Daniela Hochstein

Daimonion


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wurde mir erst viel später klar, was das für mein weiteres Leben bedeutete...

      Als ich am kommenden Abend wieder erwachte, war ich zunächst erleichtert, dass die Sonne untergegangen und die Marter, die sie mit sich gebracht hatte, vorüber war. So sehr ich die Sonne bis dahin geliebt hatte, so war mir nun doch schmerzlich bewusst, dass ich sie in meinem derzeitigen Zustand strikt meiden musste, wie lange dieser sich auch noch hinziehen mochte.

      Um mich noch einmal der Folgen ihrer Strahlen zu vergewissern, untersuchte ich meinen Arm, den sie verbrannt hatte. Doch zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass die Haut vollständig wieder verheilt war. Zum Glück schien sich mein Körper ungewöhnlich rasch von seinen Wunden zu erholen, oder aber die wenigen Strahlen hatten einfach nicht ausgereicht, um ihm nachhaltig zu schaden.

      Wie dem auch war, ich war jedenfalls nicht im Geringsten daran interessiert, derartiges noch einmal zu erleben.

      Jetzt, wo es draußen dunkel geworden war, fühlte ich mich nicht mehr so müde und schwer wie noch am Morgen, sondern vielmehr stark und voller Vitalität. Gleichzeitig jedoch begann auch wieder dieser unnatürliche Durst nach Blut beharrlich in meinen Adern zu wühlen. Noch war er allerdings nicht groß genug, als dass er fähig gewesen wäre, das bedrückende Gefühl von Verzweiflung und Verwirrung zu überdecken, das ich nun empfand, wo ich die nötige Ruhe hatte, mir der Geschehnisse der letzten Nacht bewusst zu werden. Noch hatte ich die Muße, mich mit allerlei Fragen zu quälen. Zum Beispiel mit der Frage, was aus mir geworden war? Was hatte zu dieser befremdlichen Veränderung geführt, die sich mit meinem Körper vollzogen hatte? War es etwa eine seltene Krankheit, die mich befallen hatte? Konnte ich von diesem Zustand wieder genesen? War das überhaupt alles wirklich geschehen?

      Noch immer befand ich mich unter dem Bett in der kleinen Kammer dieses verfluchten Hauses – was für meine Befürchtung sprach, dass dieser Albtraum Wirklichkeit war - und der Geruch nach beginnender Verwesung, der mich umgab, verriet mir, dass die Leichen nebenan keinesfalls einer kranken Phantasie, sondern der schonungslosen Realität entsprachen.

      Langsam - wohl, um einfach etwas zu tun - kroch ich unter dem Bett hervor, wie der Beelzebub aus seiner Hölle, stand auf, klopfte mir den Staub von den Kleidern - eigentlich eine alberne Geste in Anbetracht der ganzen Situation - und war schlicht weg aufgeschmissen. Ohne diesen erbarmungslosen Durst wäre ich wohl wie paralysiert gewesen; hätte mich einfach nicht mehr bewegt, nicht mehr nachgedacht oder wäre vielleicht einfach verrückt geworden. Aber dieser eigenartige, existenzielle Durst, den ich in dieser Form noch nie erlebt hatte - war es doch vielmehr eine untrennbare Kombination aus Hunger, Durst und triebhaftem Verlangen - spornte mich an, füllte meine Gedanken und gab mir ein unverkennbares Ziel: Blut!

      Zuerst aber musste ich fort von hier! Der Leichengestank, der unter dem Türspalt herein quoll wie der unheilversprechende Geist einer Seuche, war kaum zu ertragen und ich wollte ihn so schnell wie möglich hinter mir lassen. Doch als ich das Schlafzimmer verließ und den Wohnraum auf meinem Weg nach draußen durchqueren wollte, traf mich der Schlag.

      Das, was ich dort vorfand, machte mich derart betroffen, dass ich selbst den hartnäckigen Durst für eine Zeit lang in den Hintergrund drängen konnte: Auf dem Boden, neben den Leichen, kauerten eng aneinander zwei Kinder. Das ältere, ein Junge, musste ungefähr zehn Jahre alt gewesen sein und das jüngere war ein Mädchen von schätzungsweise fünf Jahren. Erschrocken schnellten ihre Köpfe in die Höhe, als ich die Tür der Schlafkammer öffnete, und sie starrten mich aus ihren tränenverschmierten Gesichtern an, als sei ich mit einem Donnerschlag vor ihren Augen aus dem Boden aufgefahren.

      Was glaubten sie wohl, in diesem Moment vor sich zu sehen? Erkannten sie in mir das Monster, das letzte Nacht hier gewütet hatte? Oder hatten sie mich gar dabei beobachtet?

      Langsam schritt ich auf sie zu und ging in noch sicherer Entfernung vor ihnen in die Hocke.

      `Habt keine Angst!´, sagte ich, bemüht darum, beruhigend zu klingen. `Ich habe keine bösen Absichten.´

      Der Junge betrachtete mich skeptisch. Er schien mir nicht zu trauen, was mit Blick auf seine ermordeten Eltern auch nicht gerade verwunderlich war. Mutig und mit der Todesverachtung eines Kindes reckte er sein Kinn vor und fragte mit zorniger Stimme: `Wer hat unsere Eltern getötet?´

      Ich zögerte. Was sollte ich ihm antworten? Der Anblick der Leichen erfüllte mich selbst noch mit Schrecken und Abscheu.

      `Warst du es?´, setzte er schließlich nach.

      Schnell insistierte ich: `Nein!... Nein, es war... jemand anderes! Ich... ich konnte es leider nicht mehr verhindern.´ Der Junge sah mich mit zu einem schmalen Spalt zusammengekniffenen Augen an, sagte jedoch nichts weiter, obwohl er, davon war ich überzeugt, mir nicht glaubte.

      Ich erwiderte seinen Blick schuldbewusst und fragte mich dabei, wie ich nun mit diesen Kindern verfahren sollte. Ich hatte schon Elend genug über sie gebracht und hätte mir selbst nicht mehr ins Gesicht sehen können, wenn ich sie jetzt einfach ihrem unseligen Schicksal überlassen hätte.

      Nein, ich fühlte mich vielmehr dazu verpflichtet, ihnen etwas zurückzugeben für das, was ich ihnen so selbstsüchtig und grausam gestohlen hatte!

      Auf der anderen Seite aber spürte ich, wie der Durst bedrohlich in mir nagte und diesen beiden leichten Opfern gegenüber nicht gerade abgeneigt war. Glücklicherweise jedoch waren Anstand und Mitgefühl im diesem Moment noch stark genug, um diesem Impuls empört zu widerstehen. Allerdings aber führte mir dieser Umstand auch nur all zu deutlich vor Augen, dass es für die Kinder einem Himmelfahrtskommando gleichgekommen wäre, wenn ich mich selbst Ihrer angenommen hätte.

      Nach einigem Überlegen kam mir jedoch eine Idee, mit der ich auch gleichzeitig die Hoffnung verband, mich anschließend wieder halbwegs menschlich fühlen zu können. Denn bis hierhin war ich mir immer mehr wie eine seelenlose Bestie vorgekommen.

      Ich wandte mich daraufhin an den Jungen und begann mit wohl bedachten Worten: `Es wird euch sicherlich schwer fallen, aber hier könnt ihr nicht bleiben, Kinder. Ich werde euch fortbringen, an einen Ort, wo man sich um euch kümmern wird.´

      Ich hatte gehofft, mit meinem Vorhaben auf gewisse Einsicht zu treffen, aber der Junge starrte mich bloß wütend an und ballte dabei seine Fäuste, als hätte er gerne gegen mich aufbegehrt. Doch mit einem abwägenden Blick auf seine kleine Schwester, die sich zitternd an ihn drängte, schien ihm klar zu werden, dass sie letztlich keine andere Wahl hatten, und so fügte er sich mit zusammengepressten Lippen meinem Plan, ohne noch weiter zu widersprechen.

      `Habt ihr auf diesem Hof ein Pferd?´, fragte ich ihn weiter, worauf er mich jedoch bloß wortlos ansah, als schien er zu überlegen, welche Antwort nun die Klügste wäre. Schließlich aber nickte er verhalten.

      `Es ist hinten im Stall. Aber es ist alt... Es ist bloß ein Ackergaul...´

      `Du meinst, es ist zum Reiten nicht geeignet?´

      Wieder nickte der Junge, worauf ich ihn nachdenklich betrachtete. Aber mir fiel keine bessere Möglichkeit ein. Einen Fußmarsch von der Länge, wie ich es beabsichtigte, hätten die Kinder - insbesondere das Mädchen - nicht in der Zeit bewältigen können, die uns bis zum Morgengrauen zur Verfügung stand.

      `Führ mich zu dem Pferd´, wies ich den Jungen also an, der daraufhin zögernd aufstand, wobei sich das Mädchen schreckhaft an ihm festklammerte.

      `Ich will mit´, rief sie aus und bedachte mich dabei mit einem ängstlichen Blick aus ihren großen grauen Augen, sodass wir schließlich zu dritt gen Stall wanderten.

      Das Pferd, das wir dort antrafen war tatsächlich ein alter, bereits klappriger Gaul. Aber ich war mir sicher, dass er noch in der Lage war, die Kinder bis zu dem angedachten Ziel zu tragen. Entschlossen nahm ich daher Halfter und Trense von dem Haken an dem Eingang der Box und ging auf das Tier zu, um es aufzuzäumen, denn ich wollte so schnell als möglich aufbrechen. Doch als ich es berührte, um ihm die Trense in das Maul zu schieben, begann es plötzlich zu scheuen. Schnaubend riss es den Kopf in die Höhe und glotzte mich mit angelegten Ohren aus weit aufgerissenen Augen an. Ich verharrte in meiner Bewegung und wartete einen Moment, bis es sich wieder etwas