Daniela Hochstein

Daimonion


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wahr, wie dieses Wesen gierig mein Blut aus mir heraus sog; und mit jedem Schluck, den es von mir nahm, hatte ich das Gefühl, ein Teil meines Selbst gehe dabei unaufhaltsam mit zu ihm hinüber. Mehr und mehr verlor ich mich in einem Strudel aus Besinnungslosigkeit, sodass ich bald nicht mehr in der Lage war, auch nur einen Gedanken vollständig zu Ende zu bringen; und zuletzt hatte ich gar den Eindruck, ich schwebte bar jeglicher Orientierung in einem richtungslosen Nichts aus Finsternis...

      Doch dann musste irgendetwas geschehen sein.

      Denn kurz bevor mein Bewusstsein vollständig zu erlöschen drohte, ertönte ein wütendes Knurren und Bellen; dann ein schriller, markerschütternder Schrei.

      Als würde ich plötzlich von einer hohen Klippe stürzen, wurde ich jäh in meinen Körper zurückgesogen. Unwillkürlich wollte ich Luft holen, doch eine schwere Last schien auf meiner Brust zu liegen und machte mich unfähig, auch nur einen Atemzug zu tun. Verzweifelt versuchte ich mit meinen Armen die Last von mir zu stoßen, aber ich hatte einfach nicht mehr genügend Kraft, mich davon zu befreien. Japsend rang ich nach Luft und wand mich unter dem Gewicht sinnlos hin und her, wie ein Fisch, der elendig an Land verreckte.

      Dann aber, gerade als erneut die Dämmerung einer Ohnmacht über mich hereinzubrechen drohte, spürte ich eine heiße, brennende Flüssigkeit, die mir zähflüssig auf meine Lippen tropfte. Aus einem mir fremden, unbegreiflichen Instinkt heraus, öffnete ich meinen Mund, um sie aufzufangen. Dabei dachte ich nicht darüber nach, was ich da eigentlich trank. Ja, es war mir gar nicht einmal möglich zu denken, denn eine wachsende Gier breitete sich auf einmal in meinem Körper aus. Eine alles bestimmende Gier nach eben dieser Flüssigkeit.

      Über alle Maßen durstig suchte ich die Quelle, wie ein hungriger Säugling die nährende Brust. Und genauso sicher fand ich sie. Hastig, als hinge mein nacktes Leben davon ab, umschloss ich sie mit meinen Lippen und sog mit aller Kraft daran. Dabei nahm ich fasziniert wahr, wie dieser Saft bei jedem weiteren Zug, den ich davon nahm, köstlicher, reichhaltiger, facettenreicher und betörender schmeckte. Gleichzeitig wurde das Gewicht auf mir leichter und leichter.

      Ich hätte erwartet, durch dieses seltsame Getränk langsam Befriedigung zu finden. Doch das Gegenteil war der Fall. Mein Verlangen wurde sogar noch größer. Wie besessen trank ich, immer und immer mehr, bis diese lustvolle Quelle schließlich versiegte und ich dann endlich erschöpft, aber glücklicherweise wieder frei atmend in den Schlaf fiel, gefüllt mit eigenartigen, düsteren Bildern.

      Dieser Schlaf währte allerdings nicht lange, denn wie aus dem Nichts heraus erfüllte mich plötzlich ein tosender, richtungsloser Schmerz. Wie ein Sturm tobte er durch meinen Körper und trachtete dabei alles, was sich darin befand, zu verwüsten. Mir war, als würden mir die Gedärme bei lebendigem Leibe aus dem zerschnittenen Bauch herausgerissen und ich krümmte mich mit einem Schrei zusammen, in der Hoffnung, dieser schrecklichen Qual dadurch die Schärfe zu nehmen. Jedoch vergeblich. Wild wand ich mich auf dem Boden wie eine sterbende Schlange, ohne jedoch eine Position zu finden, die mir Erleichterung verschafft hätte. Zudem wurde ich von einer widerlichen, ja regelrecht imperativen Übelkeit übermannt, die sich bis ins Unerträgliche steigerte, sodass ich mich schließlich schwallartig zu übergeben begann. Dabei blieb mir kaum noch Zeit, Luft zu holen, was dazu führte, dass ich mich verschluckte und zuletzt, geschüttelt von einem furchtbaren Hustenanfall, nach Atem rang.

      Und als gelte es, mich dabei zusätzlich bis in die letzte Faser meiner Existenz zu demütigen, entleerten sich darüber hinaus auch noch alle anderen erdenklichen und unaussprechlichen Körpersekrete aus den dazugehörigen Körperöffnungen. Schlussendlich hatte ich das Gefühl, mein gesamtes Innenleben würde sich unaufhaltsam nach außen kehren, um von mir am Ende lediglich einen Haufen stinkender Exkremente übrig zu lassen. Am liebsten wäre ich auf der Stelle tot gewesen, doch es gab kein Erbarmen. Ich musste dieses unerbittliche Wüten meines Körpers erdulden, bis es irgendwann endlich vorüber war. Und gerade als ich glaubte, die Quälerei sei nun glücklicherweise überstanden, folgte zuletzt noch der krönende Abschluss.

      Ich hatte soeben ein paar tiefe Atemzüge der Erholung getan, da wuchs plötzlich ein Schmerz in meinem Oberkiefer, der an das stetig anschwellende Grollen eines gewaltigen Donners erinnerte. Er wuchs und steigerte sich, bis ich schon fürchtete, mein Kopf müsse jeden Moment zerplatzen; und dann entlud er sich wie ein greller Blitz, der sich am Horizont in tausend Äste zerteilt. Er zerstob wie Glassplitter in alle Richtungen und war dabei so vernichtend, dass ich mir nur noch beide Hände gegen den Kopf presste und schrie, schrie und schrie. Ohne diesem Prozess auch nur irgendwie Einhalt gebieten zu können, spürte ich voller Entsetzen, wie mir meine Eckzähne mit einer ungeheuerlichen Gewalt aus dem Kiefer gesprengt wurden; und unmittelbar darauf bohrten sich zwei messerscharfe Reißzähne wie frisch geschmiedete Dolche von innen heraus durch mein Zahnfleisch, begleitet von dem eisernen Geschmack nach Blut, der sich wie ein Film über meine Zunge legte.

      Dann folgte nur noch Leere...

      Gepeinigt, verzweifelt und bis an meine äußersten Grenzen erschöpft versank ich in einen unruhigen, gespenstischen Schlaf.“

      ***

      Stille herrschte im Gerichtssaal. Der Blick der Richters haftete an den Lippen des Vampirs, der in seiner Erzählung inne gehalten hatte. Ambriel war sich bewusst darüber, dass er gleich Stellung beziehen müssen würde. Es war zu offensichtlich, was er getan hatte. Und als habe der Richter diesen Gedanken aufgeschnappt, wandte er sich an den Schutzengel.

      „Ambriel.“ Wie einen zornigen Donner fühlte der Schutzengel seinen Namen auf sich niederfahren. Er streckte die Schultern und machte sich bereit. „Du hast das Recht, die Gedanken eines Lebewesens anzustoßen, auf Wind, Regen, Sonne und Wolken in geringem Maß Einfluss zu nehmen, du darfst Gefühle leiten, verstärken oder schwächen. Niemals aber darf ein Engel, gleich welchen Ranges, leiblich in das Geschick der Menschen eingreifen! Auch nicht in der Gestalt eines Wolfes. Du weißt das, Ambriel.“

      Der Schutzengel senkte sein Haupt. Er wusste wohl, welche Strafe ihn erwarten würde. Es wäre keine Bessere als jene, der auch Armon noch entgegensah. Doch in seinem Herzen spürte er bloß Aufbegehren. Es gab nichts mehr zu verlieren. Für Armon nicht und auch für ihn nicht. Allein seinem Mut, seiner Kraft würde es obliegen, sie beide vor dieser Strafe zu bewahren. Entschlossen hob er wieder seinen Kopf und stellte sich den glimmenden Augen des Richters.

      „Ich weiß wohl von dem Gesetz. Doch war es nicht Satan, der die Gesetze zuerst gebrochen hat? Er wollte sich die unschuldige Seele meines Schützlings rauben, ohne ihn verführt zu haben, ohne einen Handel mit ihm abgeschlossen zu haben, in dem diese Seele ihm freiwillig gezahlt wurde. Soll ich mich mit diesem Wissen heraushalten, während mein Schutzbefohlener in die ewige Verdammnis entführt wird? Was wäre ich für ein Schutzengel, wenn ich ihn nicht mit meinem ganzen Einsatz vor der schlimmsten Gefahr zu schützen versucht hätte, die einem Menschen widerfahren kann! Ich bitte Euch noch einmal, Euer Ehren: hört Euch die ganze Geschichte an, bevor Ihr das Urteil sprecht. Über meinen Schützling, ebenso wie über mich.“

      Wieder herrschte Schweigen. Da trat Cheriour hervor.

      „Verzeiht, dass ich mich ungefragt zu Wort melde. Doch es ist nicht so, dass Ambriel bloß seinen Schützling vor dem Teufel bewahrt hätte. Mit seinem Eingreifen hat er zwar den Körper des Dämons zerstört, hingegen nicht seinen Geist. Vielmehr hat Ambriel dadurch eine Waffe der Finsternis geschaffen, im Raub um Seelen noch viel ergiebiger, als es der leibhaftige Dämon in seiner dunklen Höhle nur sein konnte. Er hat nicht eine einzige Menschenseele gerettet, nein, vielmehr hat er bereits Dutzende an die Unterwelt ausgeliefert!“

      Ein zustimmendes Raunen floss durch die Schar der Engel. Um den Richter verdichtete sich eine blau schimmernde, beinahe blendende Aura, als er seine Worte verlauten ließ, schneidend wie Glas.

      „War dir in jenem Moment bewusst, Ambriel, welche Konsequenzen dein Tun haben würde?“

      Ambriel blickte in die Augen des Richters, durchdrungen von dem Wissen über seine Unschuld, angefüllt mit Hoffnung.

      „Nein, Euer Ehren.“

      Der Richter nickte, sehr zum Missfallen von Cheriour, der gehofft hatte, die Verhandlung schon bald mit einem