Karin Firlus

Gestrandet in Nairn


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      Als sie eineinhalb Stunden später in Nairn ankamen, war die Werkstatt bereits geschlossen, da es schon nach sieben war. Also ließ Lena ihr Auto auf dem leeren Parkplatz davor stehen und hievte Koffer und Reisetasche heraus. Dann bedankte sie sich bei den beiden Deutschen, die es eilig hatten, nach Inverness zu kommen.

      Sie machte sich im Schneckentempo über die Kopfsteinpflastersträßchen auf in Richtung Stadtmitte. Die Touristeninformation war natürlich auch längst geschlossen, also fragte sie in einem Pub in der Nähe, ob sie wüssten, wo sie übernachten könne.

      Es stellte sich heraus, dass der Wirt zwei Gästezimmer hatte, eines davon bekam Lena.

      Für einen vergleichsweise horrenden Preis überließ er ihr eine Kammer über der gut besuchten Schankstube. Die Musik, das Klirren von Gläsern und das Stimmengewirr aus etlichen Kehlen würden sie wohl nicht so schnell einschlafen lassen. Und außer Bett und Spind bot das kleine Zimmer nur ein Waschbecken, das definitiv schon bessere Tage gesehen hatte. Toilette und Dusche befanden sich auf dem Gang.

      Aber im Pub bekam sie ein Bier, eine Pastete und sie hatte ein Dach über dem Kopf – ein kleiner Luxus angesichts der Tatsache, dass es draußen inzwischen wie aus Eimern kübelte.

      *

      Am nächsten Morgen verschlang sie Eier mit Bacon, Tomaten und Pilzen, bevor sie ihren Koffer wieder über die holprigen Gehwege zur Werkstatt schob. Der Himmel war dunkelgrau und drohte mit neuerlichem Regen.

      Der Werkstattmeister hatte ihren alten Renault schon entdeckt und sich gewundert, wo er denn so plötzlich hergekommen war.

      Lena sagte ihm, dass der Wagen einfach stehen geblieben war und öffnete dann die Motorhaube.

      Er beugte sich beflissen darüber. Je länger er dort herumhantierte und vor sich hin brummelte, desto mulmiger wurde ihr. Sie wünschte sich inständig, dass er das Problem noch am selben Tag würde lösen können; schließlich wollte sie so schnell wie möglich weiterfahren. Außerdem hatte sie weder eine Kreditkarte, noch besaß sie die finanziellen Mittel, um eine größere Reparatur bezahlen zu können.

      Wahrscheinlich war es sowieso eine Schnapsidee gewesen, mit einem vierzehn Jahre alten Auto vom Süden Deutschlands bis in den Norden Schottlands tuckern zu wollen. Aber hatte sie eine Alternative gehabt? In der gemeinsamen Wohnung mit Erik zu bleiben, wäre undenkbar gewesen.

      Es war an der Zeit, den Tatsachen ins Auge zu blicken: Anstatt mit Erik eine Familie zu gründen, würde sie sich umorientieren müssen. Nicht nur privat, vielleicht auch beruflich.

      Kapitel 3: Unerwartetes Angebot

      Sie stand an einen alten VW-Bus gelehnt da, den Geruch von Öl und Gummi in der Nase, und wartete. Und fragte sich, wie teuer die Reparatur wohl werden würde.

      Wie um ihre selbstkritischen Zweifel noch zu untermauern, tauchte der KFZ-Meister schließlich aus der Motorhaube auf und kratzte sich am Kopf. „Well…“

      Er sprach es aus wie „Wehl“. „Ich fürchte, Ihr Weg ist hier erst mal zu Ende. Der Motor macht’s nich mehr!“

      Sie hatte sich bestimmt verhört; schließlich kämpfte sie immer noch damit, den schottischen Einschlag dieser Menschen mit dem Englisch in Einklang zu bringen, das sie studiert hatte.

      „Was soll das heißen?“, fragte sie nach.

      „Na, dass der Motor am Arsch is.“ Er drehte sich zu ihr um und zuckte mit den Schultern. „Die Karre hat ja nu schon einige Meilen auf’m Buckel.“ Er kratzte sich wieder am Ohr. „Und es lohnt sich nich mehr, da noch nen neuen Motor einzubauen.“ Als er ihren schockierten Gesichtsausdruck sah, meinte er: „Naja, ich würd’s nich tun.“

      Sie starrte den Mann immer noch an und versuchte krampfhaft zu begreifen, was das bedeutete: Sie hatte keinen fahrbaren Untersatz mehr!

      „Und was meinen Sie, soll ich jetzt machen? Ich bin auf einer Rundreise durch Schottland und brauche mein Auto, um in drei Wochen heimzufahren!“

      Er zuckte wieder mit den Schultern. „Das können Sie mit dem da vergessen.“ Er zog sich die Handschuhe aus, kam einen Schritt näher und sagte: „Von Nairn aus fährt’n Zug nach Inverness. Von dort aus fahr’n Sie an’en Flughafen in Glasgow oder Edinburgh. Von da fliegen Sie nach Hause, wahrscheinlich wesentlich billiger als wenn Sie heimfahren würden.“

      Sie schluckte. So also sollte ihr Schottlandurlaub enden, der kaum angefangen hatte? Sie hatte doch fast nichts von dem Land gesehen, und zurück wollte sie auch noch nicht. Vor allem: wohin zurück? Hier hatte sie keinen Wagen und in Deutschland keine Wohnung mehr.

      „Ich will aber hier noch nicht weg.“ Unschlüssig stand sie da. „Und was wird jetzt mit meinem Auto?“

      Er schielte hinüber. „Ich nehm’s auseinander; was ich noch brauchen kann, behalte ich, der Rest wird verschrottet. Da verlang ich Ihnen nix für.“ Als Nachsatz fügte er hinzu: „Und ich fahr Sie mit Ihrem Gepäck zu Sally, wenn Sie wolln. Sie hat ne kleine Pension am anderen Ende der Stadt und verlangt nich viel. Da können Sie erst mal unterkriechen und sich in Ruhe überlegen, wie’s weitergeht.“

      Sie dankte ihm und nahm sein Angebot an. Sie war frustriert, konnte keinen klaren Gedanken fassen, und für den Augenblick war es wohl das Vernünftigste, erst einmal eine Bleibe für die kommende Nacht zu haben.

      *

      Sally war seine Schwester, wie sich herausstellte. Die rundliche Mittfünfzigerin führte Lena in ein helles Zimmer im ersten Stock.

      Ein bunter Überwurf bedeckte das breite Bett, Schnickschnack zierte die Ablageflächen auf Kommode und Tisch. Der Blick ging auf einen kleinen Balkon und zu Rhododendronbüschen im Garten, die hier so üppig und groß waren wie zu Hause Bäume. Im Hintergrund das Meer – strahlgrau heute, passend zu den grauen Wolkenbänken, die die Sonne verdeckten.

      „Sie können so lange bleiben, wie Sie wollen. Und wenn Sie sich eingerichtet haben, kommen Sie runter. Ich koche uns einen Tee.“

      Lena packte Koffer und Reisetasche aus, dann ging sie hinaus auf den Balkon. Es fing an zu regnen und ein frischer, würziger Geruch strömte von den Pflanzen herauf in ihre Nase. Sie atmete tief durch und schloss die Augen.

      Vielleicht sollte sie wirklich für ein paar Tage bleiben. Das Zimmer war gemütlich, und während der kurzen Zeit, in der sie hier war, hatte ihre Verzweiflung einer Art Ergebenheit in das Unvermeidliche Platz gemacht.

      Sie war von daheim regelrecht geflüchtet und an keinem Ort auf dieser Reise länger als eine Nacht geblieben. Es war an der Zeit, zur Ruhe zu kommen. Den Gedanken daran, dass sie vielleicht bald keine Arbeit, keine Wohnung und jetzt auch kein Auto mehr besaß, schob sie beiseite.

      Sally hatte Tee mit Milch und noch warme Scones mit Marmelade auf den Esstisch gestellt. Sie setzte sich zu ihr und fragte Lena, was sie nach Nairn verschlagen hatte.

      Lena redete von ihrem kaputten Auto und der geplanten Reise, und ehe sie es sich versah, hatte sie Sally vom abrupten Ende ihrer Beziehung zu Erik erzählt und von ihrer vagen beruflichen Zukunft.

      Hinterher fragte sie sich, wieso sie einer Fremden solch persönliche Dinge anvertraut hatte. Vielleicht lag es an Sallys mütterlicher Art oder einfach an der Tatsache, dass sie ruhig dasaß, sie nicht unterbrach und keine Fragen stellte. Oder es war auch nur der Wunsch, überhaupt einmal über ihre Situation zu sprechen, und das mit einem Menschen, den sie bald schon nie wieder sehen würde.

      „Und jetzt sitze ich hier fest und weiß nicht, wie es weitergehen soll“, schloss sie ihren Monolog.

      Sally seufzte. „Sie fühlen sich im Moment ziemlich entwurzelt und ratlos, will mir scheinen. Und das ist ja nur allzu verständlich, nach dem, was Sie gerade durchmachen müssen. Aber aus solch unerwarteten Ereignissen, wie dem Schaden an Ihrem Wagen und, wenn Sie so wollen, auch dem Ende Ihrer Beziehung, erwachsen uns manchmal Chancen, die wir nicht gehabt hätten, wenn unser Leben wie von uns geplant verlaufen wäre.“

      „Sie