Daniela Hochstein

Daimonion


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in mein Zimmer strömte, wurde begleitet von dem Schallen schneller Schritte, dem metallenen Schaben einer Mistgabel, den barschen Rufen des Stallmeisters sowie dem Schnauben der Pferde, die bereits ungeduldig mit den Hufen scharrten, in freudiger Erwartung, bald auf die saftig grüne Weide geführt zu werden.

      Doch nicht nur draußen herrschte Betrieb. Auch im Hause waren die Dienstmädchen bereits damit beschäftigt, den Tisch für das Frühstück der Herrschaften einzudecken. Die Köchin – eine füllige, manchmal äußerst launische Frau – hatte schon längst Herd und Ofen angeheizt, Teig geknetet und das Fett in der Pfanne geschmolzen, sodass nun ein herrlicher Duft nach gebratenem Schinken, Eiern und frischem Brot durch sämtliche Ritzen des Gemäuers zog und schließlich auch meine hungrige Nase erreichte.

      Ausgeruht und voller Tatendrang fuhr ich mir hastig mit einer Handvoll Wasser aus der bereitstehenden Waschschüssel durch mein Gesicht und kleidete mich in meine Reiterkluft, denn ich gedachte, noch vor dem gemeinschaftlichen Frühstück der Familie einen kleinen Ausritt zu unternehmen. Vorher wollte ich allerdings noch meinen knurrenden Magen besänftigen und schlich mich hinunter in die Küche, wo ich mir, von der Köchin unbemerkt, ein kleines Frühstück zusammenstahl.

      Mit vollem Mund, aber wieder leeren Händen, betrat ich wenig später die Waffenkammer. Zielstrebig steuerte ich auf die breite Glasvitrine zu, die eine beachtliche Auswahl an Schusswaffen beherbergte. Den dazugehörigen Schlüssel fingerte ich aus seinem Versteck, einer flachen, unscheinbaren Schublade am Sockel der Vitrine, und öffnete die Tür. Ich brauchte nicht lange zu überlegen, für welche Waffe ich mich entscheiden sollte, bevorzugte ich doch für die Jagd – und wer weiß, vielleicht ergab sich auf meinem Ausritt ja die Gelegenheit dazu - eine schlicht gearbeitete Steinschlossbüchse, nach der ich direkt griff. Dazu versorgte ich mich noch mit der passenden Munition, einem kurzen Dolch und begab mich dann auf den Weg zu den Ställen.

      Bei meinem ersten Schritt hinaus auf den Hof, wurde ich von einer erfrischenden Brise feuchter, von dem Schein der Sonne bereits angenehm erwärmter Morgenluft begrüßt, was meine Vorfreude auf den kleinen Ausflug noch steigerte; ich konnte ja nicht im Ansatz ahnen, wohin er mich letztlich führen würde... Gemächlich schlenderte ich über den kopfsteingepflasterten Hof zu den Ställen hinüber. Die ersten Tiere befanden sich schon auf der Koppel und Carl, der Stallknecht, war damit beschäftigt, die verlassenen Pferdeboxen auszumisten. Er schob gerade einen Karren voll Mist über den Hof, als ich unbedarft vor ihn trat und damit beauftragte, mein Pferd zu satteln. Mit der Miene eines nachsichtigen Vaters stellte er den Karren ab und kehrte in den Stall zurück, um meinem Wunsch nachzukommen. Währenddessen lehnte ich mich lässig mit gekreuzten Beinen an das Stalltor, um dort auf ihn zu warten und mir mit genießerisch geschlossenen Augen von den Sonnenstrahlen das Gesicht wärmen zu lassen.

      Ich war damals 28 Jahre alt und lebte auf unserem Anwesen noch zusammen mit meinen Eltern, meiner jüngeren Schwester und einer Reihe von Bediensteten.

      Meine beiden deutlich älteren Brüder hatten das Gut schon vor Jahren verlassen, um sich am Königshof – ehrgeizig wie sie waren – empor zu dienen. Ich konnte mir nur zu gut vorstellen, wie sie alles daran setzten, um sich dabei gegenseitig auszustechen.

      Wie dem auch war: mittlerweile hatten sie ihre Positionen errungen, ja sie waren sogar mit eigenen Ländereien ausgestattet und es zog sie glücklicherweise nur noch selten zu dem heimatlichen Anwesen.

      Ich möchte hier anmerken, dass ich nie ein besonders gutes Verhältnis zu ihnen gehabt hatte. Sie selbst waren in kurzem Abstand hintereinander geboren worden und standen sich damit auf ihre ganz eigene Art und Weise sehr nahe. Ich dagegen war bloß der kleine Nachzügler gewesen, den niemand ernst nehmen konnte - oder wollte. Obwohl meine Brüder schon als Kinder stets ihre bisweilen bösartigen Kämpfe untereinander auszufechten pflegten, so hatten sie es dennoch vermocht, sich bestens miteinander zu vertragen, wenn es darum ging, sich gegen mich zu verbünden. Daher muss ich ehrlich zugeben, dass ich nur froh gewesen war, als sie das Elternhaus endlich verließen, und ich vermisste sie seither nicht im Geringsten. Ebenso wenig interessierte mich ihr Vorankommen in der Ferne, und es ihnen womöglich irgendwann einmal nachzutun, kam mir schon gar nicht in den Sinn. Zu gut ging es mir zu Hause, und da ich der letzte verbliebene Sohn auf dem Anwesen war, blieb es ohnehin an mir, es eines Tages als rechtmäßiger Erbe zu übernehmen.

      Bei meiner Schwester, Elisabeth, hingegen verhielt es sich vollständig anders. Ihre Geburt war zwar für meine Eltern wohl eher ein Versehen gewesen, doch für mich war es das Größte, was mir hätte widerfahren können. Ich weiß noch, wie mein Vater mir meine kleine, frisch geborene Schwester behutsam in den Arm legte, während meine Mutter noch erschöpft in ihrem Bett lag... Elisabeth war nur kurz gebadet und dann in ein weißes Leinentuch gewickelt worden. Ehrfürchtig schaute ich auf dieses kleine, unschuldig schlummernde Wesen herab, das sich so warm anfühlte und so eigenartig süß duftete, und das erste Mal in meinem Leben fühlte ich mich wichtig. Von nun an sollte es jemanden geben, der noch kleiner war als ich und auf den es aufzupassen galt. Eine große Aufgabe!

      Im Nachhinein muss ich darüber schmunzeln, aber damals hatte ich mich mit meinen knappen fünf Jahren auf einmal so unglaublich erwachsen gefühlt und dementsprechend meine Aufgabe sehr ernst genommen. Bis zu der Zeit, wo auch Elisabeth größer geworden war und sie von meinem Schützling vielmehr zu meiner Spielkameradin wurde.

      So blieb es eigentlich, bis wir erwachsen waren und ich konnte mir nicht vorstellen, irgendwann ohne Elisabeth zu sein. Daher kam es mir sehr gelegen, dass meine Eltern - nicht zuletzt dank des Einsatzes meiner Mutter - so liberal waren und meiner Schwester ein Mitspracherecht bei der Auswahl ihres zukünftigen Gatten zustanden. (Auch wenn es der damaligen Sitte, die Tochter meist ungefragt an einen vielversprechenden Mann gleichen oder womöglich höheren Standes zu verheiraten, nicht entsprach.) Dies führte nämlich dazu, dass Elisabeth auch mich bei dieser Entscheidung stets mit einbezog und ich auf diese Weise bereits so manche Heirat hatte verhindern können; mit dem Ergebnis, dass sie mit ihren 23 Jahren – obgleich unzweifelhaft von reizvoller Gestalt – noch unverheiratet und kinderlos war und die Unzufriedenheit unserer Eltern darüber wuchs. Damals hatte mich das allerdings nur wenig gekümmert, und welche unseligen Konsequenzen meine Eltern zuletzt darauf hatten folgen lassen, sollte ich erst Jahre später erfahren.

      Von den Schuldgefühlen allerdings, die ich seither deswegen empfinde, werde ich mich wohl niemals lossagen können. Denn wenn ich nicht so egoistisch und eifersüchtig gewesen wäre, hätte Elisabeths Leben wahrscheinlich einen ganz anderen Lauf genommen und ich hätte sie am Ende nicht auf so abscheuliche Art verlieren müssen. Doch dazu später.

      Das Schnauben meines Pferdes erklang auf einmal unmittelbar neben mir, sodass ich aus meinen dahinwandernden Gedanken wieder auftauchte. Ich öffnete meine Augen und blickte direkt in Carls belustigt schmunzelndes Gesicht, während er mir die Zügel entgegenhielt. Ich lächelte ertappt, bedankte mich und während er zu seinem Mistkarren zurückkehrte, verstaute ich das Gewehr, das ich solange an meiner Seite abgestellt hatte, in der eigens dafür gefertigten Satteltasche. Dann schwang ich mich behände auf den Rücken des Tieres und trieb es mit einem leichten Fersendruck in die Flanken an. Tänzelnd setzte es sich in Bewegung und das ungeduldige Klappern seiner Hufe auf dem Pflaster hallte über den ganzen Hof. Ich spürte, wie es nur darauf drang, endlich davon zu galoppieren, doch ich zügelte es noch so lange, bis wir den Hof durch das Tor verlassen hatten. Erst dann ließ ich es gewähren, worauf es übermütig lospreschte.

      Ich liebte das kraftvolle Spiel seiner Muskeln, die sich dabei an meinen Unterschenkeln rieben, und hatte bald das Gefühl mit dem gleitenden Rhythmus des Tieres zu verschmelzen, während es mühelos über den Pfad dahinjagte. Die Geschwindigkeit versetzte mich schon bald in einen regelrechten Rausch und ich trieb es unermüdlich in wildem Galopp quer über die Felder und zuletzt auf den angrenzenden Wald zu. Ungebremst ritt ich noch ein Stück hinein, bis der Pfad zunehmend von Gestrüpp überwuchert wurde und uns damit zwang, langsamer zu werden.

      Schließlich zog ich die Zügel an und stieg ab, um mir – das Pferd hinter mir herführend - mit Händen und Füßen einen Weg durch das Dickicht zu bahnen. Dabei hielt ich Ausschau nach möglichen Spuren von Rehen, Wildschweinen oder was sich sonst noch zur Jagd anbot. Und tatsächlich war ich noch gar nicht so tief in den Wald vorgedrungen, da stieß