Daniela Hochstein

Daimonion


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      Der Raum, der sich mir offenbarte, war klein und karg eingerichtet. Eine Kerze stand auf dem einzigen, einfach gezimmerten Tisch und erzeugte das notwendige Licht, in dem eine junge Frau mit angestrengten Augen versuchte, zerschlissene Kleidung notdürftig zu flicken. Obgleich sie sicherlich die Mitte zwanzig gerade erst überschritten hatte, zeigte ihr Gesicht schon erste Falten um Mundwinkel und Augen, sodass sie deutlich älter wirkte.

      Noch während ich die Frau bei ihrer Arbeit beobachtete, betrat ein Mann, ungefähr gleichen Alters, die Stube und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Die Frau schaute dabei nur für einen flüchtigen Augenblick zu ihm auf, legte dann Nähzeug und Kleidung beiseite und griff nach einer hölzernen Schale, welche schon an seinem Platz bereit stand. Mit steifen Gliedern erhob sie sich und ging müde zu der Kochstelle hinüber. Diese bestand lediglich aus einem kleinen Ofen mit einer einzigen Kochmulde, darauf ein verbeulter Topf, dem zaghaft kräuselnder Dampf entstieg. Die Frau umfasste den daraus hervorlugenden Griff einer Kelle, rührte ein paar Mal behäbig den Inhalt des Topfes um und hob sie schließlich heraus, um eine dünnflüssige Suppe in die Schale zu gießen. Diese brachte sie ihrem Mann, stellte sie vor dessen Nase ab und kehrte an ihren Platz zurück, um dort weiter ihrer Arbeit nachzugehen. Ohne ein Wort des Dankes hob der Mann die Schale an seine Lippen und begann, seine Suppe zu schlürfen.

      Wäre mein Durst nicht so unerträglich gewesen, hätte ich, der ich stets Achtung und Respekt vor dem Leben besessen hatte, diese Menschen einfach in Ruhe gelassen und wäre weiter meiner Wege gegangen. Niemals hätte ich ihnen absichtlich etwas Böses zugefügt! So ein Mensch war ich nie gewesen! Das möchte ich hier wirklich mit Nachdruck betonen, einfach deshalb, weil jetzt plötzlich alles anders war.

      Denn jetzt hatte ich Durst, schrecklich brennenden, beinahe vernichtenden Durst. Ja, ich war ganz und gar beherrscht von ihm und bei dem Anblick jener Menschen machte mein Herz einen Satz freudiger Erwartung. Ich kann nicht sagen, woher, doch ich wusste plötzlich mit absoluter Gewissheit, dass dies hier etwas anderes sein würde, als die jämmerlichen Tiere! In diesem Moment konnte ich die Gestalten jenseits der Fensterscheibe nicht mehr als Menschen betrachten, sondern bloß als Beute, die mir endlich bald Abhilfe gegen diesen quälenden Durst schaffen würde. Selbst durch das geschlossene Fenster hindurch konnte ich ihr Blut riechen, ihre rosig leuchtende Hautfarbe sehen und ihre Wärme spüren.

      Wärme...

      Bis jetzt hatte ich es gar nicht bemerkt, aber nun fiel mir auf, wie unnatürlich kalt meine eigene Haut geworden war, ohne dass ich dabei jedoch fror. Und plötzlich sehnte ich mich nach der Nähe dieser Menschen, nach ihrer Wärme an, nein, in meinem Körper.

      Oh Gott, wie verzehrte ich mich nach ihrem Blut!

      Getrieben von dieser glühenden Begierde ging ich um das Haus herum, dorthin wo sich der Eingang befand. Mit einem kurzen Tritt öffnete ich mühelos die behelfsmäßige Tür und fand mich unmittelbar in der besagten Kammer wieder, wo Mann und Frau erschrocken inmitten ihrer Bewegung innehielten und mich für einen kurzen Augenblick entgeistert anstarrten. Dann aber besann sich der Mann. Er stellte hastig seine Schale ab, sprang auf und griff nach einem Schürhaken, der in seiner Nähe an der Wand lehnte. Zornig funkelte er mich an.

      `Was wollen Sie hier?´

      Meine Gier hatte mich vorher nicht über mein Tun nachdenken lassen. Aber jetzt, wo diese Leute mir direkt gegenüberstanden und mir von Mensch zu Mensch in die Augen schauten, jetzt, wo ich ihre Wut und Feindseligkeit wie eine Welle auf mich einschlagen spürte, jetzt kehrte mein menschlicher Verstand für einen Moment lang zu mir zurück und ich fühlte mich regelrecht verloren vor ihnen. Hilflos stand ich bloß da und diesen Moment nutzte der Bauer, um mit seinem inzwischen bedrohlich erhobenen Schürhaken auf mich zuzugehen. Wer konnte es ihm auch verdenken, denn ich musste einfach befremdend auf ihn wirken, gewaltsam, wie ich eingedrungen war, in meiner verdreckten, stinkenden Kleidung, mit zerwühltem Haar und von Durst gehetzten Augen.

      `Verschwinden Sie, wir haben nichts, was für Sie interessant wäre!´ Die wütende Drohung des Mannes riss mich schließlich aus meiner Erstarrung. Mein Körper begann plötzlich zu reagieren, während ich selbst die folgende Szene bloß miterlebte, als stünde ich gefesselt und geknebelt neben mir, unfähig in das Geschehen einzugreifen, obgleich ich es so gerne getan hätte.

      Mit ungeheurer Geschwindigkeit sprang ich auf den Mann zu. Ich packte ihn mit der rechten Hand bei den Haaren, riss ihm den Kopf in den Nacken und drehte ihn dabei so zur Seite, dass seine Halsschlagader frei vor meinen Lippen lag und ich meine Fangzähne nur noch in seine Haut zu bohren brauchte, um sie zu eröffnen. Und dann geschah das, worauf ich die ganze Zeit so sehnsüchtig gewartet hatte: Sein Blut schoss hervor, fast schneller als ich schlucken konnte und es schmeckte anders als das der Tiere.

      Ganz anders!

      Es war angenehm warm, süß, lebendig und durchströmte meine Adern bis in ihre letzten Verzweigungen. Es fühlte sich an, wie das längst überfällige Wasser auf schon lang vertrocknetem Boden. Meine hungrigen Arterien füllten sich, dehnten sich aus und atmeten befreit auf, wie die verdorrten Wurzeln eines alten Baumes nach einem üppigen Regenguss. Ein aufregend prickelndes Wohlgefühl durchzog meinen gesamten Körper, auf dass ich endlich eine unvergleichlich tiefe Befriedigung empfand...

      Frieden...

      Doch während ich noch trank und sich mein Körper in seinem glückseligen Zustand zunehmend entspannte, tauchten plötzlich Bilder in meinem Kopf auf; ein ganz neuartiges Erlebnis, das ich von den Tieren so noch nicht kannte. Ich sah Kinder, die über eine Wiese rannten, vom Heuboden sprangen, auf Bäume kletterten; die Frau, die hier saß, bloß noch jünger; ein Säugling, dann noch einer; zwei weitere starben; Arbeit auf dem Feld, im Stall; Streit mit dem Landesherrn... Dann folgte Stille.

      Keine Bilder, kein Puls, kein Blut. Das Herz des Mannes hatte aufgehört zu schlagen.

      Er war tot.

      Völlig selbstvergessen hatte ich beim Trinken meine Augen geschlossen und als ich jetzt langsam wieder ins Diesseits zurückkehrte und sie öffnete, blickte ich unmittelbar auf den toten Mann, der nun schlaff in meinen Armen hing. Ungläubig starrte ich ihn an und plötzlich kam es mir vor, als sei ich inmitten eines gruseligen Traums gefangen. Ich konnte einfach nicht glauben, dass ich wirklich hier stand mit einem toten Menschen in meinen Armen, dem ich soeben das gesamte Blut ausgesaugt hatte. Das konnte doch unmöglich ich gewesen sein! Was war denn bloß in mich gefahren?

      Fassungslos und zutiefst betroffen betrachtete ich den Mann und als ich mich schließlich von diesem grausamen Anblick losriss und verzagt den Kopf hob, begegnete ich geradewegs dem Blick seiner Frau. Mit dem blanken Entsetzen in ihren aufgerissenen Augen starrte sie mich an. Ja, ich konnte sogar ihre Angst riechen und ihren rasenden Herzschlag hören...

      Langsam ließ ich den toten Bauern zu Boden gleiten und ging auf sie zu. Sie durfte nicht denken, dass ich so grausam war, wie es ihr nun erscheinen musste! Daher versuchte ich, sie mit sanfter Stimme und beschwichtigenden Gesten zu beruhigen, ihr zu versichern, dass ich das nicht gewollt hatte. Ich redete von einer eigentümlichen Krankheit, die mich heimgesucht hatte und die hoffentlich bald wieder abklingen würde... Aber was von meinen Worten noch in ihrem vor Schreck gelähmten Bewusstsein ankam, weiß ich nicht genau, denn gleich, was ich tat oder sprach, sie saß einfach bloß starr da, wie eine Puppe, bar jedweden Lebens.

      Noch immer spürte ich den Durst in mir brennen, wenn auch nur noch auf kleiner Flamme. Aber mit jedem Schritt, den ich mich der Frau nun weiter näherte, wuchs diese Flamme wieder an, wurde mein Begehren fordernder. Und so trat ich unaufhaltsam wie der unbarmherzige Tod auf sie zu, während sie weiterhin bewegungslos auf ihrem Stuhl verharrte und einfach durch mich hindurch zu sehen schien.

      Plötzlich begannen zwei Wesen in mir zu streiten: Ich selbst wollte die Frau nach wie vor von meiner eigentlich guten Gesinnung überzeugen, aber etwas anderes in mir wollte lediglich ihr Blut, ohne Kompromisse. Zudem musste ich mir eingestehen, dass die Frau, ließe ich sie am Leben, unweigerlich überall verkünden würde, was ich getan hatte und dies würde wahrscheinlich – selbst wenn das Wort eines Adeligen gegen das einer Bäuerin stand – genügen, mich in Schwierigkeiten zu bringen... Was hatte ich daher also für eine Wahl? Einmal dieses