Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


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mit Hindernissen

      An einer Tankstelle an der A61 kaufte Lena sich eine Straßenkarte, denn auf den Navi allein wollte sie sich nicht verlassen. Er war schon älter und sie hatte ihn nie aktualisiert. Außerdem hatte sie keine Ahnung, von wo aus eine Fähre nach Großbritannien übersetzte. Die kurze Strecke von Calais nach Dover schied aus, denn da wäre sie zu weit südlich und müsste fast die gesamte Länge der Insel hinauffahren.

      Bei einem Kaffee konsultierte sie die neu erworbene Karte und entdeckte, dass von Amsterdam aus eine Fähre nach Newcastle fuhr.

      Das wäre natürlich ideal gewesen, denn Newcastle war nicht weit unterhalb der schottischen Grenze. Allerdings gab es einen Nachteil: Ihr Smartphone sagte ihr, dass die Fährüberfahrt etwa sechzehneinhalb Stunden dauern würde. Das war ein absolutes No-Go. Lena wurde schon übel, wenn sie nur auf einer Ausflugsfahrt in Küstennähe länger als eine halbe Stunde auf einem Schiff ausharren musste.

      Sie suchte weiter und entdeckte, dass von Rotterdam aus eine Fähre nach Hull übersetzte. Und diese Überfahrt dauerte immerhin nur elf Stunden. Hull war etwas südlich von York, also auch relativ nah an der schottischen Grenze.

      Und York hatte sie sich immer schon einmal ansehen wollen; es musste eine Kleinstadt mit mittelalterlichem Charme sein, und Lena liebte Städte, die noch die Atmosphäre vergangener Tage ausstrahlten.

      Aber die Strecke nach Rotterdam war zu weit, um sie an diesem Tag zu schaffen. Sie war nach dem Frühstück zunächst noch zur Bank gefahren und hatte von ihrem Sparbuch Geld abgehoben, um die Fahrtkosten damit zu decken. Den Koffer und die Reisetasche hatte sie direkt mitgenommen, damit sie nicht ins Wanken kam und die Reise doch nicht antrat. So kam sie dennoch erst gegen Mittag los.

      Sie suchte nach den Abfahrtszeiten der Fähre: Die letzte Möglichkeit einzuchecken war 19:30 Uhr, die Abfahrt wäre um einundzwanzig Uhr. So beschloss sie, sich in der Nähe von Köln eine Pension zu suchen und samstags weiterzufahren.

      Nach einer unruhigen Nacht mit allerlei Alpträumen, die sie nach dem Aufwachen nicht mehr benennen konnte, fuhr sie weiter. Sie kam um die Mittagszeit in Rotterdam an, fuhr zum Hafen und sicherte sich ein Ticket für eine Einzelkabine. Sie hatte mit sich gerungen, ob sie sich das Geld für eine Kabine nicht sparen sollte, aber wenn sie den ganzen nächsten Tag Auto fahren wollte, musste sie ausgeschlafen sein.

      Sie ließ ihr Auto am Hafen stehen und fuhr mit dem Bus ins Stadtzentrum.

      Sie war noch nie in Rotterdam gewesen. Sie aß ein Stück Pizza aus der Hand und bummelte zunächst lustlos durch die Straßen. Sie wäre am liebsten zurück zum Hafen gefahren und hätte auf der Fähre eingecheckt, um sie ja nicht zu verpassen. Es war schließlich die erste Reise, die sie allein unternahm, und so konnte sie eine gewisse Nervosität nicht unterdrücken.

      Aber bald zogen sie die hohen, schmalen Häuser mit den beigen und hellbraunen Fassaden in ihren Bann. Es waren alte Kaufmannshäuser und sie erinnerte sich daran, einmal gelesen zu haben, dass Rotterdam Europas größten Handelshafen hatte. Bestimmt war die Stadt vor Jahrhunderten einmal reich gewesen, den schönen Gebäuden nach zu urteilen. Sie war auch überrascht über die vielen Hochhäuser, die es in dieser Fülle eher in amerikanischen Städten zu bewundern gab.

      Am Ufer der Rotte setzte sie sich in ein Café und trank einen Becher Kaffee. Sie schaute sich um und stellte fest, dass außer ihr noch einige andere, Männer wie Frauen, allein dort saßen. Dadurch fühlte sie sich etwas besser. Bald lenkte sie ihre Schritte in die Innenstadt zurück und fuhr mit dem Bus wieder zum Hafen hinaus.

      Es lagen mehrere Schiffe in der Bucht, die Masten hochgestreckt in einen blassblauen Himmel. Sie ging zu ihrem Auto und stellte fest, dass sich bereits eine große Schlange anderer PKWs vor der Auffahrt zur Fähre gebildet hatte. Es blieben noch zwei Stunden bis zur Abfahrt und sie war froh, daran gedacht zu haben, sich in einer Apotheke Tropfen zu besorgen, die gegen Seekrankheit helfen sollten.

      ‚Wenn es doch nur Tropfen gegen Liebeskummer gäbe‘, dachte sie traurig.

      Sie reihte sich in die Warteschlange ein und bemühte sich, nicht ungeduldig zu werden. Sie war an diesem Tag zwar nicht um sechs Uhr aufgestanden, aber allmählich machte sich eine lähmende Müdigkeit in ihr breit, die wahrscheinlich von der längeren Fahrt herrührte. Sie freute sich auf das Bett in ihrer Kabine und hoffte, dass sie die Überfahrt ohne Übelkeit hinter sich bringen würde.

      *

      Lena hatte die Fährfahrt gut überstanden; die meiste Zeit hatte sie verschlafen, und war danach von Hull aus auf der A63 in knapp anderthalb Stunden nach York gefahren. Sie war erleichtert, dass sie die meiste Zeit auf der Autobahn hatte bleiben können, denn der Linksverkehr in einem deutschen Auto, mit dem Steuerrad auf der linken Seite, war nicht ohne. Aber auf einer mehrspurigen Straße konnte sie sich allmählich an die ungewohnte Spur und die Ausfahrt auf der linken Seite gewöhnen.

      Sie ließ ihr Auto am Stadtrand von York auf einem kleinen Parkplatz stehen und fuhr mit dem Bus in die Innenstadt.

      Das York Minster, wie die größte mittelalterliche Kathedrale Englands genannt wird, war beeindruckend. Sie machte eine Führung mit, bestaunte die riesige Orgel und konnte sich gar nicht an den bunten und großen Fenstern satt sehen.

      Nach einem Snack ging sie durch die Gässchen der Altstadt, in denen sich ein Geschäft an das andere reihte. Die Häuser waren weiß, grau-schwarz und bunt, teilweise mit Blumen geschmückt, und sahen aus wie größere Puppenstuben. Lena hätte gerne mehr Zeit gehabt, um gemütlich da und dort einzukehren, denn die Geschäfte luden mit ihren diversen Auslagen zum Schmökern und Kaufen ein. Aber sie verkniff es sich, einen der interessanten Romane oder eines der Paar Ohrringe zu erstehen, die sie anlachten.

      In einem Sweetshop kaufte sie sich eine kleine Packung Toffees, aber dann trieb irgendetwas sie weiter. York war schließlich nur ein Punkt auf ihrer Reise in den Norden, und an ihrem dritten Tag wollte sie wenigstens die Grenze nach Schottland überqueren.

      Sie fuhr gegen drei Uhr weiter, die A1 hoch in Richtung Berwick-Upon-Tweed. Sie brauchte knapp drei Stunden und beschloss spontan, an diesem Tag nicht mehr weiterzufahren. So nahm sie sich ein Zimmer in einer Pension am Ortsrand und machte sich am nächsten Morgen gleich nach dem Frühstück auf. Sie wollte zunächst Edinburgh auslassen und an der Ostküste entlang nach Norden fahren. Eigentlich konnte sie die gesamte Küste abfahren, dachte sie, um dann im Südwesten bei Oban wieder nach Osten zu drehen, wo sie sich Glasgow und schließlich Edinburgh ansehen wollte.

      Sie nahm die A1 weiter, ließ Edinburgh wörtlich links liegen und fuhr über die Forth Bridge mit ihren drei mächtigen Pfeilern in die Grafschaft Fife.

      Den Nachmittag verbrachte sie in St. Andrews, wo sie sich die mächtige Ruine der Kathedrale ansah und einen kurzen Strandbummel unternahm. Sie lenkte ihr Auto jedoch ein Stück aus der Stadt hinaus und blieb die Nacht in einer Pension in der Nähe, denn die Preise in St. Andrews selbst waren horrend. Sie würde auch beim Essen sparen müssen, wenn sie länger als drei Wochen hier bleiben wollte.

      In einem Supermarkt holte sie sich ein Truthahnsandwich, das sie im Gehen aß. Als sie in die Pension zurückkam, fragte die Wirtin, ob sie sich nicht zu den anderen Gästen setzen wolle.

      Sie hatte eigentlich keine Lust darauf, fremde Leute kennenzulernen und Smalltalk machen zu müssen. Aber die Aussicht, schon wieder den Abend allein in ihrem Zimmer zu verbringen, war noch weniger reizvoll. So ließ sie sich überreden.

      In dem großen Wohnzimmer flackerte ein Feuer im Kamin, in dessen Schatten drei Paare beieinander saßen. Zwei waren aus den USA, das dritte Paar aus Frankreich. Sie saßen um einen niedrigen Couchtisch herum, vor sich hatten sie Whiskygläser stehen.

      „Probieren Sie mal diesen Scotch, junge Dame. Er schmeckt nach Früchten und ein bisschen nach dem Sherryfass, in dem er gelagert wurde.“

      Der Amerikaner auf dem Sessel neben ihr schenkte ihr ein gutes Maß ein. Die anderen erhoben ihre Gläser und die Wirtin sagte etwas, das wie „Slänschi Ma“ klang.

      Lena nippte an ihrem Glas und stellte fest, dass dieser erste Schluck Whisky, den sie in ihrem