Elisabeth Hug

Ein beinahe hoffnungsloser Fall


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      Der fünfzehnjährige Château Lafite Rothschild Grand Cru mit seinen feinen Taminen war eine gute Wahl gewesen; er harmonierte wirklich vorzüglich zu den Speisen. Bommelmütz hatte auch darauf geachtet, ihn nicht zu früh zu dekantieren. Weine dieses Kalibers konnten schnell umschlagen.

      Sophie lobte das feine Essen und den vorzüglichen Wein über die maßen. Sie übertrieb nicht. Das Fleisch war hellrosa auf den Punkt gebraten; die Bohnen waren zart, hatten aber noch genug Biss und durch das frische Bohnenkraut wunderbar aromatisiert. Und sein Kartoffelgratin setzte allem die Krone auf. Vom Wein mit seinem eleganten Körper und seiner hochfeinen Eleganz im Abgang gar nicht zu sprechen.

      Bommelmütz war sich seit jeher selbst stets der ärgste Kritiker; aber er musste zugeben, dass er sich wieder einmal selbst übertroffen hatte. Dieses Menü war wirklich köstlich!

      Während des Mahls erzählte Sophie ihm, was sie in den letzten Wochen recherchiert hatte. Sie hatte sich alles feinsäuberlich aufgeschrieben und zog diese Notizen immer wieder zu Rate. Bommelmütz lauschte aufmerksam ihren Ausführungen. Als Sophie ihn fragte, ob sie ihm die Notizen kopieren sollte, verneinte er. Er zeigte auf seine Stirn «Ist alles dort gespeichert», versicherte er ihr.

      «Wie du meinst, du bist der Boss!»

      «He, he», witzelte er. «Ich dachte, wir sind ein Team».

      Als Dessert hatte Bommelmütz ein Sorbet aus frischen Waldbeeren vorbereitet. Sophie probierte nur aus Anstand davon und verabschiedete sich zeitig, weil sie am nächsten Morgen sehr früh die Kinder zur Schule bringen und danach zu einer Redaktionssitzung hetzen musste. Bommelmütz wollte nicht aufdringlich sein und fragte erst gar nicht, ob Sophie am nächsten Tag nochmals mit den Kindern zu ihm kommen wollte. Er bot ihr aber an, die Reste des Menüs für ihre Kids einzupacken, mit einem herzlichen Gruß von ihm. Sophie nahm das Angebot ohne Zögern an. «Liebend gerne, ich habe morgen ohnehin keine Zeit zu kochen.» Ein Küsschen zum Abschied, dann war sie bereits aus der Türe und brauste wenige Augenblicke später mit ihrem alten roten Alfa aus der Einfahrt. Bommelmütz winkte zum Abschied und blickte ihr gedankenversunken nach, bis ihr Wagen nicht mehr zu sehen war.

      Er ging an diesem Abend entgegen seiner Gewohnheit sehr spät zu Bett. Der Nachbarkater, Tiger, war wie so oft zu Besuch gekommen und bekam von ihm zur Feier des Tages ein kleines Häppchen von dem restlichen Rinderfilet serviert, das er eigens für den Kater zurückbehalten hatte. Während Bommelmütz die Küche aufräumte und alles, was nicht in den Geschirrspüler sollte, von Hand spülte, hatte er die Polizeiakte auf dem Rüsttisch liegen. Gelegentlich warf er während des Abtrocknens oder während er die Gegenstände wieder an ihre angestammten Plätze zurückräumte einen Blick in die Akte.

      Er kannte das Dossier mittlerweile so genau, dass er nicht lange suchen musste und die gewünschten Stellen auf Anhieb fand.

      Gemäß den Unterlagen war Oskar Hagedonk der letzte Zeuge gewesen, der Betty vor ihrem Verschwinden lebend gesehen hatte. Wirklich seltsam. Oskar und Boone gelten beide seit langem als verschollen. «Gab es da einen Zusammenhang, und könnten die beiden mit Bettys Tod etwas zu tun gehabt haben?»

      Bommelmütz resümierte: «Waren Oskar oder Boone entweder selbst die Täter und waren abgetaucht, weil ihnen der Boden zu heiß geworden war?» «Oder hat man sie verschwinden lassen?»

      «Aber vielleicht ist das alles nur Humbug und die beiden hatten nichts, aber auch gar nichts mit dem Mord an Betty zu tun.» Diese dritte Option gefiel Bommelmütz gar nicht, weil sie ihn nicht weiterbringen würde. Aber nachdem, was er heute erkannt hatte, musste er auch diese Option ins Kalkül ziehen. Die Möglichkeit bestand durchaus, dass Oskars und Boones Verschwinden überhaupt nichts mit dem Fall zu tun hatten und purer Zufall waren. Boone war ein schräger Vogel. Durchaus möglich, dass ihm die Sache mit dem Plattenvertrag zu verbindlich geworden war und er deshalb einfach das Weite gesucht hatte.

      Vielleicht lebte er heute völlig zugekifft auf Ibiza oder in Meditation versunken in irgendeinem Kloster in Hinterindien. Bommelmütz hatte von Fällen gelesen, bei denen sich Leute eine Pille eingeschmissen haben und hinterher nicht einmal mehr ihren Namen wussten, geschweige denn, wo sie herkamen oder was sie vorher gemacht hatten. Bei Boone war alles denkbar. Und dem halbseidenen Oskar hatte man unter vorgehaltener Hand krumme Geschäfte mit zwielichtigen Partnern nachgesagt. Wenn das stimmte, war er vielleicht vor seinen Geschäftspartnern abgetaucht oder war gar von ihnen beseitigt worden? Der angebliche Unfall passierte in Italien. Womöglich steckte die Mafia dahinter? Wer weiß.

      Was Bommelmütz am Fall Betty besonders belastete war neben der Tatsache, dass sich der Mord in seinem direkten Umfeld abgespielt hatte noch ein weiterer Umstand. Es war die perfide Art, wie die Leiche damals entsorgt wurde, oder besser gesagt, wie sie quasi öffentlich zur Schau gestellt worden war.

      Nach Bettys Verschwinden hatte eine Polizeihundertschaft samt Hunden mehrere Tage lang akribisch einige Quadratkilometer der näheren Umgebung abgesucht. Ohne jeglichen Erfolg.

      Auf der sogenannten «Krähenhöhe», einer Anhöhe nahe einer stark frequentierten Zufahrtsstraße in die Stadt und von Weitem gut sichtbar, stehen drei große Eichen. Die Ortsjugend stellte traditionell jedes Jahr am Wochenende um den Martinitag eine Strohpuppe, quasi wie eine Vogelscheuche, auf die Krähenhöhe bei den drei Eichen. Diese Tradition besteht nachweislich schon seit Jahrhunderten. Niemand konnte genau sagen, wie und wann der Brauch entstanden war. Auch bei den drei Eichen war in der Woche nach Bettys unerklärlichem Verschwinden, und zwar exakt am 24. Februar, erfolglos gesucht worden.

      Doch zwei Monate nach Bettys Verschwinden, genau am 15. April, war ein Jäger dann durch das seltsame Verhalten seines Weimeraners namens Tell nahe der drei Eichen irritiert worden. Der Hund steckte seinen Kopf in den Wind und schnüffelte. Der Jäger gab später zu Protokoll, ihm war klar, der Hund musste eine Spur in der Nase haben. Plötzlich zog und zerrte sein Hund an der Leine, während er Spurlaut gab. Dem Jäger war mulmig zumute gewesen, als ihn sein Hund zur Krähenhöhe und dort direkt in Richtung der Vogelscheuche führte. Weil er Tell kaum mehr halten konnte, nahm der die Leine sehr kurz und hielt den Hund ganz nahe bei Fuß. Schon als er sich den drei Eichen näherte, war dem Jäger ein Aasgeruch in die Nase gestiegen, der schier unerträglich wurde, je mehr er sich der Vogelscheuche näherte. Der Hund musste den Verwesungsgeruch natürlich schon sehr viel früher wahrgenommen haben und hatte ihn deswegen hergeführt. Auf dem Plateau angekommen, präsentierte sich dem Jäger ein grauenhafter Anblick. Etwa ein Dutzend Krähen flogen wilde Kapriolen zur Strohpuppe und zurück in die Zweige der drei Eichen, auf denen sie ihre Nester hatten. Dabei stießen sie fortwährend ohrenbetäubende Kreisch-Laute aus.

      Eine grauschwarze, sehr große Krähe saß auf der rechten Schulter der Vogelscheuche, eine andere auf ihrem Kopf. Zwei weitere zankten sich flügelschlagend und hackten mit den Schnäbeln gegen ihre Brust. Sie waren eifrig dabei, die Strohverkleidung wegzureißen. Die war jedoch mit Garn stark festgezurrt. Immer wieder attackierten sich die schwarzen Rabenvögel gegenseitig und hackten mit ihren Schnäbeln aufeinander ein, während sie sich ganz offensichtlich um Fleischfetzen zankten. Der Jäger hatte schon sehr viele Kadaver aufgespürt und wusste instinktiv, womit er es zu tun hatte. Aber er konnte auch eins und eins zusammenzählen.

      Seitdem Betty verschwunden war, war er stets mit mulmigem Gefühl durch den Wald gestreift. Er kam an Orte, die sonst nie jemand betrat, und daher war er stets darauf gefasst gewesen, das tote Mädchen irgendwo in einem abgelegenen Winkel des Waldes von Wildschweinen aufgegraben oder unter einem Haufen Äste zu entdecken.

      Dass er sie jetzt aber quasi vor jedermanns Augen ausgestellt finden würde, damit hätte er niemals gerechnet. Das war in der Tat abscheulich. Der Jäger alarmierte mit seinem Mobiltelefon die Polizei und versuchte bis zu deren Eintreffen, so gut es ging, die grässlichen Vögel zu verscheuchen. Er hielt die Luft an und näherte sich bis auf wenige Schritte. Am Kopf hatten die schrecklichen Vögel die Strohummantelung fast gänzlich weggerissen und dadurch das Gesicht, oder besser das, was davon noch übrig war, freigelegt. Aus zwei leeren Augenhöhlen starrte ihn die Tote entsetzt an und schien zu fragen, warum ihr niemand zu Hilfe gekommen war? Dem Jäger, der ein hartgesottener Bursche war, wurde schlecht von dem Anblick und mehr noch vom Aasgestank. Er musste sich ins Gras übergeben und war froh,