Daniela Hochstein

Daimonion


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„Cheriour, hat die Anklage noch etwas beizutragen?“

      Cheriour nickte. Er war nicht unvorbereitet geblieben.

      „Euer Ehren, erlaubt, dass ich nun meine erste Zeugin vortreten lasse.“

      Mit einer Geste signalisierte der Richter sein Einverständnis, worauf eine einfach gekleidete, magere Frau in den Saal geführt und auf ihren Platz im Zeugenstand gewiesen wurde. Cheriour trat vor sie.

      „Marianne, erkennen Sie diese Kreatur dort?“, fragte er sie und zeigte auf den Vampir. Die Frau starrte in die Richtung und ihre Augen weiteten sich.

      „Ja“, flüsterte sie mit zittriger Stimme.

      „Was hat er Ihnen angetan? Können Sie es den Anwesenden hier schildern?“

      Die Frau warf Cheriour einen furchtsamen Blick zu. Dann begann sie zu erzählen, stockend, auf der Hut, der Vampir könne sich ein weiteres Mal an ihr vergreifen.

      „Er... er ist in unsere Hütte eingedrungen. Wie von dem Teufel besessen hat er uns angestarrt... und dann... dann hat er meinen Mann angefallen. Eine wilde Bestie, die ihm an den Hals gesprungen ist. Er hat seine Kehle aufgerissen... Das ganze Blut... Es spritzte und er labte sich daran, wie ein diabolischer Unhold...“ Die Frau rang nach Atem. „Dann kam er auf mich zu... Seine Augen... sie waren so seltsam, sie glühten. Ich sah seine Zähne, lange Eckzähne. Blut klebte noch an ihnen. Dann hielt er mich fest und... und... Lieber Engel, sagt mir: was ist mit meinen Kindern? Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist. Hat er sie auch...?“ Die Frau brach ab. Tränen rannen ihr die Wangen hinunter. Ein lauter Schluchzer löste sich aus ihrer Brust und sie vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.

      „Vielen Dank, Marianne. Das genügt. Sie dürfen gehen.“ Sanft ergriff Cheriour den Arm der Frau und geleitete sie zum Ausgang. Beruhigend sprach er dabei auf sie ein und übergab sie zuletzt einem anderen Engel, der sie hinaus führte.

      Betroffenheit erfüllte den Saal, greifbar, drückend. Selbst der Vampir blieb vor ihr nicht verschont. In seinem Gesicht spiegelte sich Schmerz wieder. Kurz hatte seine Hand gezuckt von dem Impuls, sie nach der Frau auszustrecken, als sie an ihm vorbei geführt wurde. So viel hätte er ihr gerne gesagt. Gerade ihr, der Mutter jener Kinder... Hannahs Mutter!

      Ambriel war sich der Wirkung dieser Zeugin bewusst. Dennoch war es an ihm, Armon zu verteidigen. Er musste die Herzen für ihn gewinnen und den Richter überzeugen, auch wenn es nicht leicht sein würde. Ungeduldig wartete er, bis der Richter das Wort wieder an ihn reichte.

      „Euer Ehren, ich möchte meinen Schützling gerne weiter berichten lassen. Ihr werdet sehen, wie es zu diesem Vorfall kommen konnte. Bosheit war dabei am wenigsten im Spiel.“

      „Bitte“, gestattete der Richter. „Er soll fortfahren.“

      Armon versuchte, in den Augen des Richters zu erkennen, wie es um seine Seele stand. Welch aussichtsloser Kampf da vor ihm lag... Und doch, der Glaube seines Schutzengels an das Gute in ihm, verlieh ihm Mut. Also fuhr er fort.

      Kapitel 3

      „Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich gänzlich anders als zuvor.

      Ich hatte erstaunlicherweise nicht die geringsten Schmerzen. Es war, als sei meinem Körper nie etwas zugestoßen; im Gegenteil, ich fühlte mich lebendiger denn je.

      Ich setzte mich auf und tastete instinktiv nach meiner rechten Schläfe, doch die Wunde war wie durch ein Wunder spurlos verschwunden. Ich überlegte schon, ob all das nicht bloß ein böser Traum gewesen war. Aber dann musste ich peinlich berührt feststellen, dass der unmittelbare Beweis meiner qualvollen Eskapade auf meine Bekleidung niedergegangen war, die damit vollständig besudelt und widerwärtig stinkend an meiner Haut klebte. Nur zu gern hätte ich mich ihrer rasch entledigt, doch mir fehlte zugegebener Maßen eine annehmbare Alternative.

      Dieses Unbehagen beschäftigte mich allerdings nur kurz, denn ein eigenartiger, süßlicher Geschmack an meinem Gaumen lenkte meine Aufmerksamkeit recht bald in eine andere Richtung. Mit der Zunge strich ich mir vorsichtig über meine Zähne. Bis dahin war ich fest davon überzeugt gewesen, dass dieser letzte grausame Prozess in meinem Kiefer bloß das Gespinst meines gemarterten Hirns gewesen war. Aber nun wurde ich von meiner Zunge eines Besseren belehrt. Denn anstelle meiner zuvor völlig normal geformten, stumpfen Eckzähne, die sich bisher unauffällig in die Zahnreihe eingeordnet hatten, befanden sich dort nun zwei spitze Fangzähne, welche die übrigen Zähne um ein deutliches Stück überragten.

      Ich war fassungslos.

      Was war bloß mit mir geschehen?

      Besorgt blickte ich an mir herunter und dabei wurde ich mir plötzlich gewahr, dass ich nun bestens in der Dunkelheit sehen konnte, und zwar jedes Detail...

      Verwundert schaute ich mich um und tatsächlich, es war, als sei irgendwo ein Licht entzündet worden, dessen Quelle sich zwar nicht unmittelbar erschließen ließ, welches aber die Höhle mit seinem Schein gleichmäßig erhellte. Auch erschienen die Farben auf einmal intensiver. Der felsige Untergrund sowie die steinernen Wände zeigten plötzlich eine Vielfalt an Grauschattierungen, die mir bis dahin noch nie an einem Stein aufgefallen waren. Selbst in dem strahlendsten Sonnenlicht nicht.

      Darüber hinaus war es mir nun auch möglich, zu erkennen, was mich da anfangs so beharrlich gebissen hatte: Vor mir hockten hunderte kleine, fledermausartige Wesen geduckt auf dem Boden und starrten mich mit übergroßen schwarzen Augen an. Sie waren ebenso hässlich wie der Dämon, der mich angegriffen hatte - und von dem merkwürdigerweise jede Spur fehlte - jedoch sehr viel kleiner. Neugierig stand ich auf und ging einen Schritt auf sie zu. Doch zu meiner Überraschung wichen sie ängstlich vor mir zurück. Für einen kurzen Moment blieb ich stehen. Dann aber musste ich plötzlich grinsen und ob es einfach die Erleichterung darüber war, endlich wieder ein Bild vor Augen zu haben oder ob es aus einem gewissen Galgenhumor heraus entsprang, machte ich mir auf einmal einen Spaß daraus, diese zusammengekauerten Kreaturen zu erschrecken. Wie aus heiterem Himmel stieß ich dazu einen lauten Schrei aus und stürmte dabei wenige Schritte auf sie zu, worauf sie hastig aufflatternd die Flucht vor mir ergriffen, und zwar alle auf einmal. Den Anblick, den sie dabei boten, fand ich eigenartiger Weise in diesem Moment so unglaublich komisch, dass ich nicht umhin konnte, als laut aufzulachen. Ich lachte und lachte und konnte plötzlich gar nicht mehr damit aufhören. Ich krümmte mich vor Lachen und musste mir sogar den Bauch dabei halten. Und dennoch liefen mir dabei die Tränen des Schmerzes und des Schreckens über die Wangen...

      Ich brauchte noch eine ganze Weile, bis ich mich endlich wieder beruhigt hatte, und schließlich stand ich einfach nur da, inmitten der Höhle, bar jeglicher Empfindungen, als sei ich auf einmal von einer kalten, mitleidslosen Hand unsanft in ein neues, fremdes Leben gestoßen worden.

      Noch heute wundere ich mich darüber, wie präzise meine Intuition die damalige Situation bereits erfasste, ohne dass ich mit meinem Verstand auch nur irgendetwas davon begriffen hätte.

      Nach einer gewissen Zeit - ob es Stunden oder bloß Minuten waren, kann ich heute gar nicht mehr sagen - kam mir der Wolf wieder in den Sinn. Das letzte, was ich von ihm gehört hatte, war ein furchterregendes Knurren und Kläffen, fast als sei er in einen Kampf verwickelt gewesen. Doch nun war er still. Suchend blickte ich mich um, und obgleich ich ihn eigentlich jetzt ohne Mühe hätte sehen müssen, so war er doch nirgends zu finden.

      Damals war ich ratlos und fürchtete schon, der Dämon hätte ihn mit in seine Hölle genommen, aus der er gestiegen war. Ich konnte ja nicht wissen, wie es sich wirklich zugetragen hatte.“

      Armon bedachte Ambriel mit einem dankbaren Blick.

      „Auch wenn ich es nun weiß und mir klar ist, was das für mich letztendlich bedeutet hat, so bin ich doch heute froh, dass Ambriel mein Leben dadurch gerettet hat...

      Freiheit!

      Nach dieser ganzen Eskapade aus Schrecken, Qual und Ungewissheit sehnte mich nun so sehr nach Freiheit! Jetzt, wo ich endlich wieder etwas um mich herum erkennen konnte, jetzt, wo ich mich wieder kräftig