Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


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allgemein über die jeweiligen Pläne für die anstehende Urlaubsreise. Lena hörte meist nur zu. Sie bekam jede Menge Tipps, was sie sich unbedingt würde ansehen müssen in Schottland.

      Bevor ihr Glas zum zweiten Mal aufgefüllt wurde, zog sie sich jedoch zurück. Zum einen hatte der ungewohnte Whisky sie ganz schön benebelt, zum anderen wurde ihr zum ersten Mal seit Tagen bewusst, dass sie nicht nur allein unterwegs, sondern allein war.

      Sie zog sich aus, putzte ihre Zähne und schlüpfte unter die hellgrüne Decke, die sie wie schützend um ihre Schultern schlang, obwohl es in dem Zimmer angenehm warm war.

      Bisher hatte sie es während ihrer Fahrt vermieden, allzu lang über ihre Trennung von Erik nachzudenken, aber dieses Zusammensein mit den drei Paaren hatte ihr verdeutlicht, dass sie ab jetzt wieder Single war.

      Der Amerikaner, der ihr den Whisky eingeschenkt hatte, hatte offen mit ihr geflirtet, was seiner Frau natürlich nicht gefallen hatte. Lena hatte sich sehr zurückgehalten, denn sie hatte die Signale wiedererkannt.

      Schon einige Jahre zuvor, als sie noch nicht mit Erik zusammen gewesen war, hatte sie die Erfahrung gemacht, dass sie als alleinstehende Frau für etliche Männer Beute war, und für deren Frauen eindeutig eine potentielle Bedrohung für ihre eheliche Harmonie. Sie rutschten näher an ihre Männer heran, manche nahmen in einer Art besitzergreifender Geste ihre Hand und warfen Lena Blicke zu, die besagten: ‚Untersteh dich!‘, obwohl sie nicht den Eindruck vermittelte, dass sie auf Männersuche war.

      Dieses Verhalten verletzte sie so sehr, dass sie manchmal versucht war, ihre gute Erziehung zu vergessen und zu den Frauen zu sagen: ‚Ich bin zwar nicht auf Männerfang im Moment, aber wenn ich es wäre, Ihren Mann würde ich mir bestimmt nicht aussuchen‘! Aber natürlich tat sie das nicht.

      Sie musste plötzlich daran denken, wie sie Erik kennengelernt hatte. Sie waren sich an Fastnacht auf einer Party begegnet, und Erik hatte sie sehr bestimmt von dem Betrunkenen weggelotst, der die Faschingstage wohl als Erlaubnis, Frauen zu begrapschen, missverstanden hatte.

      Sie waren ins Gespräch gekommen und hatten sich spontan für den nächsten Tag zum Kino verabredet. Danach waren sie etwas trinken und landeten miteinander im Bett. Nach einem halben Jahr zogen sie schließlich zusammen.

      Und nun war dieser Lebensabschnitt vorbei. Sie war in einem Alter, in dem die meisten ihrer Freundinnen entweder ans Kinderkriegen dachten oder ihre Karrieren vorantrieben. Alle waren sie verheiratet oder hatten einen Partner.

      Lena schniefte und versuchte die Tränen zurückzuhalten. Aber die Aussicht, zukünftig allein ausgehen zu müssen oder ihre Freundinnen mit ihren Männern wie ein ungeliebtes Anhängsel zu Feiern zu begleiten, machte sie so fertig, dass sie sich schließlich ihrem Frust und ihrer Trauer hingab.

      *

      Am nächsten Morgen setzte sie ihre Fahrt in den Norden später als geplant fort. Sie hatte einen ausgewachsenen Heulkrampf gehabt und war erst gegen Mitternacht eingeschlafen, nicht sicher, was sie hier eigentlich sollte. Fast war sie entschlossen, wieder zurückzufahren. Nur die Aussicht darauf, dass sie in den folgenden Wochen allein vor sich hinsitzen würde, weil ihre Freundinnen in Urlaub waren, ließ sie an ihrem Entschluss festhalten weiterzufahren.

      Nahe Stonehaven legte sie nach eineinhalb Stunden Fahrt bei Dunnottar Castle eine Pause ein und besichtigte die wehrhafte Burgruine. Dicke Mauern trotzten den Winden der Nordsee, die Burg war direkt an einen Steilhang über dem Meer gebaut, und hunderte von Möwen hatten sie zu ihrem Wohnort erklärt. Lena musste aufpassen, dass sie nicht in ihre Losung griff, die überall die grauen Mauern bedeckte.

      Die Lage dieser Ruine war spektakulär, aber sie dachte mit Schaudern daran, dass ein paar Jahrhunderte zuvor in diesen wind- und wasserumtosten Mauern Menschen gelebt hatten, die weder Zentralheizung noch für die Frauen lange Hosen kannten.

      Am frühen Nachmittag machte sie sich wieder auf, um irgendwo an der Nordostküste zu übernachten. In Frazerburgh trank sie einen Kaffee und sah auf der Karte, dass sie noch etwa drei Stunden von Inverness entfernt war.

      Die Stadt lag sehr zentral, um sich einige Sehenswürdigkeiten anzuschauen, und Lena beschloss, sich dort eine Pension zu suchen, in der sie ein paar Nächte bleiben wollte. Sie tankte und fuhr weiter.

      Nach etwa einer halben Stunde wurde ihr Renault immer langsamer und blieb schließlich stehen. Auch mehrere Versuche, den Motor wieder zu starten, blieben erfolglos.

      Ein strammer Wind fegte über die Ebene, es war schon kurz nach fünf und die Chance, irgendwo noch ein Zimmer in einer Pension zu ergattern, schwand zusehends. Lena saß am Steuer und starrte vor sich hin. Zu diesem Zeitpunkt eine Autopanne zu haben, war äußerst ungünstig.

      Sie nahm die Straßenkarte vom Beifahrersitz, faltete das steife Papier auseinander und versuchte herauszufinden, wo genau sie war. Etwa hundert Meter zuvor war sie an einer Straße vorbeigekommen, die rechts zu irgendeinem Ort mit Cr führte. Sie suchte die Küste ab – da: Crovie. Das musste es sein. Alle anderen Ortschaften schienen weiter weg zu sein.

      Da ihr in der letzten halben Stunde nur wenige Autos begegnet waren, glaubte sie nicht, dass ihre Chance, von einem Autofahrer mitgenommen oder gar abgeschleppt zu werden, groß war. Also sollte sie versuchen, in diesem Crovie ein Zimmer für die Nacht zu bekommen oder zumindest in einem Pub in Erfahrung zu bringen, wo die nächstgelegene Autowerkstatt war.

      Sie überlegte, ob sie ihr Gepäck mitnehmen sollte. Aber ein Fußmarsch mit Koffer und Reisetasche schien ihr zu mühsam. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wie weit dieses Crovie weg war.

      Also schulterte sie nur ihre Handtasche und lief zurück zu dem Schild, auf dem Crovie 1 m. stand. Während sie forsch vor sich hin schritt, rief sie sich in Erinnerung, dass eine Meile etwa 1,6 Kilometer betrug. Das war ein netter Spaziergang, um einige Kalorien des fetten Burgers zu verbrennen, den sie sich mittags an dem Kiosk bei Dunnottar Castle einverleibt hatte.

      Nach einer guten Viertelstunde sah sie einen Parkplatz vor sich, daneben einen kleinen Ort. Die Häuser standen dicht an dicht. Als sie dort ankam, stockte ihr der Atem: Eine schmale Straße führte vom Parkplatz nach rechts unten. Dort standen nur ein paar Dutzend Häuser, die vordersten entlang eines schmalen Fußweges, der sich direkt an den felsigen Strand der wellenumtosten Nordsee klammerte.

      Sie fragte sich, wie oft die Keller dieser Häuser bei einem Sturm wohl vollliefen, schließlich standen die ersten höchstens vier, fünf Meter vom Wasserrand entfernt.

      Nach kurzem Zögern lief sie den Fußweg hinunter, in der Hoffnung, früher oder später auf eine Pension oder zumindest ein Pub zu treffen. Aber der winzige Ort schien nur aus Ferienhäusern zu bestehen. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis Lena das andere Ortsende erreicht hatte. Sie drehte um und ging den Weg zurück. Nun war guter Rat teuer.

      Am vorletzten Haus begegnete ihr ein Mann, der seinen Hund ausführte. Sie fragte ihn, wo denn das nächste Pub oder die nächste Pension sei. Zu ihrer großen Enttäuschung gab es in diesem Kaff weder das eine noch das andere. Aber immerhin erfuhr sie, dass in der Kleinstadt Nairn nebst beidem eine Autowerkstatt war.

      Sie bedankte sich und stapfte weiter in Richtung Parkplatz, von wo aus die schmale Straße aus dem Ort hinausführte, auf der sie hergekommen war.

      Sie blieb einen Augenblick stehen, schaute über die geparkten Autos und überlegte, was sie jetzt tun sollte, als sie in ihrer Nähe deutsche Laute hörte. Sie drehte sich um und sah ein älteres Paar auf einen blauen Opel zu steuern.

      „Hallo? Können Sie mir helfen?“, fragte sie auf Deutsch. Sie ging lächelnd auf die beiden zu.

      Der Mann schaute sie mit großen Augen an. „Nanu, hier oben Deutsch zu hören ist ja eine Überraschung.“

      „Und eine schöne dazu, wo wir seit zwei Wochen verzweifelt versuchen, dieses schottische Englisch zu verstehen“, ergänzte die Frau lächelnd.

      Lena musste lachen. „So geht es mir auch.“ Dann erklärte sie den beiden ihre Situation.

      Der Mann winkte ab. „Kein Problem, junge Dame. Wir