Daniela Hochstein

Daimonion


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hatte, von meiner auf mich geladenen Schuld schier erdrückt zu werden.

      Sanft umfasste ich mit meiner linken Hand ihr Kinn und drehte den Kopf etwas zur Seite, ohne dabei auch nur im Entferntesten auf Widerstand zu stoßen. Mein Herz schmerzte, so zerrissen fühlte es sich zwischen dem Begehren nach dem Blut dieser Frau und der Abscheu vor meiner kaltblütigen Tat...

      Mit meiner rechten Hand strich ich ein paar herabhängende Haarsträhnen beiseite. Sie fühlten sich so unglaublich weich an, was wahrscheinlich daran lag, dass sich auch mein Tastsinn verfeinert hatte... Dann fuhr ich ihr mit meinen Fingern über die Wange, plötzlich ganz fasziniert von der Wärme und der rosigen Farbe ihrer Haut. Auf einmal hatte ich das unbändige Verlangen, die Frau zu küssen. Ja ich tat es sogar. Nicht auf den Mund, aber auf ihre Schläfe. Nur ein kurzer, unschuldiger, nun vielleicht auch entschuldigender Kuss, den ich ebenso einer Statue hätte geben können, denn die Frau ließ ihn einfach geschehen, reglos, emotionslos, ja wie versteinert.

      Schließlich gelangte meine Hand zu ihrem Hals, wo ich ihren bebenden Pulsschlag unter meinen Fingern spüren konnte, und der Rhythmus ihres Herzens begann, wie ein hypnotisierendes Echo in meinen Lenden zu pochen. Wieder küsste ich sie, diesmal auf diesen bezaubernden Hals... Und wieder zeigte die Frau keinerlei Regung. Der Duft ihres Blutes, der scheinbar ungefiltert durch ihre Haut drang, umfing mich wie ein betörender Nebel und versetzte mich erneut in einen berauschten, seltsam erregten Zustand. Instinktiv öffnete ich meinen Mund und noch bevor ich mir recht gewahr wurde, was ich da eigentlich tat, biss ich zu. Schnell und hoffentlich schmerzlos.

      Diesmal allerdings trank ich nicht mehr so gierig, sondern konzentrierte mich stärker auf die begleitenden Phänomene wie dieses wunderbar beglückende und entspannende Gefühl in meinem Körper, das sich in kraftvollen Stößen fließend bis in meine entferntesten Gliedmaßen ausbreitete und sie mit einer wohltuenden, kitzelnden Wärme erfüllte. Ebenso neugierig verfolgte ich aber auch die Bilder, die den Blutstrom zum Ende hin begleiteten, und es schien mir, als erzählten sie in kurzen Sequenzen das Leben meines Opfers, während sein Hirn langsam erstarb. Und während ich noch zu begreifen versuchte, warum das alles auf diese Weise geschah, begann der Blutfluss der Frau bereits zu versiegen. Ihr Herz lag unweigerlich in seinen letzten Zügen, lief schließlich leer und stand dann still.

      Nun war auch die Bäuerin bloß noch eine leblose Hülle in meinen Armen und ich ließ von ihr ab. Mein Durst war endlich überwunden. Das war das Erste, was ich fühlte.

      Dann aber drang das Bild dieser beiden bedauernswerten und nun toten Bauersleute an meinen wiederkehrenden Verstand und als ich das ganze Ausmaß meiner Tat endgültig begriff, erfüllte mich bloß noch ein niederschmetterndes Gefühl des Grauens und der Selbstverachtung.

      Mein verfluchter Körper hingegen fühlte sich gut; er hatte das, was er so sehr brauchte. Mein triebhaftes Verlangen war endlich befriedigt. Meine Haut fühlte sich wieder warm an und ich spürte, wie mein zufriedenes Herz das Blut eifrig und unermüdlich durch meine Gefäße pumpte.

      Aber was war der Preis dafür?

      Plötzlich, fast als wolle sich mein Geist vor dem drohenden Zusammenbruch schützen, kam mir die ganze Szene so unwirklich vor. Ich war auf einmal nur noch müde. So schrecklich müde!

      Schlafen und Vergessen. Das war alles, was ich jetzt noch wollte.

      Nein, genau genommen wollte ich aufwachen. Aufwachen in meinem eigenen Bett, zu Hause, in meinem alten Leben!

      Zutiefst angewidert und gewillt, nichts davon als wahr anzuerkennen, wandte ich mich schließlich ab von dem furchtbaren Anblick dieser beiden leblosen, kalkweißen Körper, die mit ihren leeren Augen Richtung Himmel starrten, als könne dieser ihnen noch das ersehnte Heil bringen. Und trotz der unglaublichen Energie und Kraft, die mich nach mehreren Litern Blut nun bis ins Innerste erfüllte, schritt ich doch schwerfällig durch die Hütte, wie ein alter Mann, auf der Suche nach einer erlösenden Schlafgelegenheit.

      Ich fand sie letztendlich in einem winzigen Nebenraum, in Form eines einfachen Bettes. Bevor ich mich jedoch darin zur Ruhe legte, ging ich zielstrebig auf den schmalen Schrank zu, der sich noch ein bescheidenes Plätzchen an der Wand erstritten hatte, und kramte mir dort eine halbwegs passende Hose und ein Hemd heraus. Diese tauschte ich hastig gegen meine verschmutzte, abscheulich stinkende Kleidung, als könne ich mich dadurch auch des Wissens um mein schreckliches Verbrechen entledigen, und ließ mich hiernach endlich, betäubt von bleierner Müdigkeit und zerfressender Schuld auf das Bett fallen.

      Zwar bestand die Matratze bloß aus einem Leinensack, gefüllt mit Stroh, das mir mit seinen spitzen Halmen durch den Stoff hindurch in den Rücken stach, und als Decke diente lediglich ein verfilztes, vielleicht auch verlaustes Lammfell, aber das alles war mir in diesem Moment völlig gleichgültig. Ich fiel unmittelbar, nachdem ich mich darauf niedergelegt hatte, in einen tiefen, hoffnungsvollen Schlaf. Dabei galt der letzte Gedanke noch meinem zu Hause und dem sehnlichen Wunsch, dort morgen von den warmen Sonnenstrahlen geweckt zu werden, in dem sicheren Wissen, dass alles bloß ein schrecklicher Traum gewesen war.

      Nur wenige Stunden später wurde ich in der Tat von den Sonnenstrahlen geweckt. Allerdings nicht zu Hause und auch nicht so erquickend, wie man es sich vielleicht vorstellen würde. Im Gegenteil.

      Kapitel 4

      Die Sonne riss mich mit einer Grausamkeit aus dem Schlaf, die eher an eine Folter denken ließ.

      Zuerst wusste ich gar nicht, wie mir geschah. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Blut wie ein feuerroter Strom aus glühender Lava unaufhaltsam durch meine Adern kriechen und meinen Körper von innen verzehren. Davon erschrocken und im Nu hellwach, sprang ich auf und blickte hektisch an mir herunter, wobei ich allerdings äußerlich nichts Ungewöhnliches an mir entdecken konnte. Von dieser Tatsache allerdings nur wenig beruhigt, fragte ich mich, woher dieser Schmerz in mir rührte? Was hatte er zu bedeuten? Und würde er etwa noch schlimmer werden?

      Besorgt schaute ich mich in der Kammer um, ob hier möglicherweise irgendwo die Ursache für dieses unheilvolle Phänomen zu finden war, und dabei trat ich unwillkürlich in den Lichtkegel aus Sonnenstrahlen, die zaghaft durch eine kleine Luke hereintropften. Zum Glück, muss ich sagen, war das Fenster nicht größer gewesen, denn als mich die wenigen Strahlen daraufhin mitten ins Gesicht trafen, stachen sie mir wie spitze Dornen in meinen Augen. Sofort riss ich meinen Arm in die Höhe, um sie zu schützen, doch dies führte bloß dazu, dass die Sonne jetzt dort meine Haut verbrannte, als hätte mir jemand kochendes Wasser darüber gegossen. Mit einem kurzen Aufschrei duckte ich mich hastig unter den plötzlich so bedrohlichen Strahlen hinweg, um ihnen zu entgehen. Aber auch wenn danach wenigstens meine Haut nicht mehr verbrannte, so blieb das Kochen in meinen Adern doch weiterhin bestehen, ja es schien sich sogar noch zu steigern und versetzte mich zunehmend in Panik. Wie vom Teufel gejagt, blickte ich mich eilig in der Kammer um, in der Hoffnung, dabei irgendeine Zuflucht zu finden, und letztendlich war es das Bett, unter dem ich mich wie ein völlig verstörter Maulwurf verkroch, um in dessen dunklen Schatten endlich Erlösung von dieser entsetzlichen Pein zu finden.

      Mit dieser Erlösung kam auch der Schlaf. Allerdings war dieser nun anders als vorhin, denn da hatte ich geschlafen wie ein Mensch, mit einem Unterbewusstsein, das noch über mich wachte, mich mit Träumen unterhielt und mir ein Gefühl von Zeit schenkte. Nun jedoch schlief ich wie ein Toter.

      Wie konnte ich wissen, dass es so war? Ich kann es nicht erklären, aber ich fühlte es. Dieser Todesschlaf, in den ich seither jeden Morgen falle, ist absolut imperativ und völlig leer. Es gibt kein Zeitgefühl, keine Träume, kein Erwachen zwischendurch, keine Form des Bewusstseins. Auch nicht in der Nachbetrachtung. Es ist, als sei ich über diesen Zeitraum einfach nicht existent; als hätte ich die Augen bloß für einen kurzen Moment geschlossen... Genauso ist das Erwachen. Wie eine Uhr zur vollen Stunde schlägt, so werde ich wach. Immer zur Abenddämmerung. Unabhängig allerdings von der Uhrzeit. Ich könnte nicht früher aufstehen, selbst wenn ich es mit aller Kraft gewollt hätte. Ebenso obliegt es nicht meiner Willenskraft, länger in diesem Todeszustand zu verharren. Mein Körper gehorcht ganz einfach Gesetzen, auf die ich selbst keinen Einfluss habe. Und so bin ich seit jener