Elisabeth Hug

Ein beinahe hoffnungsloser Fall


Скачать книгу

Dill, einem Hauch Knoblauch, Dijon-Senf und Basilikum, das er vor Jahren einem Sternekoch unter der Bedingung abgerungen hatte, es nur für den Eigengebrauch zu verwenden und an niemanden sonst weiterzugeben.

      Bohnensäubern und Salatwaschen sind langwierige Tätigkeiten. Dafür aber extrem gut geeignet, die Gedanken kreisen zu lassen, fast wie bei einer Meditation.

      Während er den Salat Blatt für Blatt wusch und von schlechten Stellen befreite und später auch noch die Bohnen zupfte, ordnete Bommelmütz in Gedanken nochmals alle Bilder und Aussagen in seinem Kopf und listete alle auch nur im Entferntesten in dem Fall beteiligten Personen auf.

      Er fasste zusammen: Da war zunächst Betty. Ein Mädchen, das aussah, als wäre sie gerade aus einem Modejournal entstiegen. Auf dem Foto, das Bettys Eltern für die Suche nach ihrer Tochter abgegeben hatten, sah sie mit ihren blonden Locken, dem unschuldigen Gesicht, dem Kussmund und den strahlend grünen Augen aus wie ein Engel. Doch der äußere Eindruck täuschte. Das Mädchen war nach Aussage ihrer Klassenkameraden keineswegs ein Unschuldsengel. Viele ihrer Schulkameraden beschrieben sie als luxusverliebt und sehr berechnend. Betty war zwanzig Jahre alt, als sie verschwand und ihre Leiche dann zwei Monate später, am 15. April, tot aufgefunden wurde. Zuletzt war sie auf dem Hofgut der Hagedonks lebend gesehen worden. Oskar Hagedonk, der Sohn des Hauses, war im selben Alter wie Betty und beide waren zusammen zur Schule gegangen und locker befreundet gewesen. Oskar war in Bommelmütz’ Augen ein verwöhnter Schnösel. Bei der Befragung der Mitschüler und Lehrer hatte sich herausgestellt, dass Oskar bei seinen Mitschülern im Grunde ziemlich unbeliebt war und in der Schule eigentlich keine richtigen Freunde hatte. Seine Noten waren mittelmäßig. Oskar ließ bei jeder Gelegenheit heraushängen, dass er aus reichem Hause kam. Um anzugeben sowie um seine Mitschüler gefügig zu machen, richtete er von Zeit zu Zeit großzügige Partys aus, bei denen der Alkohol in Strömen floss und sowohl Essen als auch Getränke und gelegentlich sogar Joints für alle geladenen Gäste gratis waren. Einschließlich Annehmlichkeiten wie die Benutzung des Swimmingpools und der Sauna.

      Bommelmütz hatte die Aussagen von Bettys Mitschülern in der Polizeiakte nochmals genauestens studiert. Nur wenige Wochen nach dem Mord an Betty starb überraschend auch Benedikt Hagedonk, Oskars Vater. Benedikt Hagedonk war bei seinem Ableben knapp sechzig Jahre alt und schien in sehr guter körperlicher Verfassung. Er ging regelmäßig ins Fitnessstudio, joggte zweimal wöchentlich rund zehn Kilometer und sofern es seine beruflichen Aktivitäten zuließen, absolvierte er mehrmals in der Woche ein- bis zweistündige Ausritte mit seinem Araber Hengst im Gelände. An einem Samstagabend kam der gesattelte Hengst alleine in den Stall zurückgetrottet.

      Benedikts Auto stand auf dem Parkplatz, aber niemand hatte den alten Hagedonk zuvor in den Stall kommen oder wegreiten gesehen. So wusste auch niemand, wie lange er schon überfällig war.

      Im Stall war man davon ausgegangen, dass das Pferd gescheut und seinen Reiter abgeworfen hatte. Der Stalljunge und zwei der Pensionäre schwärmten aus, um Benedikt Hagedonk zu suchen. Man kannte ungefähr die Route, die der alte Hagedonk gewöhnlich für seine Ausritte wählte. Ein Stallbursche fand Benedikt Hagedonk schließlich auf einer Galoppbahn nur etwa 500 Meter vom Hofgut entfernt. Die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Er musste demnach schon vor mindestens drei bis vier Stunden verstorben sein. Aufgrund der speziellen Umstände hatten Bommelmütz und Vidal auf einer Obduktion bestanden.

      Der Gerichtsmediziner hatte bei der Untersuchung dann aber nichts Auffälliges feststellen können und bescheinigte «Tod infolge eines plötzlichen Herzstillstands ohne äußere Einwirkung» auf dem Totenschein. Doch Bommelmütz hatte irgendwie ein ungutes Bauchgefühl bei der Sache gehabt, und Vidal war es genauso gegangen. Sein Bauchgefühl ließ Bommelmütz ganz selten im Stich und jedes Mal, wenn er die Akte durchging, fühlte Bommelmütz auch heute immer noch Zweifel aufsteigen, ob der alte Hagedonk damals wirklich eines natürlichen Todes gestorben war?

      Und dann war da noch Oskars Mutter, Hanna Hagedonk, die mit Mädchennamen «von Münchenstein» hieß. Als Bommelmütz noch ein Kind war, hatte er Hannas Vater, Alexander von Münchenstein, oft im Haus seines Großvaters angetroffen. Von seinem Großvater wusste Bommelmütz, dass die Familie von Münchenstein früher sehr einflussreich, aber auch ständig in Geldnöten gewesen war. Bommelmütz nahm an, dass Alexander von Münchenstein und sein Großvater geschäftlich miteinander zu tun gehabt hatten. Was genau die beiden miteinander zu schaffen hatten, darauf hatte er vom Großvater aber nie eine zufriedenstellende Antwort erhalten.

      Alexander von Münchenstein machte keinen Hehl daraus, dass seine Tochter, Hanna, Benedikt Hagedonk, der im Übrigen nicht unattraktiv war, nur wegen seines Vermögens geheiratet hatte. Darüber hinaus deutete er an, dass Benedikt früher ein lüsterner Weiberheld gewesen sein musste. So oder so waren die beiden ein ganz spezielles Paar. Wenn man sie zusammen sah, und das konnte man oft in der Lokalpresse, drückten sie eine gewisse Noblesse aus. Die verwöhnte, arrogante Adlige und ihr hemdsärmeliger, extrovertierter Sugarboy, wie man sie unschmeichelhaft hinter ihrem Rücken nannte, wurden oft und gerne von der örtlichen Prominenz eingeladen. Sie machten etwas her und verliehen jeder faden Provinz-Veranstaltung einen gewissen Glamour. Hanna liebte den großen Auftritt in exklusiven Designerroben, und wo Benedikt auftauchte, floss der Champagner in Strömen.

      «Hanna», so drückte ihr Vater es einmal stolz aus, «hat ihre Ehe aufs Beste arrangiert. Sie bringt mit unserem uralten Stammbaum Aristokratie in die Ehe mit diesem No-Name und er bedankt sich dafür bei ihr mit einem Haufen Geld. So bekommt jeder vom anderen genau das, was ihm fehlt. Eine romantische Liebesbeziehung haben beide weder gesucht noch erwartet.»

      Seit den Vernehmungen der Hanna Hagedonk hatte sich bei Bommelmütz der Eindruck eingeschlichen, dass sie, nachdem sie ihrem Mann einen männlichen Erben geboren hatte, glaubte ihre Pflicht erfüllt und sich ein sorgloses Leben verdient zu haben. Etwa in der Art jedenfalls hatte sie es Bommelmütz gegenüber formuliert. Er erinnerte sich noch genau an die Vernehmungen der Hanna Hagedonk. In seinen Augen war sie die arroganteste Person, die ihm jemals untergekommen war. «Der Stammbaum meiner Familie ist älter als der so mancher Person aus dem europäischen Hochadel», ließ sie ihn gleich zu Beginn des Verhörs wissen.

      An die darauffolgende Bemerkung erinnerte er sich auch heute noch ganz genau, weil sie aufzeigte, wie diese Frau tickt: «Normalerweise sollte ich darauf bestehen, dass ich das Gespräch zumindest mit Ihrem Vorgesetzten führe. Sie sind nur ein gewöhnlicher Kommissar. Aber weil mein Vater Ihren Großvater gut kannte, mache ich bei Ihnen eine Ausnahme. Ich hoffe, Sie wissen das zu schätzen und verhalten sich entsprechend. Ansonsten breche ich das Gespräch nämlich sofort ab.»

      Bei den Befragungen stellte sich Hanna Hagedonk immer wieder quer und sie verhielt sich extrem unkooperativ. Nachdem sie am frühen Abend auf dem Hagedonkschen Hofgut gewesen war, war Betty von niemandem mehr lebend gesehen worden. Als Bommelmütz Hanna Hagedonk damals noch einmal befragen wollte und sie eines Tages gegen halb zwölf mittags in ihrem Haus aufsuchte, wies sie ihm mit einer abschätzigen Handbewegung die Tür. Er erinnerte sich noch sehr genau an die Szene. Angeblich hatte sie keine Zeit, weil sie am Abend eingeladen war und sich dafür zurechtmachen musste. Bommelmütz dachte an die vielen Frauen in seinem Umfeld, die Kinder, einen Beruf, ihren Haushalt und wer weiß noch was alles managten. Entweder verfügte Hanna Hagedonk wirklich über ein extrem schlechtes Zeitmanagement oder sie demonstrierte auf diese Weise, dass sich alle nach ihr zu richten hatten und es keinesfalls umgekehrt war. Bommelmütz tippte auf Letzteres. Diese Frau schien davon auszugehen, dass es das natürliche Recht von ihr und ihrer Familie war, andere nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Ein gewisser Narzissmus ist bei Machtmenschen weit verbreitet. Er hatte dies in seinen Berufsjahren immer wieder erlebt.

      Die Grenzen sind allerdings fließend und es ist oft nur ein schmaler Pfad, ab dem Narzissmus gefährlich krankhaft wird. Auch dies hatte Bommelmütz während seiner Zeit bei der Polizei mehrmals erfahren müssen. Von daher stand Hanna Hagedonk ganz weit vorne in der Reihe seiner Verdächtigen, und er widmete dem Studium ihrer Person bei seinen Ermittlungen ganz besondere Aufmerksamkeit. Die Hagedonk kannte das Opfer, war nachweislich eine der letzten, die Betty lebend gesehen hatte, und sie wäre seines Erachtens sowohl intellektuell als auch handwerklich durchaus fähig gewesen zu dieser Tat. Einzig das Motiv wollte sich ihm nicht erschließen, und ohne ein solches war ihr der Mord