Daniela Hochstein

Daimonion


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einigen Stunden erreichten wir endlich das Ziel. Es war ein Kloster, das recht abgelegen auf dem Gipfel eines kleinen Hügels lag, umgeben von Obstbäumen und Weinstöcken, die von den Mönchen bewirtschaftet wurden. Zu seinen Füßen wand sich, gleich einer im Mondschein silbrig glitzernden Schlange, ein schmaler Fluss durch das verschlungene Tal.

      Es war inzwischen tiefe Nacht geworden und die Kinder fielen vor Müdigkeit fast von dem Pferd herunter, mit dem ich mich nun auf den letzten Schritten den Pforten des Klosters näherte. Endlich davor angekommen, trat ich an die dicke, schwere Eichentür heran, ergriff den riesigen Eisenring, der sie auf Augenhöhe zierte, und klopfte mehrmals kräftig dagegen.

      Stille.

      Noch einmal schlug ich mit dem Ring gegen die Tür, diesmal allerdings noch fester, und wartete dann abermals eine Weile, ohne dass sich etwas zu rühren schien.

      Gerade aber, als ich die Hand erneut an das Eisen gelegt hatte, um ein weiteres Mal zu klopfen, vernahm ich ein leises Rascheln innerhalb der Klostermauern, so leise, dass ein menschliches Gehör es noch nicht wahrgenommen hätte. Es folgten verschlafene Schritte und das Knarren einer Tür. Dann jedoch wurde es wieder ruhig, als habe jemand Zweifel, ob er das Klopfen wirklich gehört oder doch nur geträumt hatte. Schnell pochte ich abermals gegen die Tür, um sofort jegliche Bedenken zu vertreiben, und es zeigte seine Wirkung. Die Person setzte sich wieder in Bewegung. Ihre Schritte näherten sich eilig dem Tor und schließlich wurde ein schwerer Riegel geräuschvoll zurückgeschoben. Quietschend öffnete sich die Tür einen Spalt breit und das schmale Gesicht eines hageren Mannes tauchte dahinter auf. Aus seinen grau-blauen Augen schaute er mich neugierig an.

      `Wir pflegen zwar, früh aufzustehen, aber zu solcher Stunde, erwarten wir doch äußerst selten Gäste... Was ist Euer Begehr?´ Die Stimme des Mönchs klang warm und geduldig. Doch die Art, wie er mich musterte, war mir unangenehm. Nicht, weil sie feindselig gewesen wäre, oder verärgert. Nein, das war sie ganz und gar nicht. Vielmehr strahlte das gesamte Wesen dieses Mannes Güte und Wissen aus. Sein Blick drang so tief in meine zerteilte Seele, dass mein Innerstes zu zittern begann und ich es kaum vermochte, ihm noch länger stand zu halten. Rasch überspielte ich meine Unsicherheit, in dem ich über die Schulter zu den Kindern hinüber sah, die hinter mir noch immer auf dem Gaul saßen. Das Mädchen hatte die Arme um ihren Bruder geschlungen und den Kopf an dessen Rücken angelehnt, die Augen bereits halb geschlossen, während der Junge mich lauernd beobachtete.

      `Ich...´, begann ich stockend und wandte mich wieder dem Mönch zu, der nun selbst die Kinder über meine Schulter hinweg betrachtete. `Ich habe diese zwei Kinder auf einem Bauernhof gefunden, als ich dort um ein Nachtquartier bitten wollte... Sie saßen vor ihren toten Eltern.´ Ich konnte spüren, wie sich der zornige Blick des Jungen in meinen Rücken bohrte und hoffte inständig, der Mönch würde ihn nicht bemerken. Schnell sprach ich weiter. `Nun, was hätte ich mit ihnen tun sollen, mitten in der Nacht? Ich konnte sie doch nicht einfach dort hocken lassen. Mir fiel nur Euer Kloster ein und ich bitte Euch, sie in Euren Mauern aufzunehmen. Zumindest solange, bis die Frage nach Verwandten, die sich ihrer annehmen könnten, geklärt ist...´

      Der Mönch reagierte nicht sofort, sondern nahm sich noch einen Augenblick Zeit, um seine Antwort zu überdenken. Schließlich aber nickte er und öffnete das Tor für uns.

      `Gut, ich will Ihnen Ihre Bitte nicht abschlagen. Wir werden diese Waisen vorerst bei uns beherbergen und alles Weitere in ihrem Interesse in die Wege leiten.´

      Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich lächelte dankbar, ging zu dem Pferd und führte es an ihm vorbei in den Hof. Gerade wollte ich den Kindern helfen, abzusteigen, da trat der Mönch neben mich und sprach scheinbar beiläufig, aber mit eindringlichem Blick: `Ach, würden Sie mir vielleicht noch eine Frage erlauben?´

      Nervös hielt ich inne. Hatte der Geistliche mich etwa durchschaut? Hatte er den Blick des Jungen vorhin gesehen und den richtigen Schluss daraus gezogen? Oder hatte der Junge ihm gar hinter meinem Rücken ein Zeichen gegeben?

      `Fragen Sie´, erlaubte ich ihm schließlich widerstrebend, fest entschlossen, mir dennoch nichts anmerken zu lassen.

      `Gab es Hinweise darauf, wie die Eltern zu Tode gekommen sind?´

      Mir wurde zunehmend unbehaglich zu Mute. Was sollte ich dem Mönch antworten? Ich warf einen flüchtigen Blick auf den Jungen, der unser Gespräch aufmerksam verfolgte. Glücklicherweise blieb er still, so dass ich mich beeilte, eine Antwort zu liefern, bevor er mir noch dazwischen kommen und mich in ernsthafte Schwierigkeiten bringen konnte.

      `Sie waren schwer verletzt, so dass ich beinahe von einem Mord ausgehen würde. Mehr jedoch kann ich nicht dazu sagen... Warum aber wollt Ihr das wissen? Sicher wird sich die örtliche Polizei darum kümmern...´

      Der Mönch zuckte mit den Schultern und winkte ab.

      `Reine Neugier... Es ist gut, wenn man Antworten für fragende Kinder hat.´ Dabei lächelte er freundlich, trat an mir vorbei auf das Pferd zu und streckte seine Hände nach dem Mädchen aus.

      `Dann steigt einmal von eurem Pferd´, sprach er zu den Kindern und hob das Mädchen hinunter, derweil ich vor Erleichterung am liebsten laut geseufzt hätte.

      `Ich werde euch ein Bett zeigen, wo ihr schlafen könnt; und wenn ihr noch hungrig seid, habe ich auch ein Stück Brot für euch.´

      Der Mönch setzte das Mädchen behutsam auf dem Boden ab, doch müde, wie sie war, stand sie nach dem stundenlangen Ritt nur sehr wacklig auf den Beinen, sodass er sie direkt wieder auf seinen Arm nahm. Daher ging ich zu dem Pferd und wollte dem Jungen herunter zu helfen. Ich hielt ihm meine Arme entgegen, doch er ignorierte diese Geste glatt und sprang ohne meine Hilfe ab. Schnurstracks lief er an mir vorbei auf den Mönch zu, ohne mich dabei eines Blickes zu würdigen.

      `He´, rief ich ihm nach, worauf er sich umdrehte und mich verächtlich ansah. Ich trat auf ihn zu und beugte mich zu ihm herunter, bis wir auf gleicher Augenhöhe waren.

      `Wie heißt du?´

      Ich kann nicht genau erklären, warum mir diese Frage in diesem Moment so wichtig war. Vielleicht wollte ich dem Jungen damit mein Wohlwollen demonstrieren und eine Art Frieden schließen. Vielleicht aber wollte ich auch nur einen Namen für das Grauen haben, das ich in meiner ersten Nacht als Dämon angerichtet hatte.

      `Jonathan´, antwortete er knapp und dann setzte er mit hasserfüllter Stimme nach: `Merke dir den Namen gut, denn eines Tages werde ich meine Eltern rächen und dich töten!´

      Als hätte Jonathan mir soeben eine Ohrfeige verpasst, zuckte ich vor ihm zurück. Bisher hatte er zwar stets geschwiegen, aber natürlich hatte er alles genau beobachtet. Er war alt genug, zu verstehen, welch Ungeheuer ich war, und jung genug, um an solche zu glauben...

      Ich bemerkte, dass der Mönch unser kleines Gespräch aufmerksam verfolgt hatte. Rasch richtete ich mich daher wieder auf und lächelte nachsichtig.

      `Er ist verstört und müde... Ich bin froh, dass die Kinder nun in Ihrer gütigen Obhut sind. Vielen Dank!´

      Bei diesen Worten verbeugte ich mich kurz, wünschte den Kindern noch Lebewohl und verließ schließlich zügig das Kloster, bevor es noch zu irgendwelchen ungewollten Verwicklungen kommen konnte.

      Außerdem war da noch eine Angelegenheit, die ich in dieser Nacht abzuschließen beabsichtigte.

      So schnell ich konnte - und das war zu meinem eigenen Erstaunen sehr schnell - lief ich zurück zu dem nun verwaisten Hof. Schon weit vor der Hütte kroch der üble Geruch nach Verwesung in meine empfindliche Nase, sodass es mich Überwindung kostete, mich ihm noch weiter zu nähern. Ich dachte sogar für einen Moment darüber nach, einfach von meinem Plan abzulassen, doch schließlich nahm ich mich zusammen, ging auf die Hütte zu und öffnete die Tür.

      Das Surren aufgeschreckter Fliegen erfüllte den Raum, als ich eintrat, und ein furchtbares Ekelgefühl ließ mich zunächst für einen Moment lang innehalten. Sobald es wieder etwas abgeklungen war, sammelte ich eilig sämtliches brennbares Zeug zusammen und warf es über die inzwischen fleckig gewordenen Leichen. Dabei versuchte ich, so wenig wie möglich zu atmen, um mich diesem schrecklichen Gestank weitestgehend zu entziehen.