Daniela Hochstein

Daimonion


Скачать книгу

der Zeit gewöhnten sich meine Augen noch etwas besser an die Dunkelheit, sodass der matte Schein des Wolfes schließlich genügte, um in meiner unmittelbaren Nähe weitere Umrisse und Strukturen erkennen zu können. Wie erwartet, befand sich um mich herum nichts als loses Geröll und Felsen. Ich musste wohl in eine Spalte gerutscht sein, die in diese Höhle hier mündete, soviel konnte ich mir zusammenreimen. Das allerdings war auch schon alles. Die eigentliche Größe der Höhle vermochte ich in der Dunkelheit von meinem Platz aus nicht zu ermessen. Also beschloss ich, mich durch die Grotte zu tasten, bis ich einen Ausweg gefunden hatte.

      Mit neuem Mut richtete ich mich auf und stellte dabei erfreut fest, dass der Schwindel deutlich nachgelassen hatte, sodass er mich nicht mehr so zu beeinträchtigen vermochte. Entschlossen streckte ich beide Hände nach vorne aus und setzte vorsichtig, nahezu blind einen Fuß vor den anderen, bis ich auf eine der Wände traf, an der ich mich weiter entlang tastete. Ich ging fest davon aus, auf diese Weise zwangsläufig irgendwann auf einen Haufen Geröll zu stoßen, den ich empor hätte klettern können. Aber gleich, wie lange ich die Wand auch verfolgte, sie blieb durchgehend senkrecht und es fand sich nicht einmal ein kleines Gefälle, geschweige denn eine Böschung, die mich in die ersehnte Freiheit hätte führen können.

      Schließlich war ich einmal im Kreis gegangen, was ich dank des Wolfes, dessen Licht mir als Orientierung diente, mit Gewissheit sagen konnte. Doch stets hatte ich die unverändert gerade, kalte Felswand unter meinen Händen gefühlt, ohne irgendeine Unterbrechung.

      Wie konnte das sein? Bisher war ich der festen Überzeugung gewesen, durch einen Erdrutsch abgestürzt zu sein, aber nun fand ich keinen Hinweis mehr darauf...

      Ungläubig versuchte ich immer wieder mein Glück, wobei ich nicht mehr sagen kann, wie oft ich die eigentlich kleine Höhle noch umrundete. Es endete dennoch immer mit dem gleichen Ergebnis.

      Zunächst verfluchte ich die Dunkelheit in dem festen Glauben, dass ich bei nur ausreichend vorhandenem Licht den Hang sofort gefunden hätte. Aber bald schon spürte ich, wie sich langsam die Verzweiflung in meine Gedanken schlich. Was würde mit mir geschehen, wenn ich keinen Ausgang fand? Es gab weder Wasser noch Nahrung, und sicherlich verirrte sich kein Mensch hier her, der meine mit der Zeit schwächer werdenden Hilfeschreie hören würde.

      Würde meine Familie den gesamten Wald nach mir durchsuchen lassen, während ich hier unten unentdeckt verdurstete und verhungerte? Hier unten, gefangen in der ewigen Finsternis, angezapft von irgendwelchen blutgierigen Kreaturen... Oder würde der Wolf, selbst hungrig, mir vorher den Garaus machen?

      Betroffen hielt ich inne.

      Ich wollte - nein - ich durfte diesen Gedanken keinen Raum geben! Ich musste einen klaren Kopf bewahren, musste eine Lösung finden! Und noch während ich so dastand und mir nachdenklich auf den Fingernägeln kaute, mich immerwährend ermahnend, bloß ruhig zu bleiben, schien sich plötzlich in der Höhle etwas zu verändern.

      Anfangs konnte ich nicht genau sagen, was es eigentlich war. Ich meinte, hohe, stoßartige Laute hören zu können, ganz leise anfangs. Doch als ich mich darauf konzentrierte, merkte ich, dass sogar die ganze Höhle von ihnen erfüllt war. Stetig wurden sie lauter und zu allem Überfluss auch noch von den Felswänden reflektiert, bis sie sich zu einem anhaltenden Ton vereinten, der schrill in meinen Ohren klingelte. Irritiert schaute ich mich um, ohne jedoch etwas erkennen zu können.

      Dafür spürte ich jedoch plötzlich, wie mich ein kühler Lufthauch streifte. Hektisch flatternde Geräusche erhoben sich wie ein unterschwellig aufkommender Sturm, begleitet von einem vibrierenden Knistern, das sich zitternd auf meine Haut legte und mit Gänsehaut überzog.

      Unsicher blickte ich mich nach dem Wolf um und zog es schließlich vor, mich schnellstens wieder an seine Seite zu flüchten. Doch als ich ihn erreicht hatte und mich schutzsuchend an seinen Körper lehnte, stellte ich beunruhigt fest, dass die Muskeln unter seinem weichen Fell bis aufs Äußerste gespannt waren.

      Was auch immer gerade in dieser Höhle vor sich ging, ich hatte zunächst geglaubt, der Höhepunkt müsste längst erreicht sein. Doch ich hatte mich geirrt. Der unangenehm hohe Ton wurde zunehmend schriller, das Schwirren um mich herum gehetzter. Selbst der Wolf neben mir begann nervös zu zittern. Und wenn ich seine Anwesenheit bis dahin noch als beruhigend empfunden hatte, so genügte nun allein dieses Zittern, um auch den letzten Damm gegen die auf mich zurollende Panik gefährlich zu untergraben. Ja, es erforderte meine größte Selbstdisziplin, nicht einfach meinen bebenden Muskeln nachzugeben, aufzuspringen und bar jedweder Kontrolle in blinde Raserei zu verfallen. So verharrte ich stattdessen starr auf meinem Platz und presste meine Hände auf die Ohren, um diesem nervenzerrenden, mittlerweile bohrenden Ton nur irgendwie zu entgehen und mich bloß auf das Schnaufen meiner Atemzüge zu konzentrieren.

      Da plötzlich war es still. Totenstill.

      Skeptisch nahm ich meine Hände wieder herunter. Doch es blieb dabei: Nichts rührte sich mehr; nicht das leiseste Geräusch war noch zu vernehmen, sodass mir selbst das leise Rascheln meiner Kleidung während des Auf und Ab meines Atems wie ohrenbetäubender Lärm vorkam.

      Ich war wie gelähmt.

      Was hatte das alles zu bedeuten?

      Da!

      Ich hörte ein Schnauben. Nur kurz, aber dafür bedrohlich nah. Angestrengt starrte ich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und versuchte, dort etwas zu erkennen. Doch trotz des schwachen Lichtscheins des Wolfes, herrschte so tiefe Dunkelheit, als würde irgendetwas jegliches Licht unmittelbar verschlingen.

      Der Wolf seinerseits schien allerdings mehr zu wissen als ich, denn mit eingezogenem Schwanz duckte er sich tief auf den Boden und stierte knurrend nach oben, während sein gesamter Körper vibrierte. Ratlos folgte ich seinem Blick und da sah ich es endlich!

      Das Wesen befand sich direkt über mir. Ich konnte seinen kalten Atem auf meinem Gesicht spüren, und bei seinem Anblick gefror mir das Blut in den Adern.

      Ich schaute direkt auf einen farblosen, riesenhaften Kopf, dessen hervorstechende Schädelknochen von durchscheinender Haut überspannt waren. Beidseits der zwei länglichen Krater, die sich in das Gesicht gruben, wo man sonst die Nase erwartet hätte, lauerten tief in ihren runden Höhlen zwei schwarze, unergründliche Augen. Ein rotes Licht glomm in ihnen und ich glaubte, durch diese Augen unmittelbar in die Hölle blicken zu können. Gerne hätte ich mich von ihnen abgewandt und wäre geflohen, doch ein hypnotischer Sog übermannte mich und machte es mir unmöglich. Stattdessen saß ich willenlos da, ausgeliefert, des sicheren Verderbens harrend, das sich unentrinnbar vor mir auftat.

      Fauchend riss die Kreatur ihr lippenloses Maul auf und entblößte eine Reihe spitzer Zähne, an Grausamkeit nur noch übertroffen von zwei langen, messerscharfen Reißzähnen, von denen der Speichel troff. Sie allein genügten, mir des sicheren Todes gewiss zu sein.

      Gleichzeitig aber packten mich zwei knochige Klauen mit blitzartiger Geschwindigkeit an Haaren und Brust. Wie geschliffene Messer bohrten sich die spitzen Krallen in meine Haut. Überrascht keuchte ich auf und trotz der entsetzlichen Schmerzen, die meinen ganzen Körper mit einem Mal durchfluteten, schien mein Wille plötzlich zurückgekehrt zu sein. Mit verzweifelter, aus Todesangst geborener Kraft versuchte ich mich aus diesem unnachgiebigen Griff zu befreien. Allerdings führte dies bloß dazu, dass die Kreatur ihre Klauen noch fester um mich schloss, bis mir fast gänzlich die Luft wegblieb und ich mich kein Stück mehr bewegen konnte. Wehrlos war ich diesem Ungeheuer nun ausgeliefert und es zögerte nicht lange. Mit einem Ruck zerrte es an meinen Haaren, sodass mein Kopf knirschend nach hinten gerissen wurde. Tausend Nadeln schossen mir in die Glieder. Schnell wie eine Schlange zuckte sein nackter Schädel hervor und seine scharfen Zähne schnitten wie Eiszapfen in meinen Hals, während sich sein Kiefer gnadenlos um ihn schloss.

      Das vernichtende Reißen in meinem Nacken, der plötzliche, wie Feuer brennende Schmerz an meiner Kehle und das anschließende Gefühl, in rasender Geschwindigkeit meiner gesamten Lebenskraft beraubt zu werden, war das Letzte, was ich noch bewusst wahrnahm. Den Rest des Geschehens konnte ich dagegen nur noch schemenhaft verfolgen, als hätte sich ein bleicher Schleier über meine Sinne gelegt, um den unfassbaren Schrecken und die todbringenden Schmerzen für meinen geschundenen,