Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


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gestellt und sich Salat genommen, was ihr zu ihrer großen Erleichterung ersparte, den Auflauf einigermaßen appetitlich auf seinem Teller anrichten zu müssen. Sie war nicht sehr geschickt in solchen Dingen. Er schob ihr die Schüssel mit dem Salat herüber und begann zu essen.

      Lena stieß ihre Gabel in die grünen Blätter und fragte sich, wieso Sally ihn als grantig bezeichnet hatte. Er war eher hochnäsig und sie hatte ständig das Gefühl, sie stünde unter kritischer Beobachtung. Wahrscheinlich war sein Benehmen ihr gegenüber von seinem Zuhause antrainiert, was nicht weiter verwunderlich war, wenn er daran gewöhnt war, von klein auf Dienstboten um sich zu haben.

      Sie schaufelte stumm Eisbergsalat in sich hinein und dachte gerade, wann fängt er denn endlich mit seiner Befragung an, als er sich zurücklehnte und anerkennend sagte: „Dieser Salat war schon mal gut; ich mag ihn mit diesem Öl-Essigdressing lieber als mit Joghurt. Und die richtigen Kräuter haben Sie auch verwendet.“

      Sie hatte das Gefühl, als lobe er sie für eine Leistung, die sie nicht erbracht hatte. „Nun, das ist ja keine große Kunst.“

      Er zog die Augenbrauen hoch. „Für Lucy wohl doch. Sie schüttet Joghurt und Salz über die Salatblätter und irgendwelches obskures Grünzeug, was vom Geschmack her eher in Tomatensauce als im Salat seine Berufung hat.“

      Sie musste lächeln, weil ihr bewusst wurde, dass sie zumindest den ersten Test bestanden hatte. Als auch sie kurz darauf aufgegessen hatte, nahm Gordon McNeil die beiden großen Löffel und häufte sich geschickt Nudelauflauf auf seinen Teller.

      Als er ihr die Löffel hinhielt, nickte er ihr aufmunternd zu. „Jetzt erzählen Sie mir mal ein bisschen was über sich. Ich weiß nur, dass Ihr Auto den Geist aufgegeben hat und Sie hier unfreiwillig gestrandet sind.“

      Überrascht blickte sie von ihrem Teller auf. „Wer hat Ihnen denn das erzählt?“

      „Sally. Ich bin zu ihr gefahren, um sie zu fragen, ob sie eine Aushilfe für Lucy gefunden hat. Aber ich hätte mich nicht zu sorgen brauchen, auf Sally ist Verlass.“ Er sah Lena kurz an, dann sagte er: „Allerdings sagte sie mir, Sie seien noch nicht sicher, ob Sie den Job so lange machen wollen, bis Lucy wiederkommt.“

      „Nun ja, ich bin schließlich keine Haushälterin von Beruf, und bin eigentlich in Urlaub hier. Ich hatte geplant, eine Rundreise durch Schottland zu machen. Aber dann sagte ihr Bruder mir, dass er mein Auto nicht mehr reparieren könne, und so bin ich bei Sally in der Pension gelandet. Und irgendwie habe ich mich von ihr ein bisschen überreden lassen. Sie sagte, sie finde auf die Schnelle keinen Ersatz für Lucy, ich könne aber zunächst nur mal auf Probe hier arbeiten. Dann sehen wir weiter.“

      Gordon McNeil grinste. „Ja, wenn Sally will, kann sie sehr stur und überzeugend sein, sie ist eben Schottin. Man kann ihr dann schlecht etwas abschlagen. Aber ich schätze sie sehr und Verlass ist auf sie.“ Er sah Lena noch einmal kritisch an, dann fügte er hinzu: „Auf ihren Bruder übrigens auch. Wenn er behauptet, dass Ihr Wagen nicht mehr repariert werden kann, dann ist das auch so.“

      Sie nickte. „Ich hab ihm ja geglaubt, aber es ist schon ein Schock für mich, von einem Tag auf den anderen kein Auto mehr zu haben. Zu Hause bin ich darauf angewiesen. Wie das werden soll, wenn ich wieder zur Arbeit muss, weiß ich nicht.“

      „Gibt es denn keine öffentlichen Verkehrsmittel, die Sie für den Weg zur Arbeit benutzen können? Ist nebenbei auch umweltfreundlicher.“

      „Wenn ich wüsste, wo ich ab September arbeiten werde, könnte ich Ihnen die Frage beantworten.“

      Er schoss ihr einen Blick zu, der besagte, dass er sie für bekloppt hielt. „Sie wissen nicht, wo Sie arbeiten?“

      Sie erzählte ihm von ihrer momentanen beruflichen Situation.

      „Sie unterrichten also. Ich habe mich schon gewundert, wieso Sie so fließend Englisch sprechen. Das erklärt es natürlich.“ Er nahm sich noch eine zweite Portion Nudeln, was darauf schließen ließ, dass sie nicht gänzlich ungenießbar waren. „Und an der Uni arbeiten wollen Sie nicht?“ Auf ihren fragenden Blick hin meinte er: „Nun, wenn Sie an der Schule keine Anstellung finden, sollten Sie vielleicht einfach weiter studieren und Ihren Doktor machen. Und währenddessen eine Tutorenstelle annehmen. Danach sehen Sie weiter.“

      „Tja, darüber habe ich auch schon nachgedacht. Aber ein Studium in der augenblicklichen Situation ist finanziell nicht machbar. Ich habe seit einer Woche keine Bleibe mehr. Würde ich weiterstudieren, müsste ich wieder bei meinen Eltern einziehen, und das will ich auf Dauer nicht.“

      Er legte seine Gabel hin. „Wieso haben Sie keine Wohnung?“

      Sie zuckte mit den Schultern. „Ich bin aus der bisherigen aus gewissen Gründen ausgezogen. Aber das ist eine lange Geschichte.“

      Er schien ihre Zurückhaltung hinsichtlich einer detaillierteren Information zu spüren, denn er bestand nicht auf einer weiteren Erklärung.

      „Vielleicht ist das ja der Punkt, um eine Veränderung herbeizuführen.“ Auf ihre stumme Frage hin spreizte er die Hände vor seiner Brust. Der Blick aus seinen blauen Augen hielt sie gefangen. „Nun, ich meine, keine feste Arbeit und kein fester Wohnsitz eröffnen ganz neue Möglichkeiten. Sie sind somit frei und können einen kompletten Neuanfang wagen.“ Er spießte ein letztes Stück Schinken auf, dann fügte er wie als Nachgedanke hinzu: „Das heißt, wenn Sie nicht privat gebunden sind.“

      „Nicht mehr.“ Es kam kurz und sachlich heraus, und sie hatte nicht im Mindesten Lust, sich auf dieses Thema einzulassen.

      Er bemerkte dies wohl, denn er sagte wegwerfend: „Entschuldigen Sie, das geht mich nichts an.“

      Sie stand auf und nahm ihren leeren Teller. „Möchten Sie etwas trinken?“

      Er sah sie abwartend an, dann sagte er: „Ich hätte gern ein kühles Bier. Sie können es mir in die Bibliothek bringen.“ Sie drehte sich um, da fügte er an: „Und wenn Sie abgespült haben, können Sie Schluss machen für heute.“

      Sie nickte erleichtert. Sie wäre froh, endlich aus diesem Haus und vor seinen neugierigen Fragen fliehen zu können. Außerdem gefiel es ihr nicht, dass sowohl Sally als auch der Herr Professor meinten, an ihrer verzweifelten Situation etwas Gutes erkennen zu müssen und ihr zu raten, eine Veränderung herbeizuführen.

      Gordon McNeil ging in seine Bibliothek und setzte sich an den Schreibtisch. Aber er konnte sich nicht auf den angefangenen Artikel konzentrieren. Deshalb stand er auf und ging zum Fenster hinüber.

      Diese junge Frau, die Sally ihm da angeschleppt hatte, war verdammt hübsch. Lange schwarze Haare, schlank, und irgendwie ging trotz ihrer Zurückhaltung ihm gegenüber eine Ausstrahlung von ihr aus, der er sich nur schwer entziehen konnte. Als er sie in seinem Garten über das Kräuterbeet gebückt stehen sah, erfasste ihn spontan eine solch starke Begierde, wie er sie lange nicht mehr gespürt hatte. Sie beunruhigte ihn und er wusste nicht, ob es ihm lieber wäre, wenn sie nach der Probezeit gehen oder für die nächsten Wochen bleiben würde. Da klopfte es an der Tür.

      Als Lena in die Bibliothek kam, stand er mit dem Rücken zur Tür an einem der hohen Fenster. „Wo soll ich Ihnen das Bier hinstellen?“

      Er drehte sich um. „Dort auf den Schreibtisch.“ Er ging hinüber und setzte sich. „Sagen Sie, wo übernachten Sie eigentlich?“

      „Bei Sally.“

      „Und wie viel verlangt Sie Ihnen pro Nacht?“

      Überrascht stellte sie fest, dass sie das noch gar nicht wusste. „Wir haben bisher nicht darüber gesprochen.“

      „Ah.“ Er musterte sie wieder kritisch, dann sagte er: „Nun, wenn Sie wollen, können Sie auch hier im Haus übernachten. Oben gibt es eine kleine Kammer. Ich fürchte, sie ist nicht sehr gemütlich, weil viel altes Gerümpel dort steht. Aber Sie könnten kostenlos hier wohnen und müssten morgens nicht so früh aus den Federn, um mein Frühstück zu richten.“

      Sie war überrascht über sein Angebot. „Das würde Sie nicht stören?“