Daniela Hochstein

Daimonion


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er zum Sprechen ansetzen, doch kein Laut sollte mehr über seine Lippen kommen. Denn blitzschnell sprang ich auf ihn zu, riss ihn dabei zu Boden und setzte mich auf seinen Brustkorb. Völlig überrascht von meinem unerwarteten Angriff, versuchte der Bärtige, mich mit wild umherschlagenden Armen und unermüdlich windenden Bewegungen wieder abzuschütteln. Aber es nutzte ihm nichts. Zielstrebig umfasste ich mit einer Hand seinen Unterkiefer und drehte seinen überstreckten Kopf entgegen seinem Widerstand mit einem Ruck zur Seite. Wie ein halb verhungertes Tier verbiss ich mich in seiner Halsschlagader, entschlossen, verlangend, unnachgiebig, und trank sein Blut in tiefen Zügen, ungeachtet seiner langsam nachlassenden Schläge gegen meinen Kopf.

      Oh, sein Blut war so unglaublich wohltuend! Mit jedem Schluck, den ich tat, entspannte sich mein von Hunger und Durst gepeinigter Körper mehr und mehr. Ich hätte vor Glückseligkeit laut seufzen und einfach dahin fließen mögen. Doch dieser berauschende Zustand sollte leider nicht lange anhalten. Denn plötzlich fühlte ich etwas Spitzes, Schneidendes, das sich tief in meinen Rücken bohrte und mich vor Schmerz jäh zusammenzucken ließ. Sofort hielt ich inne, unfähig noch eine Bewegung zu tun. Sogar das Schlucken war mir auf einmal unmöglich, weswegen mir das Blut einfach wieder aus meinem Mund heraus lief. Ich wollte unwillkürlich Luft holen, doch auch der Atem versagte mir, und zuletzt wurde mir schwindelig. Der Ohnmacht nah, riss ich mich zusammen und wollte mich aufrichten, was mir mit größter Mühe sogar noch gelang. Doch kaum, dass ich auf meinen Beinen stand, wurde mir auf einmal schwarz vor Augen und ich geriet ins Straucheln. Verzweifelt suchte ich Halt, ohne ihn jedoch zu finden, auf dass ich schließlich bewusstlos zu Boden stürzte.

      Aber schon während ich aufschlug, spürte ich, wie meine Sinne zurückkehrten und mein Herz plötzlich wütend in meiner Brust zu schlagen begann, fast als wollte es sich von etwas Lästigem befreien. Endlich war ich in der Lage, einen tiefen Atemzug zu tun, und als ich meine Augen wieder öffnete und den Kopf hob, erblickte ich unmittelbar über mir einen der übrigen Männer, nicht weniger ungepflegt und abstoßend als der Erste. Er stand mit hängenden Schultern vor mir und starrte entgeistert auf mich herab, als begreife er nicht, wessen Zeuge er da gerade wurde.

      Stöhnend setzte ich mich auf. Und weil ich in meinem Rücken immer noch diesen stechenden Schmerz verspürte, tastete ich umständlich mit meiner rechten Hand danach. Zu meinem eigenen Entsetzen fand ich dort tatsächlich den Griff eines Dolches, der bis zum Heft in meiner Haut steckte. Hastig umschloss ich ihn mit zittrigen Fingern und zog ihn mit zusammengebissenen Zähnen und einer raschen Bewegung heraus, um ihn dann fassungslos in meinen Händen zu halten und ungläubig seine blutverschmierte, lange Schneide zu betrachten.

      Wie konnte es sein, dass diese Waffe mich nicht auf der Stelle getötet hatte? Sie musste ohne Zweifel meine Lunge und wahrscheinlich sogar mein Herz durchstoßen haben... Verwundert tastete ich nochmals nach der Wunde, die der Dolch hinterlassen hatte, und musste zu meinem erneuten Erstaunen feststellen, dass sie sich noch unter meinen tastenden Fingern schloss, bis meine Haut zuletzt wieder unversehrt war, als habe der Dolch sie nie auch nur berührt. Und mit der Wunde verschwand auch der Schmerz.

      Es herrschte bestürztes Schweigen. Jeder der Anwesenden hatte mit meinem sicheren Tod gerechnet, das konnte ich an ihren Gesichtern ablesen, und nun starrten sie mich an, als sei ich der leibhaftige Teufel, völlig unschlüssig, was sie jetzt tun sollten. Ich hingegen nutzte diesen günstigen Moment, sprang auf und stürzte mich auf den Mann, der noch immer verwirrt vor mir stand. Dabei verfuhr ich mit ihm wie mit dem ersten, bloß dass ich jetzt keine Zeit hatte, es bis zuletzt auszukosten, denn inzwischen hatten die anderen Beiden ihre Fassung wiedererlangt und die Flucht ergriffen. Hektisch bahnten sie sich einen Weg durch das Dickicht in den Wald hinein.

      Sofort ließ ich von meinem Opfer ab und verfolgte die Flüchtenden, denn es durfte niemand entkommen, der Zeugnis über diese sonderbaren Ereignisse hätte ablegen können. Und dank meiner enormen Schnelligkeit hatte ich im Nu einen von ihnen eingeholt. Durch einen kräftigen Hieb mit der Handkante in den Nacken, schlug ich ihn noch im Vorbeilaufen bewusstlos, sodass er schlaff zu Boden sank. Dort ließ ich ihn zunächst einfach liegen, um dem Letzten nachzusetzen.

      Nur wenige Augenblicke später hatte ich dann auch diesen erreicht und mich ihm in den Weg gestellt. Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und starrte mich mit irren Augen an. Dann drehte er sich abrupt um und wollte erneut davon rennen, doch mit einer schnellen Handbewegung kam ich ihm zuvor und packte ihn so fest am Oberarm, dass er sich, gleich wie er sich in seiner Panik wand und dagegenstemmte, nicht mehr befreien konnte. Dabei war ich selbst überrascht, welche Kraft ich auf einmal besaß. Als der Kerl sich schließlich der Aussichtslosigkeit seiner Lage bewusst wurde, hörte er endlich auf, sich zu wehren und begann, mich um Gnade anzuflehen. Doch ich betrachtete ihn bloß ungerührt.

      Er war ein schmutziger, hagerer Mann mit faulen, stinkenden Zähnen und vergilbter Haut. Sein ungeschnittenes Haar war verfilzt und es klebte allerlei Dreck darin. Eigentlich war es widerlich, sich seinem Hals zu nähern, um davon zu trinken, dachte ich, und derweil schien der Wegelagerer diesen kurzen Moment meines Zögerns als Hoffnungsschimmer zu deuten. Denn auf einmal begann er, mich mit einem Schwall von dummen Versprechungen überreden zu wollen, sein Leben zu verschonen. Es war alles so absurd, und plötzlich musste ich darüber schmunzeln.

      Irritiert hielt der Mann inne.

      Noch immer hielt ich seinen Oberarm fest in meinem Griff und nun näherte ich mich langsam seinem Gesicht bis ich nah genug war, dass er meinen kalten Atem spüren musste. Ich merkte, wie sich seine Muskeln verspannten und sein Widerstand gegen mich wuchs.

      `Lügen! Nichts als Lügen´, flüsterte ich. `Das einzig Wahre, was du noch zu geben hast, liegt hier unter deiner Haut...´ Dabei fuhr ich ihm mit meinen Fingerspitzen über den Hals, auf dass sich die Härchen seiner Haut senkrecht aufstellten. Dann schlug ich zu. Flink wie eine Schlange verbiss ich mich in seine Kehle, bis das Blut herausströmte. Dreck hin, Gestank her. Das Blut des Mannes entlohnte mich jedenfalls reichlich für all diese Unannehmlichkeiten.

      Danach wandte ich mich dem letzten Überlebenden zu. Er lag noch bewusstlos am Boden und so hatte ich mit ihm besonders leichtes Spiel. Ohne Eile ging ich zu ihm und kniete mich neben ihn nieder. Nicht ohne eine gewisse Vorfreude, beugte ich mich über seinen Hals, biss zu und saugte ihn in aller Ruhe aus, bis sein Herz den Dienst verweigerte und der Tod meiner Mahlzeit ein Ende setzte.

      Danach war mein Hunger gestillt. Endlich!

      Langsam hob ich meinen Kopf, wobei ich meine Augen geschlossen hielt, um den süßlichen Nachgeschmack, das belebende Prickeln, das Kraft spendende Pulsieren in meinem, von dem Blut der Männer erhitzten Körper noch etwas zu genießen. Es fühlte sich diesmal alles so richtig an, als hätte es für mich nie etwas Richtigeres gegeben. Endlich war ich frei von diesem bedrückenden Gefühl der Schuld, denn diese Opfer waren selbst nicht besser gewesen als ich. Ja, wahrscheinlich hatten sie sogar schon mehr Leben auf dem Gewissen, als man mir bis dahin nachsagen konnte...

      Obwohl dieser köstliche Moment zwar bald wieder verebbt war, blieb meine Stimmung dennoch euphorisch. Ich hätte am liebsten laut gelacht und gesungen, als ich mir den Weg durch das Gestrüpp zurück zu dem Pfad bahnte, wo die Kinder noch immer auf dem alten Gaul saßen und warteten. Aber ihretwegen beherrschte ich mich. Was sie gesehen hatten, genügte bereits, um sie in Schrecken zu versetzen und das kleine Häuflein Vertrauen in mich zu verlieren, das sie möglicherweise trotz allem hatten fassen können. Ich wollte sie nicht noch zusätzlich mit meiner vollkommen unpassenden Ausgelassenheit konfrontieren.

      So ergriff ich, als ich bei ihnen angekommen war, wortlos und ohne sie dabei anzusehen die Zügel des Pferdes, um unseren Weg endlich fortzusetzen. Ich wollte nicht wissen, was sie über mich dachten, und ich wollte schon gar nicht die Erkenntnis in ihren Augen lesen, was ich war. Wenigstens hielt ich mich an meinen Vorsatz, ihnen nichts zu Leide zu tun und ihnen ein Leben zugänglich zu machen, das ihnen auf andere Weise vielleicht versagt geblieben wäre. Dafür nahm ich hin, dass sie die Geschehnisse dieser Nacht jemandem berichten und mich damit verraten könnten. Ich hoffte einfach darauf, dass ihnen niemand Glauben schenken und es schlichtweg als kindliche Phantasterei abgetan würde. Der Gedanke, dass diese Kinder mit ihrer Erinnerung auch erwachsen werden würden, kam mir damals unbedachter Weise gar nicht in den Sinn. Und dennoch, ich glaube, selbst wenn ich gewusst hätte,