Daniela Hochstein

Daimonion


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war davon höchst überrascht, denn gewöhnlich trat dieses Stadium erst dann ein, wenn mein Opfer seinen letzten Herzschlag getan hatte. Doch ich hatte Ulrich die ganze Zeit im Auge behalten, um ja nicht den Zeitpunkt zu verpassen, an dem ich aufhören musste, und er war alles andere als tot. Im Gegenteil: hellwach beobachtete er mich und in seinen Gesichtszügen spiegelte sich vielmehr eine ungemeine Erleichterung.

      Neugierig zog ich mich ein wenig zurück, um die Wunde nochmals zu betrachten. Doch was ich da sah, führte selbst bei mir zu größter Verwunderung.

      Die Wunde blutete nicht mehr.

      Nein, das konnte sie auch nicht mehr, denn sie war verschwunden und nichts, nicht einmal mehr der Hauch einer dünnen Narbe, deutete noch darauf hin, dass sie je da gewesen war.

      Ulrich selbst hatte seine wundersame Heilung noch nicht bemerkt und ich nahm rasch das Stoffknäuel, das noch an meiner Seite lag, um es auf die Stelle zu drücken, die bis vor wenigen Augenblicken noch unaufhaltsam geblutet hatte. Dann wickelte ich schnell die restlichen Stoffstreifen um Oberkörper und Schulter, damit es wenigstens den Anschein behielt, als gäbe es dort noch etwas zu verbinden.

      Ulrich, nun urplötzlich von seinen Schmerzen befreit, geriet daraufhin fast schon in einen Zustand der Euphorie. Während ich die beiden Enden des Verbands miteinander verknotete, bedankte er sich immer wieder für meine großmütige Hilfe, durch welche er nun sicherlich bald genesen würde.

      Aber nichts desto trotz war er natürlich durch den großen Blutverlust noch sehr schwach, weswegen ich auch darauf bestand, dass er sich für die restliche Fahrt in der Kabine seiner Kutsche bettete, um dort etwas zu schlafen.

      Ich hingegen kletterte wieder hinauf auf den Kutschbock und übernahm die Zügel. Dabei war ich froh, alleine hier oben sitzen zu können und nun keine Unterhaltung führen zu müssen. Zu abgelenkt war ich von den Gedanken an dieses seltsame Ereignis, das ich zu begreifen versuchte.

      Wir hatten durch diesen Zwischenfall insgesamt viel Zeit verloren und ich hatte nun die Sorge, dass die Sonne aufgehen könnte, noch bevor ich mein Ziel erreicht hatte. Daher trieb ich die Pferde zusätzlich mit der Peitsche an, welche ich surrend auf ihre Leiber schnellen ließ, sodass sie bis an den Rand der Erschöpfung durch die Nacht donnerten. Immer wieder warf ich einen gehetzten Blick über die Schulter Richtung Osten, um mich zu vergewissern, dass ich noch außer Gefahr war.

      Bald aber tauchten am Horizont vor mir die ersten Turmzipfel der Stadt auf und ein erneuter Blick nach Osten bestätigte mir, dass die Dämmerung noch etwas auf sich warten lassen würde. Zumindest lange genug, um für Ulrich und mich eine Bleibe zu suchen. Dennoch trieb ich die Pferde weiter unbarmherzig an, bis ich endlich an der Stadtgrenze angekommen war. Erst als wir das Befestigungstor durchquert hatten, erlaubte ich den schnaufenden Tieren, ihr Tempo zu drosseln und schließlich vor dem nächsten Gasthaus anzuhalten.

      Kaum, dass die Kutsche stehen geblieben war, sprang ich mit einem Satz von dem Bock herab, lief zur Tür und schlug kräftig mit der Faust dagegen, damit man mich auch im tiefsten Schlaf noch hören konnte.

      Mit Erfolg, denn kurz darauf öffnete mir ein verschlafen, nicht gerade freundlich dreinschauender junger Mann – ein Anblick, an den ich mich wohl gewöhnen musste, wenn ich stets noch kurz vor Sonnenaufgang um ein Zimmer bitten würde; aber auch ein Anblick, der mir deutlich machte, dass es für mich langfristig sinnvoller wäre, mir ein festes Domizil zuzulegen.

      Mit etwas Überredungskunst und insbesondere ein paar Nachdruck verleihenden Talern ließ der Wirt mich schließlich ein und war bereit, mir ein Zimmer zu vermieten. Doch noch bevor ich es bezog, erkundigte ich mich nach dem nächstgelegenen Hospital, in das ich gedachte, Ulrich zu bringen, damit er von den Folgen seiner Verletzung unter fachkundigen Augen genesen konnte.

      Vor dem Hospital angekommen, weckte ich Ulrich, der trotz der rasanten Fahrt in der Kabine eingeschlafen war. Da er noch sehr schwach auf den Beinen war, legte ich seinen unverletzten Arm über meine Schultern und stützte ihn auf dem Weg hinein. Dabei ließ er es sich trotz seiner Schwäche nicht nehmen, mich für meinen Mut, mein Kampfgeschick sowie meine Heilkunst zu loben.

      `Sie werden sich sicher wundern, mein Herr, aber Sie haben meine Wunde so gut versorgt, dass ich nun sogar gänzlich von den Schmerzen befreit bin´, schwärmte er und mir blieb nichts anderes übrig, als sein Lob mit einem bescheidenen Lächeln hinzunehmen. Dabei hoffte ich, dass ich bereits längst von hier verschwunden sein würde, wenn schließlich der Verband entfernt wurde und auffiel, dass die Wunde im Grunde gar nicht mehr vorhanden war.

      Deswegen, aber auch in Anbetracht der nahenden Dämmerung, wollte ich mich, nachdem sich inzwischen eine Krankenschwester seiner angenommen hatte, endlich von ihm verabschieden und zu meinem Zimmer zurückkehren. Also verlor ich noch ein paar freundliche Worte und streckte Ulrich meine Hand entgegen. Froh schlug er ein und schüttelte sie.

      `Leben Sie wohl, mein Herr, aber eines muss ich Ihnen noch gestehen: Gegen alles Geld der Welt werde ich nicht mehr durch die Nacht fahren! Glücklicherweise waren es diesmal bloß Räuber, die uns aufgelauert haben, aber das nächste Mal könnte es auch der Dämon selbst sein... Auch Sie sollten sich das in Zukunft gut überlegen!´ Dabei zog Ulrich eine verschwörerische Grimasse und ich hätte fast angefangen zu lachen. Wenn er gewusst hätte, dass er soeben diesem Dämon noch ausschweifend für seine Taten gedankt hatte, würde er sich vielleicht noch so manches Mal wünschen, von ihm heimgesucht zu werden.

      Anstatt jedoch zu lachen, begnügte ich mich mit einem nachsichtigen Lächeln und einem freundschaftlichen Klopfen auf Ulrichs Schulter, um mich dann mit einem Abschiedsgruß zum Gehen zu wenden und das Hospital zu verlassen.

      Die Kutsche hinterließ ich für Ulrich in einem nahe gelegenen Stall und ging von dort aus zu Fuß zurück zu dem Gasthaus, wo mein Zimmer bereits auf mich wartete; ebenso wie der Schrankkoffer, der mir dort als Bett und sicherer Schutz vor der Sonne dienen musste. Zumindest für diesen Tag.“

      ***

      Cheriour betrachtete den Vampir nachdenklich. Dann sah er sich die Gesichter der anderen Engel an, zuletzt das des Richters. Alle hörten sie dem Vampir gebannt zu. Armon war ihnen sympathisch, das konnte Cheriour erkennen. Irgendwie schaffte er es immer wieder, dass man ihm sein Tun nicht verübeln konnte. Ja, selbst Cheriour hätte diesem Armon etwas abgewinnen können, wenn er nicht zu gut gewusst hätte, was dieses Wesen in die Welt gebracht hatte, sei es auch unverschuldet und unwissentlich gewesen.

      Sicher, er konnte noch Zeuge um Zeuge gegen ihn ins Feld führen. Es gab genug davon. Da konnte selbst Ambriel ihm mit seinen kläglichen Versuchen kaum das Wasser abgraben. Aber was hatten ihm die Zeugen genutzt? Nein, Cheriour entschied, Armon einfach weiter erzählen zu lassen. Der Engel kannte die Geschichte und er wusste, dass sie alsbald da angelangen würde, wo es deutlich heikler werden sollte. Denn die Tragweite seiner dämonischen Existenz würde dann nicht mehr nur diesen einzelnen Vampir umfassen, nicht allein seinem Ermessen von Moral und Legitimität unterliegen; nein, geboren aus seinen ureigensten Ängsten und Sehnsüchten, würde sie sich ausbreiten und unkontrolliert um sich greifen.

      Diese Stelle würde Cheriour abpassen.

      Wieder unter Menschen – Kapitel 1

      „Den ersten Abend in der fremden Stadt verbrachte ich damit, durch die Straßen zu schlendern und meine neue Umgebung zu erkunden.

      Alles hier war ein Stück größer, als ich es aus meiner Heimat kannte. Die Straßen waren breiter und überall gepflastert. Es gab Bürgersteige, die Platz genug boten, bequem zu dritt nebeneinanderher spazieren zu können, ohne dabei fürchten zu müssen, versehentlich in den Rinnstein zu treten. Die Häuser waren überwiegend drei- oder gar vierstöckig und drängten sich beidseits der Hauptstraße zu einem undurchdringlichen Wall zusammen.

      Trotz der bereits eingetretenen Dunkelheit, gab es noch genug Menschen, die scheinbar kein Interesse hatten, sich bald in ihre Häuser zurückzuziehen, um sich zur Ruhe zu legen. Vielmehr tummelten sie sich noch fröhlich auf der Straße, saßen schwatzend und trinkend in Tavernen, begaben sich ins Theater, die Oper oder was die Stadt