Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


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sah zum Fenster hinaus, das zur Straße führte. Eine schwarz-weiß getigerte Katze sprang auf den Zaun hinter einem Apfelbaum. Ihr Augenmerk war auf einen Zweig unter ihr gerichtet, und Lena folgte ihrem Blick, konnte aber keinen Vogel sehen. Vielleicht war dies auch nur der Lieblingsplatz der Katze, weil sie wusste, dass früher oder später irgendeine Art von Beute dort zu erwarten war.

      Sie entschied sich. „Okay, ich mach’s, aber erst mal nur bis morgen Abend. Und wann müsste ich los?“

      Sally grinste. „Ich danke dir! Und los musst du jetzt.“ Sie wischte sich die Hände an ihrer Schürze ab, dann zog sie sie aus und hängte sie an den Haken hinter der Tür.

      „Keine Angst, ich fahre dich hin, und auf dem Weg gehen wir gleich einkaufen. Deine Sachen kannst du hier lassen.“

      Kapitel 4: Hausführung

      Lena ging nach oben, um ihre Einkäufe zu verstauen und sich frisch zu machen. Sie war sich nicht sicher, ob sie richtig entschieden hatte. Aber aus irgendeinem Grund hatte Sally es sich in den Kopf gesetzt, dass sie für den Professor arbeiten sollte, und Lena hatte nicht den Mut gehabt, die sympathische Frau zu enttäuschen.

      Diese anderthalb Tage würde sie hinter sich bringen, falls der Job ihr überhaupt nicht zusagte. Schließlich würde es nicht gerade eine Knochenarbeit werden, so dass sie genügend Freizeit hätte, um den Ort zu erkunden. Andererseits war es vielleicht gar keine so schlechte Idee; bei leichter Hausarbeit konnte man gut nachdenken und zur Ruhe kommen.

      Sie nahm nur ihre Handtasche mit und folgte ihrer energischen Herbergswirtin zu deren Rover. Auf dem Weg zum Supermarkt hielt Sally vor einem schmalen Reihenhaus mit einem winzigen Vorgarten, sprang aus dem Auto und klingelte.

      Kurz darauf öffnete eine junge Frau die Tür. Sie hatte einen Zinkleinverband um das linke Bein und stützte sich mit einer Hand auf eine Krücke. Mit der anderen gab sie Sally etwas.

      Im Auto legte sie Lena eine Geldbörse und einen Zettel in den Schoß. „Zaster zum Einkaufen!“, verkündete sie fröhlich, dann fuhr sie weiter.

      Lena schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass Sally sie in den Supermarkt begleiten würde, denn allein würde sie eine Ewigkeit brauchen, bis sie alles fände, was auf dem Zettel stand. Schließlich gab es hier viele Lebensmittel, die in deutschen Supermärkten nicht zu finden waren.

      „Lucy wollte einen Lammeintopf kochen“, meinte Sally. „Aber sie wusste nicht, ob du das zubereiten kannst. Also schlug sie vor, stattdessen einen Nudelauflauf mit Schinken zu machen. Und einen Salat dazu. Das kriegst du hin, oder?“

      „Ich denke doch.“ Sie hatte immer noch Zweifel. „Sally, vielleicht ist der Professor nicht zufrieden mit Ihrer Wahl. Oder ich fühle mich in seiner Gegenwart absolut nicht wohl.“

      „Seine Gegenwart wirst du kaum zu spüren bekommen, er verschanzt sich in seiner Bibliothek oder ist in der Uni.“

      *

      Eine halbe Stunde später legten sie drei volle Einkaufstüten in Sallys Kofferraum. Zwei Minuten danach schon hielt sie in einer ruhigen Nebenstraße vor einem stattlichen zweistöckigen Haus. Sie holten die Lebensmittel aus dem Auto, Sally stürmte einen Pfad zwischen hohen Kiefern entlang aufs Haus zu und betätigte den Türklopfer, der in Großbritannien an vielen Haustüren die Klingel ersetzt. Sie klopfte ein zweites Mal und wieder warteten sie.

      Lenas Puls beschleunigte sich. ‚Hoffentlich komme ich aus dieser Nummer heraus, wenn es mir hier nicht gefällt‘, dachte sie bang.

      Als immer noch niemand öffnete, bückte Sally sich und holte kurzerhand unter der beigen Rauhaarmatte vor der Tür einen Schlüssel hervor.

      „Dürfen Sie einfach reingehen, wenn er nicht zu Hause ist?“, fragte Lena vorsorglich.

      Sally schloss auf und nickte. „Klar doch, ich hab ja bis vor zwei Jahren hier gearbeitet. Als ich dann von meiner Schwester, Gott hab sie selig, die Pension geerbt habe, hat Lucy meinen Job übernommen.“ Sie eilte vor Lena einen dunklen Gang entlang und verschwand in einer Tür zur Linken.

      Lena folgte ihr langsam über einen dicken Perserteppich, vorbei an Fotos von alten Steinen im Wüstensand und einigen Artefakten, die beidseits die Wände zierten.

      Sally stand in einer großzügigen, modernen Wohnküche und packte die Lebensmittel aus.

      „Bist du sicher, dass wir hier einfach so hereinplatzen dürfen, wenn er nicht da ist?“ Lena kam sich wie ein Eindringling vor.

      Sally nickte. Sie verstaute Käse, Schinken und Butter im Kühlschrank. „So, jetzt gehen wir durchs Haus und ich zeige dir alles, was du wissen musst.“

      Mit der Küche machte sie kurzen Prozess; offensichtlich nahm sie an, dass die junge Frau nicht so ungeschickt wäre, um sich nicht im Allerheiligsten einer Hausfrau zurechtzufinden.

      Auf dem Weg nach oben fragte Lena, ob sie nicht den Professor anrufen und ihm mitteilen sollten, dass sie hier war. Schließlich wollte sie nicht, dass der alte Mann vor Schreck einen Herzinfarkt bekam, wenn er sie unangekündigt in seinem Haus antraf.

      „Nee, das will er nicht, wir dürfen nur im Notfall anrufen. Außerdem weiß er von Lucys Unfall.“

      Lena fragte sich, was für ihn wohl ein Notfall war; eine deutsche Touristin, die sich in seinem Haus breitmachte, während er nicht da war, offensichtlich nicht.

      Im oberen Stockwerk gab es drei Zimmer und ein Bad. Zwei der Zimmer waren tabu, wie Sally ihr erklärte.

      „In dem einen übernachtet Lucy, wenn es abends mal später wird, z.B. wenn er Gäste hat. Sie hat ihren Kram da drinnen und wird, wenn sie wieder gesund ist, dort selbst aufräumen und saubermachen wollen.“

      Das zweite Zimmer war das seiner verstorbenen Frau. „Ich glaube, der Professor ist nicht mehr dort reingegangen, seit der Polizist ihm sagte, dass seine Frau verunglückt ist. Es ist abgeschlossen und der Schlüssel steckt zwar, wie du siehst, aber es wird wie gesagt seit Jahren nicht mehr betreten.“

      In dem dritten Zimmer stand ein Sammelsurium an allem, was woanders wohl nicht hatte untergebracht werden können. Auch ein Bett und ein schmaler Schrank standen an der einen Wand.

      „Hier kannst du übernachten, wenn’s mal spät wird.“ Sie ging in den Gang zurück und öffnete die Tür rechts neben diesem Zimmer. „Und hier ist das Bad, das du benutzt.“

      Lena spähte hinein und entdeckte zu ihrem Entzücken eine großzügig bemessene Wanne mit Duschvorrichtung sowie Becken und Toilette.

      „Handtücher und Badeschaum findest du hier.“ Damit öffnete Sally einen Eckschrank, der alle Utensilien enthielt, die man sich für ein Badezimmer nur erträumen konnte.

      Lena sah kunstvoll geformte Flakons mit Dusch- und Badeschaum, flauschige Hand- und Duschtücher und Lavendelseifen.

      „Und dem Professor macht es nichts aus, wenn ich sein Bad mitbenutze?“, fragte sie erstaunt.

      Sally lachte. „Sein Bad ist im Erdgeschoss. Er hat dort unten auch sein Schlafzimmer. Das war schon immer so. Er hat Probleme mit dem Durchschlafen und deshalb von Anfang an sein eigenes Schlafzimmer gehabt, damit seine Frau durch seine nächtlichen Wanderungen nicht geweckt wurde.“

      Sie ging vor Lena die Treppe hinunter. „Und erschrick nicht, wenn du früh morgens in die Bibliothek kommst, um zu lüften oder zu saugen, und er in seinem Sessel sitzt. Manchmal liest er sich nachts fest und schläft über einem Buch ein.“

      Lena stellte sich vor, wie der alte Herr in einem gestreiften Morgenmantel in einem bequemen Ohrensessel saß und schnarchte, ein aufgeschlagenes Buch auf den Knien. Diese Vorstellung machte ihn ihr fast sympathisch. Beim Lesen einzuschlafen war für sie ein bekanntes Phänomen.

      Sally ging an der Küche vorbei. „Hier ist das Esszimmer und dahinter das Wohnzimmer.“ Sie ging wieder in den Gang hinaus und durch eine Tür am hinteren Ende des Flurs. „So, und hier ist sein Reich.“

      Der