als ich endlich mit meiner Arbeit fertig war, dämmerte es bereits. Müde schob ich die Steinplatte wieder vor den Eingang, ging hinüber zu dem Sarg und legte mich etwas widerstrebend hinein.

      Bis dahin hatte ich mir noch keine Vorstellung davon gemacht, wie es sein würde, sich lebendig in solch ein muffiges Totenbett zu legen, und es stieß mir zunächst unangenehm auf, dass es viel zu eng war, um mich, wie gewohnt auf der Seite liegend zusammenrollen zu können. Stattdessen war ich gezwungen, in gerader Haltung dazuliegen, die Hände über der Brust gefaltet, wie ein Leichnam. Für einen erholsamen Schlaf war das Ding auf jeden Fall nicht geeignet. Doch da ich tagsüber ohnehin wie ein Toter schlief, war der Sarg für diesen Zweck grotesker Weise ganz passend und insbesondere eben auch sicher.

      Anfangs lag ich bei noch geöffnetem Sarg da, um mich zunächst an den Gedanken gewöhnen zu können, gleich hier drinnen zu schlafen. Der Geruch nach Moder und verfaulten Knochen lud nicht gerade zum Verweilen ein. Aber das war noch gar nichts gegen den Moment, in dem ich den schweren Marmordeckel über mir zuschob. Denn sobald sich der letzte Spalt geschlossen hatte, und die bisherige Finsternis einer undurchdringlichen Schwärze gewichen war, begann mein Herz plötzlich zu rasen, als sei der Teufel hinter ihm her. Hektisch schnappte ich nach Luft, in der Furcht, gleich ersticken zu müssen. Leider führte das dazu, dass mein Herz seine Geschwindigkeit noch steigerte und ich zuletzt glaubte, es müsse jeden Augenblick zerspringen. Ich versuchte, mich zusammenzureißen und mich strikt darauf zu konzentrieren, ruhig ein- und auszuatmen, allerdings mit wenig Erfolg. Schließlich stemmte ich mich panisch gegen den Deckel, um ihn eilig fort zu schieben und erleichtert aufzuatmen, als mir endlich wieder frische Luft entgegenschlug. Niemals hätte ich geglaubt, dass diese Enge eine derartige Furcht bei mir auslösen könnte.

      Es bedurfte noch einiger Versuche, bis es mir endlich gelang, den Sarg über mir zu schließen und halbwegs ruhig darauf zu warten, dass der Tag mich von diesem Elend erlöste.

      Als der folgende Abend mich wieder in die Welt der Lebenden zurückholte und ich meine Augen aufschlug, war ich für einen kurzen Moment irritiert, denn ich konnte trotz meiner übernatürlichen Sehkraft nichts erkennen außer tiefster Dunkelheit. Keine Konturen, keine Schattierungen, bloß eine Fläche von Schwarz. Unwillkürlich fuhr ich hoch, was jedoch auf halber Strecke für meinen Kopf mit einem schmerzhaften Rumms gegen den verdammten Sargdeckel endete, der sich mir dadurch wieder in Erinnerung brachte. Ich fluchte laut und schlug zornig mit der Hand gegen die Wand meines steinernen Gefängnisses. Dann aber schob ich rasch den Deckel zur Seite und sprang heraus, als fürchtete ich, diesem Ding sonst nie wieder entkommen zu können. Draußen holte ich erst einmal tief Luft und streckte erleichtert meine Glieder aus, die sich noch ganz unbeweglich und steif anfühlten.

      `Was für ein Leben´, dachte ich dabei bloß sarkastisch, wurde aber kurz darauf von meinem treuen abendlichen Schatten wieder auf den Boden der grausamen Tatsachen zurück geholt, so dass mir selbst der Sarkasmus verging: Mein Durst nach Blut.

      Der letzte Versuch, ihn zu ignorieren, hatte mir bloß demonstriert, dass seine Rache dafür grausam und unausweichlich war. Also beschloss ich, ihm nun rechtzeitig nachzugeben. Diesmal aber wollte ich ihn kontrollieren, und dazu erlegte ich mir bestimmte Regeln auf, welche die Tatsache des Trinkens – wenn es sich schon nicht vermeiden ließ - für mein Gewissen halbwegs erträglich machen sollten.

      Die wichtigste Regel dabei lautete für mich, niemals von `guten´ Menschen zu trinken oder von solchen, deren Tod ganze Existenzen vernichtet hätte. Die Einzigen, die zu töten ich mir gestatten wollte, waren bösartige oder lasterhafte Menschen, die allein schon durch ihr bloßes Dasein Unheil oder Zerstörung über andere brachten. Und an diesem Abend wollte ich mit meiner Suche nach diesen `schlechten´ Menschen beginnen.

      Kapitel 6

      Ich hatte mich in dem Ostviertel der Stadt, dort wo nachts bloß noch loses Pack und Huren anzutreffen waren, in einer engen Gasse auf die Lauer gelegt; meinen Blick hungrig an einen schmächtigen Mann geheftet. Seit Stunden hatte ich ihn nun schon beobachtet, war ihm wie ein Schatten gefolgt, auf Schritt und Tritt. Er war eine Ratte und erfüllte mich schon durch sein äußerliches Erscheinungsbild mit Widerwillen, mit seinem fliehenden Kinn, der langen, spitzen Nase und dem verschlagenen Blick. Wieselflink huschte er an den Freiern der Huren vorbei, rempelte sie zufällig an und zog ihnen dabei unbemerkt die Börsen aus den Taschen. Nicht, dass ich Mitleid mit den Freiern gehabt hätte, sie waren nicht minder abstoßend. Doch diese Ratte hier erschien mir einfach schlecht. Ihn erlaubte ich mir, zu töten und jetzt war der geeignete Zeitpunkt dafür.

      Es bedurfte kaum eines Aufwandes und noch weniger Kraft, mir die Ratte zu packen und in eine finstere Nische zwischen zwei Häusern zu ziehen. Ich hielt meine Hand auf seinen Mund gepresst, so dass er keinen Mucks von sich geben konnte, und kümmerte mich nicht um seine panisch aufgerissenen Augen, als ich meine Zähne in seinen Hals grub und sein Blut verschlang.

      Die Aufschreie meines Gewissens blieben aus und ich glaubte mich tatsächlich in meiner Idee bestätigt. So einfach schien es zu sein und Hoffnung keimte in mir auf. Hoffnung, meinen Durst kontrolliert löschen zu können, ohne mich danach wie ein Verdammter zu fühlen.

      Doch die Hoffnung sollte schnell zunichte gemacht werden.

      Während ich noch trank, fühlte ich, wie zunächst Nebelschleier vor meinem inneren Auge aufzogen. Sie nahmen Farben und Formen an und verdichteten sich schließlich zu fließenden Bildern. Und da erkannte ich die Ratte. Er war noch klein, ein dürres, in Lumpen gekleidetes Kind, das auf seinen sterbenden Vater blickte und seinen Worten lauschte, mit denen er ihm die Sorge für die Mutter und die drei jüngeren Geschwister übertrug. Das Bild verwischte, fügte sich neu zusammen und ich sah, wie die kleine Ratte in einer Gasse von den größeren, stärkeren Straßenjungs verprügelt und ausgeraubt wurde. Was blieb ihm zuletzt anderes übrig, als überall möglichst unbemerkt zu bleiben? Was blieb ihm anderes, als heimlich zu stehlen? Er hatte eine große Verantwortung und nie eine andere Chance gehabt.

      Als die Ratte in meinen Armen hing, durch mein Saugen inzwischen seines tristen Lebens beraubt, hörte ich den Schrei wieder. Den Schrei meines Gewissens...

      Nach dieser Erfahrung beschloss ich, mich in Enthaltsamkeit zu üben. So waren mir wenigstens ein oder zwei – wenn auch hungrige - Nächte am Stück gegönnt, die ich ohne den Akt des Tötens verbringen konnte. Darüber hinaus jedoch blieb ich auf das Blut der Menschen angewiesen.

      Um meine Urteilskraft zu verbessern, begann ich, die Menschen zu beobachten, bevor ich mich entschied, sie zu töten. Mit der Zeit wurde ich darin immer akribischer, denn je länger ich einem Menschen folgte, desto mehr Facetten erkannte ich plötzlich an ihm. Und irgendwann diente dies nicht mehr allein der Auswahl meiner Opfer, sondern es wurde eine Art Beschäftigung für mich. Auf diese Weise konnte ich noch Anteil an dem Leben der Menschen haben, wo es mir darüber hinaus doch leider versagt blieb, wie Ihresgleichen unter ihnen zu leben.

      Manchmal kam es sogar vor, dass ich mein anfängliches Opfer mit der Zeit lieb gewann und über eine gewisse Dauer wie einen Freund begleitete, wobei ich jedoch stets bloß ein unsichtbarer, stummer Verfolger blieb, sodass derjenige mich nicht bemerkte.

      Ja, sie bemerkten mich nicht, aber ich lud sie in meiner Vorstellung häufig ein zu mir in meine Gruft. Dort sprach ich sogar zu ihnen, erzählte ihnen von mir, von meinen Gedanken über die Menschen, die ich auf diese Weise kennengelernt hatte, von meinen Ideen bezüglich des Sinns meiner Existenz. Ich gestand ihnen meine absonderliche Natur, versicherte ihnen dabei aber auch stets mein Bemühen, meine Moral trotz allen Umständen zu erhalten; und zuletzt ließ ich sie wieder gehen. Ohne sie zu töten.

      Es vergingen schließlich Monate. Monate, in denen ich die Fähigkeit erlangte, die Grundhaltung eines Menschen intuitiv zu erspüren. Das war sehr hilfreich, wenn ich meinen Durst einmal schnell stillen wollte, ohne mich danach ewig mit Selbstvorwürfen zu quälen.

      Aber es waren auch Monate der tiefsten Einsamkeit, und letztendlich waren es wohl insbesondere die Gespräche zu meinen imaginären Freunden, die mir halfen, diese Zeit zu überdauern; jede Nacht