Daniela Hochstein

Daimonion


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      Ich wunderte mich über dieses Verhalten, denn in den ganzen Jahren, die ich im Grunde mit Pferden aufgewachsen war, hatte noch nie eines vor mir gescheut. Spürte es etwa, welche Gefahr von mir ausging?

      Auch der Junge, der das Schauspiel bis dahin stumm, aber neugierig beobachtet hatte, schien überrascht über die ungewohnt heftige Reaktion des Tieres zu sein, so dass ich bald die Sorge hatte, die Unruhe dieses dummen Kleppers könnte sich auf die Kinder übertragen und die ohnehin bereits bestehende Skepsis noch weiter verstärken. Etwas, das ich in Anbetracht der verrinnenden Zeit und meines stetig anwachsenden Durstes wirklich nicht gebrauchen konnte!

      Verärgert biss ich meine Zähne zusammen und bemühte mich, ruhig zu bleiben. Mit leiser Stimme sprach ich auf den Gaul ein, um ihn endlich gefügig zu machen. Es dauerte zwar eine Weile, aber es wirkte zum Glück, sodass ich dem Vieh zuletzt mit langsamen Bewegungen das Zaumzeug anlegen, die Kinder auf seinen Rücken setzen und es sogar aus dem Stall führen konnte, ohne dass es weiteren Widerstand leistete.

      Als wir den Hof überquerten und dabei noch einmal an der Hütte vorbei kamen, fiel mir ein, dass die Kinder frieren mussten. Sie waren nur leicht bekleidet und die herbstlichen Nächte waren inzwischen empfindlich kalt geworden. Mir selbst allerdings, dessen wurde ich mir dabei gewahr, machte die Kälte erstaunlich wenig aus, obwohl auch meine Kleidung nicht sonderlich wärmend war. Aber wie so viele Dinge, die sich bei mir seit dem eigenartigen Ereignis verändert hatten, nahm ich es einfach zur Kenntnis und hinterfragte es nicht mehr weiter.

      Kurzerhand band ich das Pferd an einen Zaunpfosten, gebot den Kindern zu warten und eilte noch einmal zurück in die Hütte. Suchend blickte ich mich um und entschied mich dann für das Lammfell, das auf dem Bett lag, sowie einen Wollumhang aus dem Kleiderschrank. Dies, so hoffte ich, würde den Kindern genügend Schutz gegen die Kälte bieten.

      Rasch packte ich die Sachen zusammen und wollte gerade wieder hinausgehen, da fiel mein Blick noch einmal auf die beiden Leichen, die noch immer auf dem Boden lagen. Ihre Augen waren mittlerweile trüb geworden und ihre Wangen schon ein wenig eingefallen. Ein paar Fliegen hatten sich bereits auf ihnen versammelt und krabbelten über ihre fahlen Gesichter.

      Dieser Anblick, vermengt mit dem erdrückend süß-fauligen Verwesungsgeruch, der sich derweil in dem Raum ausgebreitet hatte, wie ein dickflüssiges Sekret, ließ mich unwillkürlich würgen. Schnell wandte ich mich ab und ging zur Tür. Dabei kam mir für einen Moment der Gedanke, die Hütte einfach zu verbrennen, um die Spuren meiner ruchlosen Tat nachhaltig zu beseitigen. Doch ich entschied mich zuletzt dagegen. Allein aus Rücksicht auf die Kinder, die ich damit nicht noch mehr schockieren wollte.

      Also verließ ich die Hütte unverrichteter Dinge wieder und ging rasch zu dem Pferd zurück, wo ich den Kindern Fell und Umhang reichte. Stumm nahm der Junge die Sachen entgegen und hüllte seine kleine Schwester in das Fell sowie sich selbst in den Umhang. Für einen kurzen Augenblick glaubte ich, auf seinem Gesicht einen Anflug von Dankbarkeit erkennen zu können, doch es konnte ebenso bloß ein aufmunterndes Lächeln für seine Schwester gewesen sein. Und während ich die Beiden so beobachtete, breitete sich ein bohrendes Gefühl in meinem Magen aus, das schwer wie ein Stein darin liegen blieb. Wie gerne hätte ich alles ungeschehen gemacht!

      Nun, da die Kinder für den Weg gerüstet waren, nahm ich die Zügel des Pferdes und ging raschen Schrittes voran. Ich kannte den Weg, den ich einschlagen musste, und hoffte sehr, dass mich der Marsch, dank des Pferdes nicht die ganze Nacht kosten würde, denn diesen weiterhin in mir schwelenden Durst konnte ich nicht verleugnen. Irgendwann in dieser Nacht brauchte ich frisches Blut! So abstrus mir dieses Verlangen auch nach wie vor erschien...

      Es war noch eine Stunde bis Mitternacht. Der Himmel über uns war sternenklar und der gerade abnehmende Vollmond tauchte die reifüberzogene Landschaft in silbriges Licht. Die kalte Luft ließ den Atem der Kinder sowie des Pferdes in kleinen Wölkchen aufsteigen, meinen eigenen jedoch nicht. Mein Körper war schlichtweg selbst zu kalt, als dass er meine Atemluft noch anzuwärmen vermochte. Verstohlen schaute ich mich zu den Kindern um und fragte mich, ob es ihnen ebenfalls aufgefallen war. Plötzlich kam ich mir vor, wie ein Gespenst, das seinen toten Körper nicht verlassen mochte und nun verloren durch die Nacht wandelte, während es ihm unentwegt nach Blut gelüstete.

      Dieser schreckliche Durst begleitete mich tatsächlich äußerst hartnäckig, ja, er bohrte sich in immer schmerzhafteren Wellen meine Kehle hinunter bis in meinen Magen, und ich war bald froh, dass die Kälte und der leichte Wind, der uns entgegenschlug, den Geruch der Kinder weitestgehend von mir fernhielt. Dennoch würde das alleine nicht mehr lange ausreichen und ich vermochte diesem Dämon – so nannte ich den Trieb in mir, der immerzu von mir Besitz zu ergreifen versuchte - in den schwachen Momenten noch zu wenig entgegenzusetzen, als dass ich dafür hätte garantieren können, den Kindern nicht bald doch an die Gurgel zu gehen.

      Wir trotteten gerade einen schmalen Pfad am Rande eines dichten Waldes entlang und ich sann mittlerweile fieberhaft darüber nach, wie ich dieses wachsende Problem möglichst bald lösen konnte, da weckte plötzlich etwas meine Aufmerksamkeit.

      Zunächst war es nur ein Geruch. Ein menschlicher Geruch. Jedoch ging er nicht von den Kindern aus. Das konnte ich mit Sicherheit sagen, denn er kam aus einer anderen Richtung und entsprach eher dem eines Mannes.

      Ich konzentrierte all meine Sinne auf diese eine Quelle und in der Tat, kurz darauf vernahm ich auch Geräusche: Ein verhaltener Atem und das langsame Schlagen eines Herzens, nein, genau genommen waren es vier. Vier Männer, die sich, für uns noch nicht sichtbar, ein Stück weiter am Wegesrand aufhielten und sich dabei auffällig still verhielten, als würden sie auf jemanden warten, von dem sie zuvor jedoch nicht bemerkt werden wollten.

      Obwohl es für mich keine Frage war, auf wen sie da warteten, denn zu solch später Stunde befand sich außer uns niemand mehr auf diesem Pfad, so erstaunte mich doch dieser Umstand an sich. Denn was versprachen wir schon an Beute? Ein unbewaffneter, ärmlich gekleideter Mann und zwei verfrorene Kinder auf einem gebrechlichen Gaul... Mag sein, dass es schlicht die Not und der Glaube war, mit uns leichtes Spiel zu haben und schon irgendetwas von Wert bei uns finden zu können. Sei es das Mädchen, das sie verkaufen konnten oder der Gaul, der ihnen noch als zähe Mahlzeit dienen konnte. Vielleicht war es auch bloßer Zufall gewesen, der sich unsere Wege hatte kreuzen lassen, wobei sich die Gauner die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollten. Mir jedenfalls war das einerlei, denn was sie natürlich nicht ahnen konnten, war die Tatsache, dass sie in diesem Moment genau das waren, was ich brauchte.

      Mein Herz machte einen Freudensprung und hämmerte wild gegen meine Rippen, wie ein eigenständiges Lebewesen, das hungrig nach dem kurz bevorstehenden Leckerbissen lechzte; genauer gesagt: vier davon. Ich konnte mein Glück kaum fassen!

      So als hätte ich die Wegelagerer nach wie vor nicht bemerkt, näherte ich mich raschen Schrittes ihrem Versteck. Sie sollten sich ruhig noch in Sicherheit wiegen, während sich hingegen jeder Muskel meines Körpers ungeduldig anspannte und meine Gedanken mehr und mehr einem raubtierhaften Instinkt wichen, mit dem ich meine Beute abschätzte, jeden Moment bereit zu dem entscheidenden Sprung.

      Und dann endlich war es soweit.

      Mit lautem Gebrüll stürmten die Männer hervor und verstellten uns den Weg. Doch als sie uns schließlich vor sich sahen, verstummten sie von dem einen Moment auf den anderen. Fast enttäuscht musterten sie uns und brachen dann in grölendes Gelächter aus. Einer von ihnen, womöglich ihr Anführer, schritt gemächlich und siegessicher auf mich zu, während ein breites Grinsen eine lückenhafte Reihe verfaulter Zähne in seinem vernarbten, von einem krausen Bart wild überwucherten Gesicht freilegte und bei diesem Anblick nur eine Bezeichnung zuließ: abstoßend.

      Einerseits.

      Für mich aber war er wunderbar! Er war schlecht, bösartig, hässlich; kurz: sein Tod wäre kein Verlust für irgendjemanden, sein Blut dagegen aber ein Segen für mich!

      Inzwischen war mein darbendes Verlangen nach Blut zu einem bedrohlich großen, ständig saugenden Loch in meinem Magen herangewachsen, zusätzlich noch angeheizt von der Vorfreude auf diese vier netten Herren, die geradezu dafür geschaffen waren, diese Loch bald wieder zu stopfen, und ich wollte nun auf keinen