Daniela Hochstein

Daimonion


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betrübt feststellen zu müssen, dass der Geschmack bei Weitem nicht das widerspiegelte, was mir der Duft zuvor versprochen hatte. Am Ende kostete es mich wirklich erhebliche Willenskraft, den Bissen auch noch herunterzuschlucken. Mir gelang es zwar, aber kaum hatte er meine Mundhöhle Richtung Speiseröhre verlassen, da begann ich bereits, unvermittelt zu husten, gefolgt von einem erbarmungslosen Brechreiz. Sofort sprang ich auf und rannte, die Hand auf meinen Mund gepresst, hinaus auf die Straße, wo ich mich schwallartig übergab. Und obwohl damit der eine Bissen, den ich bloß zu mir genommen hatte, mehr als wieder heraus befördert worden war, wurde ich noch von einigen Würgekrämpfen geschüttelt, bevor es irgendwann endlich aufhörte.

      Frustriert starrte ich auf die nun sehr unansehnlichen Bratkartoffeln zu meinen Füßen und wartete darauf, dass sich mein brennender Magen wieder beruhigte. Dabei gestand ich mir ein, dass mein Interesse an menschlicher Nahrung soeben deutlich nachgelassen hatte, um nicht zu sagen: ich war davon kuriert.

      Da ich zum einen meine Rechnung noch nicht bezahlt hatte und zum anderen diesen Abend nicht auf diese ernüchternde Art und Weise ausklingen lassen wollte, kehrte ich, nachdem es mir etwas besser ging, in das Wirtshaus zu meinem Platz zurück und setzte mich. Den Teller mit dem von mir verschmähten Essen, drückte ich allerdings bei der nächsten Gelegenheit der Wirtin in die Hand, da ich weder den Anblick, noch den Geruch länger ertrug. Das Bier hingegen behielt ich, um so wenigstens den Anschein zu wahren, ich sei ein ganz gewöhnlicher Gast. Auch wenn dieses kleine Intermezzo zumindest mich selbst bedauerlicherweise wieder auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeworfen und mir auf peinliche Weise vor Augen geführt hatte, dass ich eben doch anders war, als alle hier Anwesenden.

      Durch diese unglückliche Eskapade nahezu vollständig meiner anfänglichen Hochstimmung beraubt, saß ich nun da, nippte hin und wieder an meinem Becher, ohne wirklich daraus zu trinken, und beobachtete dabei die Menschen, in der Hoffnung, dadurch wenigstens etwas von dem vorhin noch empfundenen Glücksgefühl wieder heraufbeschwören zu können. Und wie ich mich so beiläufig umschaute, bemerkte ich auf einmal, dass einer der Menschen mich beobachtete.

      Es war ein älterer Mann, kostbar, aber ohne viel Zierde gekleidet. Er trug keine Perücke, wie es sonst in höheren Kreisen, gerade bei den älteren Herrschaften noch weit verbreitet war. Doch sein immer noch volles, wenn auch vollständig ergrautes Haar war nach zeitgemäßer Manier frisiert. Allerdings hatte er sich auch hier eher für die schlichte Variante entschieden. Sein blasses Gesicht strahlte beim ersten Hinsehen eine fast lehrmeisterliche Strenge aus, die mir unweigerlich ein gewisses Unbehagen bereitete und dazu führte, dass ich es nach Möglichkeit vermied, seinem Blick zu begegnen.

      Und doch, irgendetwas darin machte mich neugierig. Es war eine gewisse Unstimmigkeit, eine Diskrepanz seiner Falten, die sich bereits tief in sein Antlitz gegraben hatten. Denn konzentrierte ich mich bloß auf seine Mundwinkel, so fand ich dort diese eben beschriebene Strenge und Bitterkeit, aber wanderte ich dann hinauf zu seinen Augen, wich diese zunehmend einer Lebendigkeit, die sowohl von tiefgründiger Heiterkeit, wie auch von resignierter Traurigkeit kündete.

      Anfangs kreuzte ich seinen Blick stets scheinbar zufällig, in der Hoffnung, mir den Herrn in einem unbeobachteten Moment einmal eingehender betrachten zu können. Aber je öfter ich dies versuchte, desto deutlicher musste ich erkennen, dass er mir selbst unverhohlen dabei zusah, wie ich alleine dasaß, aus meinem Becher trank, ohne dass dieser sich leerte, und mich meinen Betrachtungen hingab.

      Zunächst bemühte ich mich, einfach darüber hinwegzusehen und mich auf die Wirtin zu konzentrieren, die wieder einmal ein halbes Dutzend überschäumende Bierkrüge durch den Raum schaukelte. Dann lenkte ich meine Aufmerksamkeit auf zwei zankende Männer, die sich gegenseitig beim Kartenspielen übers Ohr gehauen hatten und es nun jeder für sich abstritten. Auf diese Weise tat ich es noch mit vielen anderen Szenen, die sich um mich herum abspielten. Doch seit ich wusste, dass der Alte mich dabei beobachtete, fühlte ich mich zunehmend befangen, sodass ich schließlich beschloss, zu zahlen und die Taverne zu verlassen.

      Mit einem verärgerten Blick in seine Richtung stand ich auf und wollte gerade gehen, als er mich mit einem entschuldigenden Lächeln und einem kurzen Wink dazu aufforderte, mich doch zu ihm zu setzen.

      Ich zögerte.

      Der Alte bemerkte dies und erhob sich förmlich, um mir mit einer angedeuteten Verbeugung einen Stuhl anzubieten, den er etwas von dem Tisch zurückzog. Dabei sah er mich auf eine Weise an, die einerseits sein besonderes Interesse an mir, als auch eine anziehende Warmherzigkeit verriet.

      Hin- und hergerissen zwischen dem Ärger über die fehlende Diskretion des Alten sowie der Wissbegier, was er sich wohl von mir versprechen mochte, entschloss ich mich schließlich dazu, seinem Angebot zu folgen.

      Stumm ging ich zu ihm hinüber, setzte mich auf den angebotenen Stuhl, lehnte mich betont lässig zurück und betrachtete ihn fragend mit einer hochgezogenen Augenbraue, als wolle ich ihn dadurch zur Rechenschaft ziehen. Schmunzelnd und ohne auch nur im Geringsten Anstoß an meiner Gebärde zu nehmen, streckte der Alte mir zum Gruß seine Hand entgegen.

      `Mein Name ist Heinrich von Schwarzenstein.´ Die Stimme des Alten hatte etwas von einer rostigen, frisch geölten Radnabe: sie klang widerstandslos dahin gleitend und doch rau.

      Schweigend erwiderte ich die Geste und reichte ihm auch meine Hand.

      `Und wie nennt man Sie?´, fragte er, während er um den kleinen Tisch herumging und mir gegenüber wieder Platz nahm.

      `Warum beobachten Sie mich?´, erwiderte ich bloß grob und überging damit die Vorstellung einfach.

      Heinrich allerdings zeigte sich nicht weiter durch meine Unhöflichkeit beeindruckt. Er lächelte bloß milde, als sehe er sie mir verständnisvoll nach.

      `Wollen Sie mir nicht doch Ihren Namen verraten, bevor wir das Gespräch beginnen?´

      `Wenn ich es gewollt hätte, hätte ich es wohl getan, nicht wahr?´ Um meine strikte Haltung noch zu unterstreichen, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und blickte Heinrich direkt in die Augen. Dieser aber grinste nur darüber und für einen kurzen Moment fühlte ich mich an einen Lehrer erinnert, der sich über seinen trotzigen Schüler amüsiert.

      `Nun gut, Namenloser, dann erfahre ich Ihren Namen vielleicht später?´, fragte er und zwinkerte mir dabei zu.

      `Also, warum beobachten Sie mich?´ beharrte ich, ohne weiter auf seine Bemerkung einzugehen.

      Ich wollte es in der Tat brennend gerne wissen und je mehr ich mich von Heinrich wie ein kleiner Schuljunge vorgeführt fühlte, desto ungehaltener wurde ich darüber. Zuletzt überlegte ich ernsthaft, ob ich überhaupt bereit war, noch auf eine Antwort zu warten oder ob ich nicht einfach aufstehen und gehen sollte. Sollte er sich doch über jemand anderes lustig machen...

      `Sie sind anders als die Anderen hier´, antwortete Heinrich dann aber so unvermittelt und mit solch überraschend plötzlichem Ernst, dass ich ihn bloß anstarrte. Er erwiderte meinen Blick und aus seinem Gesicht war dabei jedweder Schalk gewichen.

      `Ich sehe den Tod in Ihren Augen´, fuhr er ohne Umschweife fort.

      Das verschlug mir nun vollends die Sprache. Ich muss zugeben, dass ich in dem ersten Moment einfach nur verblüfft, ja, sogar betroffen war. Und während ich noch darüber nachdachte, wie Heinrich diese Worte wohl gemeint haben könnte, spürte ich, wie er mich interessiert betrachtete, fast als untersuche er mich, ohne sich darüber bewusst zu sein, dass sein Gegenüber kein Forschungsobjekt, sondern – na ja, zumindest dem Anschein nach – ein Mensch darstellte.

      `Ich fürchte, ich verstehe nicht, was Sie da reden´, flüchtete ich mich aus der Situation heraus.

      `Oh, verzeihen Sie!´ Heinrich rückte noch etwas näher an den Tisch heran und stützte sich mit den Armen darauf ab, während er sich ein Stück zu mir vorbeugte.

      `Lassen Sie mich meine Äußerung genauer erklären!´

      Ich nickte bloß kurz.

      `Nun, wie soll ich beginnen...´ Nachdenklich runzelte er die Stirn und blickte dabei versonnen auf seine Hände, die er vor sich gefaltet hatte. Dann, als wisse