Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


Скачать книгу

Jahr zuvor von meinen Eltern zum Geburtstag bekommen. Sie waren gerade von einer Rundreise durch England zurückgekommen und hatten mir ihre restlichen Pfundnoten, wie sie sagten, geschenkt.

      Ohne das Geld zu zählen, hatte ich es in die Schublade gelegt. Schließlich war ich damals auf Arbeitssuche, und in dieser Situation war Urlaub einfach nicht machbar.

      Jetzt zählte ich die Scheine und fiel aus allen Wolken, als mir klar wurde, dass ich damit locker vier bis fünf Wochen in Großbritannien hätte verbringen können, wenn ich nicht prasste. Mein Sparbuch wies ein gutes Polster auf, so dass ich damit die Hin- und Rückreisekosten bestreiten und für den Fall, dass ich ab Herbst arbeitslos wäre, mich zumindest einige Monate lang über Wasser halten könnte.

      Ich steckte das Kuvert, zusammen mit meinen anderen persönlichen Unterlagen, in meine Handtasche und packte alles Restliche ein.

      Erik hämmerte gegen die Schlafzimmertür. „Lena, mach doch auf und lass uns reden!“

      „Es gibt nichts mehr zu reden!“, schrie ich zurück.

      „Hör zu, wir hatten das nicht geplant. Aber nach der Weihnachtsfeier, an der du früher gegangen bist, habe ich Anna nach Hause gebracht und -“

      Ich glaubte, mich verhört zu haben. Zunächst blieb ich wie angewurzelt stehen, dann ging ich zur Tür und schloss auf. Ich sah Erik aus verweinten Augen an.

      „Weihnachtsfeier? Du meinst, das mit euch geht schon seit letztes Jahr im Dezember?“ Er öffnete den Mund, aber ich gab ihm keine Chance, etwas darauf zu erwidern. „Und weder du noch Anna habt es für nötig gehalten, es mir zu sagen?“

      „Das wollte ich doch, aber irgendwie schien nie der richtige Zeitpunkt dafür zu sein, und -“

      „Für so etwas gibt es keinen richtigen Zeitpunkt, Erik, und das weißt du auch. Mein Gott, wie erbärmlich ihr doch seid! Ihr habt mich nicht nur betrogen, indem ihr miteinander im Bett wart, sondern auch, indem du so getan hast, als sei alles wie immer.“

      Ich drehte mich um und ließ ihn stehen. Es war ja noch schlimmer als ich gedacht hatte. Ein halbes Jahr lang schon hatte er mich mit ihr betrogen – jetzt wurde mir allmählich klar, warum wir kaum noch Sex gehabt hatten.

      Ich holte meine Kosmetikartikel aus dem Bad, stopfte sie in die Reisetasche und legte zwei Romane obendrauf, die ich am Tag zuvor als Lesestoff für die Frankreichreise bereit gelegt hatte.

      Erik war mir gefolgt. „Lena, jetzt dreh doch nicht gleich durch. Wo willst du denn so Hals über Kopf hin?“

      Ich fuhr herum. “Das geht dich ab jetzt einen feuchten Du-weißt-schon-was an!“ Ich schnappte mir meine Taschen, hielt ihm meinen Wohnungsschlüssel hin und ging zur Tür. „Meine Bücher und den anderen Kram lasse ich irgendwann abholen!“

      Eriks verdattertes Gesicht war mir wenigstens eine kleine Genugtuung. Dabei musste er doch eigentlich dankbar sein, dass ich so spontan das Feld räumte. Schließlich hatten er und Anna jetzt freie Bahn. Andererseits hatte er ab sofort keinen Deppen mehr, der ihm den Haushalt führte, und ich war nicht sicher, ob Anna das tun würde.

      Als ich zu der Parallelstraße ging, in der ich am Tag zuvor mein Auto geparkt hatte, sah ich wieder Annas SMS vor mir. „Ich bin eine Woche drüber…“

      Das versetzte mir einen Stich. Noch vor einem Jahr hatten Erik und ich beschlossen, spätestens in diesem Frühjahr zu versuchen, ein Baby zu bekommen. Aber wir hatten in letzter Zeit nicht mehr darüber gesprochen. Das fiel mir erst jetzt auf; wieso hatte ich nicht bemerkt, dass wir eigentlich keine richtige Beziehung mehr führten? War ich so auf meine Arbeit in der Schule konzentriert gewesen, dass mein Privatleben kaum noch existent war?

      Ich verstaute hektisch mein Gepäck im Kofferraum, dann fuhr ich einfach los. Bewusst hätte ich nicht sagen können, wohin ich eigentlich wollte. Meine Eltern waren zwar noch in Urlaub, aber eine Wohnung hatte ich ab sofort nicht mehr. Also fuhr ich in mein Elternhaus, schlich die Treppe in mein früheres Jugendzimmer hoch und verkroch mich im Bett.

      Ich fühlte mich dort wie ein Fremdkörper. Die bunte Bettwäsche, die Poster an den Wänden, der Vorhang mit den Schmetterlingen – war das wirklich einmal ich gewesen? Und wer war ich heute? Eine, die im Frühjahr dreißig geworden war und von ihrem Partner betrogen wurde. Eine, die ihren Lover nicht halten konnte, deshalb hatte er sich eine Andere gesucht. Wieder kamen die Tränen.

      Irgendwann musste ich eingeschlafen sein, denn als ich aufwachte, war ich durstig und hatte mächtigen Hunger.

      Ich wusch mir Gesicht und Hände und ging in der Vorratskammer auf die Suche nach etwas Essbarem. Ich befreite eine einsame Salamipizza von ihrem traurigen Dasein in der Tiefkühltruhe. Als ich später darauf herumkaute, dachte ich über meine Optionen nach.

      Auf keinen Fall wollte ich länger als nötig hier bleiben. Ich musste raus! Ich hatte mich so sehr auf unseren Urlaub gefreut. Und auf die Ferien. Wenn ich jetzt daran dachte, dass sich endlose sechs Wochen vor mir dehnten, machte sich Verzweiflung in mir breit. Fast jede Kollegin und Freunde, die ich hatte, fuhren irgendwohin. Ich wäre allein und wenn meine Eltern in einer Woche zurückkämen, müsste ich über meine Trennung von Erik reden.

      Meine Mutter mochte ihn und würde sicherlich versuchen, mich dazu zu bewegen, noch einmal meinen Spontanentschluss, ihn zu verlassen, zu überdenken. Nein, das würde ich nicht tun.

      Ich ging rüber ins Wohnzimmer, erweckte den Fernseher zum Leben und zappte durch ein, zwei Programme. Im Zweiten fing gerade ein Liebesfilm an.

      Ich überstand die ersten zehn Minuten, dann liefen wieder die Tränen; dabei hatten sich der Held und die Heldin erst kennengelernt. Sie hatten sich noch nicht einmal geküsst, aber die Art, wie sie sich ansahen, diese aufkeimende Verliebtheit, dieses Gefühl, der andere sei das Beste, was einem passieren könne. Der Puls, der sich beschleunigt, wenn man diesen Menschen auch nur sieht, dieser starke Wunsch, immer in seiner Gegenwart zu sein, egal, was man tut, das gab mir den Rest.

      Einige verzweifelte Versuche, mich mit einer Talkshow, einer Gameshow oder einer Komödie abzulenken, gingen gründlich schief. Die Tüte Chips, die ich in einer Schublade im Essraum gefunden hatte, war halb leer und ich hatte zu gar nichts Lust. Doch, ich hätte einiges an die Wand hauen können.

      Allmählich baute sich Wut in mir auf. Wie konnte er es wagen? Wer, dachte er denn, war er, dass er so mit mir umspringen konnte? Kurz nach halb zehn strich ich die Segel und ging ins Bett. Ich fühlte mich ausgelaugt, platt und nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen.

      Es war schwül in meinem Zimmer. Ich riss das Fenster bis zum Anschlag auf, aber auch das half nichts. Ich warf die Bettdecke auf den Sessel in der Ecke und drehte und wälzte mich.

      In Gedanken ließ ich die letzten Wochen Revue passieren. Hatte es irgendwelche Anzeichen dafür gegeben, dass Erik mich betrog? Verhielt Anna sich mir gegenüber anders als zuvor? Naja, wenn ich so darüber nachdachte, war sie etwas zurückhaltender gewesen. Wir waren auch nicht mehr miteinander einen Kaffee trinken oder in eine Kneipe gegangen.

      Irgendwann schlief ich dann doch ein. Als ich am nächsten Morgen wach wurde, brauchte ich eine Weile, bis ich wusste, wo ich war und warum. Als die neuerliche Tränenflut versiegt war, schlich ich ins Bad und stellte mich unter die Dusche.

      Das lauwarme Wasser schien einen Teil meines blockierten Gehirns frei zu spülen, denn als ich mich abtrocknete, sah ich plötzlich Bergrücken mit blühendem Heidekraut und Ginster vor meinem inneren Auge. Eine steinerne Kapelle stand inmitten einer graugrünen Landschaft, Schafe kauten gemächlich vor sich hin und von irgendwoher tönte der volle Klang eines Dudelsacks.

      Jetzt erinnerte ich mich: Ich hatte nachts von Schottland geträumt. Seit ich vor Jahren eine Dokumentation darüber gesehen hatte, hatte mich die mystische Atmosphäre, die der Film ausstrahlte, in seinen Bann gezogen. Ich wollte unbedingt dorthin, aber Erik wollte nicht. Da sei es kalt und es regne immer.

      Ich zog meine Jeans und ein frisches T-Shirt an und während ich mir einen Instantkaffee zubereitete, wurde mir klar, was ich tun wollte – ich würde endlich nach Schottland fahren! Schließlich