Daniela Hochstein

Daimonion


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handelte sich um den typischen Abdruck einer Wolfstatze, der sich frisch auf der feuchten Erde abzeichnete.

      Ein wohliges Schauern lief mir über den Rücken. Etwas Besseres als ein Wolf hätte mir gar nicht passieren können... Zudem schien er nicht im Rudel unterwegs zu sein, da ich nur diese einzelne Spur fand. Was also sprach dagegen, mir dieses Tier noch heute morgen zu schnappen, auf dass es im Winter eine Bestie weniger gab, die – vom Hunger getrieben – sich in die Nähe der Menschen wagen und unser Vieh gefährden könnte.

      Von dieser Idee angespornt folgte ich der Fährte eine ganze Zeit lang, ohne jedoch das Gefühl zu haben, meinem Ziel dabei nennenswert näher zu kommen. Die Enttäuschung begann langsam vor sich hin zu brodeln und sich ihren Weg an die Oberfläche zu bahnen, da spürte ich, wie sich mein Pferd plötzlich dem Zug an seinem Zügel widersetzte. Ein Blick über die Schulter auf seine angelegten Ohren und aufgerissenen Augen bestätigte meine Vermutung, dass irgendetwas das Tier nervös machte.

      Abrupt blieb ich stehen.

      Der Wolf musste nun ganz in unserer Nähe sein. Vermutlich beobachtete er uns sogar aus einem sicheren Versteck heraus. Suchend schaute ich mich um, kniff die Augen zusammen und versuchte, auch die leiseste Bewegung im Unterholz zu erfassen, die ihn hätte verraten können. Doch zunächst blieb alles still.

      Ich war nah daran, meinen Weg fortzusetzen und zog erneut an dem Zügel. Doch mein Pferd rührte sich keinen Deut mehr von der Stelle. Stattdessen riss es bloß unruhig seinen Kopf in die Höhe, sodass ich letztlich gebannt dort verharrte, wo ich war.

      Wieder tat sich nichts. Kein Geräusch, außer dem Zwitschern der Vögel und dem hin und wieder aufkommenden Rascheln, wenn eine Maus unter den abgefallenen, vertrockneten Blättern nach Bucheckern oder dergleichen suchte. Kein Zweig, der verräterisch schwankte und darauf hindeuten könnte, dass dort soeben noch ein Wolf hindurch geschlüpft war. Nichts.

      Und so kam es schließlich völlig unerwartet, dass ich, nachdem ich bloß für einen kurzen Moment über meine Schulter nach hinten gesehen hatte, wieder nach vorne schaute und mich plötzlich unmittelbar vor ihm fand: Dem Wolf!

      Wie vom Donner gerührt starrte ich das Tier vor mir an. Der Wolf war von beeindruckend großer, muskulöser Statur mit glänzendem, pechschwarzen Fell und wilden, ungewöhnlich schwarzen Augen, aus denen er mich neugierig beobachtete. Es war eine ganz und gar absurde Situation, in der sich wohl jeder die Frage hätte stellen können, wer hier nun gleich Jäger und wer Gejagter sein würde. In diesem Moment allerdings befand sich die Waage noch im Gleichgewicht. Weder der Wolf, noch ich rührten sich. Ein jeder stand bloß reglos da und betrachtete sein Gegenüber wie vor einem anstehenden Kampf, wartend auf die Reaktion des Anderen.

      Doch nichts geschah. Der Wolf ergriff weder die Flucht, noch griff er mich an – was mich zugegebener Maßen äußerst erleichterte, denn ich war mir nicht sicher, ob ich den Dolch so schnell zur Hand gehabt hätte, um mich damit verteidigen zu können. Also machte zuletzt ich den Anfang, trat vorsichtig einen Schritt zurück, hoffend, den Wolf dadurch nicht aufzuschrecken, und zog mein Gewehr ganz langsam aus der Satteltasche heraus. Der Wolf reagierte nicht.

      Ebenso langsam hob ich das geladene Gewehr auf Augenhöhe, legte den Kolben an meiner Schulter an und zielte unverwandt auf die Stirn des Tieres. Der Wolf rührte sich noch immer nicht und ich konnte kaum glauben, dass er es mir tatsächlich so leicht machen sollte.

      Ich legte den Finger auf den Abzug und drückte ihn behutsam durch, bis ich den Widerstand des Anschlags spürte. Dabei blieben meine Augen fest auf die Stirn des Wolfes gerichtet, der noch immer reglos dasaß. Doch gerade als ich den Druck meines Fingers verstärken und endlich schießen wollte, sprang er - als hätte er es geahnt - auf und lief davon. Allerdings nur ein paar Schritte. Dann hielt er wieder an und beobachtete mich erneut.

      Ich nahm das Gewehr herunter in dem sicheren Glauben, er würde jetzt jeden Augenblick endgültig die Flucht ergreifen, doch er verharrte still auf seinem Platz. Also legte ich die Waffe abermals an und zielte wieder auf ihn. Und auch diesmal wartete er genau so lange, bis ich beinahe schoss, bloß um just im letzten Augenblick wieder aufzuspringen und ein Stück davonzulaufen.

      Dieses Spiel wiederholte sich noch ein weiteres Mal und langsam wurde ich skeptisch. Was bewog diese Bestie bloß dazu, sich derart seltsam zu verhalten?

      Entschlossen trat ich schließlich auf das Tier zu, das Gewehr jetzt in der linken Hand, während ich mit der Rechten den Griff des Dolches umschloss, den ich in einer Scheide an meinem Gürtel trug. Doch auch davon blieb der Wolf unbeeindruckt und harrte weiterhin aus, wo er war. Geradewegs ging ich auf ihn zu und beschleunigte sogar meine Schritte, wissend, dass dies ein nicht ganz ungefährliches Unterfangen war. Aber meine Erregtheit ließ mich alle Vorsicht vergessen und als der Wolf auch dann noch keine Anstalten machte, zu fliehen, warf ich schließlich das Gewehr zur Seite und zog den Dolch aus der Scheide, um ihn damit anzugreifen.

      Tatsächlich ließ er mich sogar so nah an sich herankommen, dass ich ihn beinahe hätte berühren können, und ich machte mich schon bereit zu dem entscheidenden Sprung. Da aber rannte er los, wenn auch wieder nur so weit, dass er in etwas größerer Entfernung abermals auf mich warten konnte.

      Konsterniert blieb ich stehen und überlegte, ob ich diese aberwitzige Jagd nicht einfach abbrechen sollte, doch mein Ehrgeiz war bereits entfacht und Aufgeben kam für mich nicht mehr in Frage. Also spielte ich dieses Spielchen weiter, wobei ich dem Tier nun zunehmend aggressiver folgte.

      Auf diese Weise trabte der Wolf eine ganze Weile munter vorweg, während ich ihm blindlings hinterher rannte, bis er schließlich plötzlich in einer kleinen Höhle verschwand, deren spaltförmiger Eingang sich unverhofft hinter einem umgestürzten Baum auftat. Verdutzt blieb ich stehen.

      Warum lief der Wolf in diese Höhle hinein? Bis hierhin hatte ich eigentlich den Eindruck gehabt, dass er über eine außergewöhnliche Intelligenz verfügte. Wie aber konnte er dann jetzt auf einmal so dumm sein, sich unweigerlich in eine Falle zu begeben?

      Oder konnte es sein, dass der Wolf mich absichtlich hier her gelockt hatte und gar nun ich drohte, in eine Falle zu tappen? Nein, bei aller Eigenart, die meine Jagd bis jetzt zwar an sich gehabt hatte, aber ein solches Denken traute ich dieser Kreatur dann doch nicht zu.

      Hin- und hergerissen blickte ich noch einmal zurück und stellte dabei fest, dass ich mein Pferd sowie mein Gewehr einfach ungeachtet zurückgelassen hatte. Aber im Grunde kümmerte mich das in diesem Moment nur wenig, denn ich war der Überzeugung, dass ich nun leichtes Spiel haben würde und sich die Jagd damit endlich dem baldigen Ende näherte.

      Also wandte ich mich wieder dem Höhleneingang zu und trat näher an ihn heran. Ein kühler Modergeruch schlug mir wie eine Warnung daraus entgegen und weckte in mir unweigerlich einen gewissen Widerwillen. Allerdings reichte dieser noch lange nicht aus, um mich davon abzuhalten, die Höhle in leicht geduckter Haltung und mit angriffsbereit vorgestreckter Waffe zu betreten.

      Im Eingangsbereich sorgte das Tageslicht noch für genügend Helligkeit, um gut sehen zu können. Aber je tiefer ich in die Höhle vordrang, desto dunkler wurde es. Bei jedem weiteren Schritt, den ich auf dem zunehmend schlüpfrig feuchten Boden tat, wurde das Gefühl einer nicht fassbaren Bedrohung stärker, wobei ich noch nicht einmal genau erklären konnte, warum das so war. Handelte es sich doch lediglich um einen einzelnen Wolf, dem ich da auf den Fersen war...

      Heute verfluche ich diesen Moment immer und immer wieder, und ich wünschte mir nichts mehr, als dass ich damals auf dieses Gefühl gehört hätte. Aber ich tat das Gegenteil.

      Die unaufhaltsam an mir heraufkriechende Furcht ignorierend, die Sinne auf das Feinste geschärft und die Muskeln bis auf den Kleinsten angespannt, ging ich unbeirrt weiter. Nervös umklammerte ich den Dolchgriff mit meiner feuchten Hand und blickte mit schnellen Kopfbewegungen mal nach rechts, mal nach links, um möglichst keinen Winkel außer Acht zu lassen, in dem sich der Wolf möglicherweise verkrochen und auf die Lauer gelegt haben könnte. Glücklicherweise gewöhnten sich meine Augen bald ein wenig an die Dunkelheit, sodass ich mich ihm, den ich nach wie vor nicht entdecken konnte, wenigstens nicht mehr so blind ausgeliefert fühlte. Aber wo zum Teufel steckte er?

      Plötzlich