Thorsten Dürholt

Sommer auf dem Sonnenbergerhof


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Highlights der körperlichen Sinnlichkeit waren aber, neben dem ersten und sehr romantischen, spontanen Kuss auf dem Hof des Gestütes, ein langer und intensiver Kuss bei dem kleinen Spaziergang im nächtlichen Obstgarten gewesen, bei dem sich ihre Zungen fast wie natürlich zu einem engen Tanz getroffen hatten, der sich im Rhythmus ihrer Herzschläge eine viel zu kurze Ewigkeit hingezogen hatte. Bei diesem Kuss hatte sie ein wohlig warmes Gefühl im ganzen Körper gespürt, aber auch eine glühende Energie in ihrem Bauch und Unterleib, die sie jetzt noch mit einer unbekannten Hitze erfüllte, nur von der Erinnerung an den Moment.

      Das Einzige, was sie immer noch verwirrte, war der Umstand, dass sie tatsächlich meinte, dass sie - wie es in den schlechten Romanen ihres Vaters so häufig beschrieben war - plötzlich Musik gehört hatte. Es verwirrte sie ein wenig, dass es sich in diesem Fall um die rein akustisch gespielte Version von Bryan Adams Lied „I do it for you“ aus dem schrecklichen Robin Hood Film mit Kevin Costner handelte. Also, entweder hatte ihr romantisches Ich einen sehr schlechten Musikgeschmack, oder vielleicht hatte Teddy mit seinem Gitarrenspiel ein anderes Mädchen bezaubern wollen. Es war erschreckend, dass es ihr in dem Moment gefallen hatte und den romantischen Moment abgerundet hatte.

      Als letztes Highlight des perfekten Abends hatte es noch den sinnlich-verführerischen Abschiedskuss gege ben, der immer noch auf ihren Lippen brannte. Sunny hatte sie ganz dicht an sich gezogen und sanft in seinen Armen gehalten, während er zart angefangen hatte, mit seinen Lippen die ihren zu umschmeicheln und das romantische Feuer erneut hochzukochen, bis zu einer süßen, fast unerträglichen Hitze, die scheinbar nur seine geschmeidige Berührung löschen konnte. Fast wie von selbst hatte sich ihr Körper immer dichter an den seinen gedrängt, um ihn mit allen Sinnen zu genießen und sie hatte alles an ihm aufgesogen wie eine Wüstenpflanze das Wasser eines der seltenen Regengüsse.

      Seine Berührungen, sein Geruch und auch sein Kuss, alles war noch als intimer Schatten in ihrem Herzen und auch in ihrem Bauch gegenwärtig.

       Sie würde baldigst ein Gespräch mit ihren Großmüttern führen, denn sie wusste nicht, wie sie all diese Gefühle einsortieren sollte, die sie überschwemmten.

      Obwohl sie eigentlich voller Vorfreude darauf war, gleich das mysteriöse Feuer bei der Scheune zu erkunden, gab es einen Teil in ihr, der sich schon nach dem morgigen Treffen sehnte, das sie Sunny hatte versprechen müssen. Es war noch nicht einmal abgemacht, was sie unternehmen wollten, und trotzdem konnte sie es kaum erwarten.

      Es war ihr deutlich klar, dass sie zuhause über das Erlebte gründlich meditieren musste, sonst würde sie unabhängig vom Teegenuss keinen ruhigen Schlaf finden.

      In der Ferne sah sie am Rande der Felder die alte Scheune aufragen. Sie bremste ab und stieg von ihrem Fahrrad. Genau beobachtend schob sie das Rad leise den Weg entlang. Das kleine Licht hatte sie gelöscht und ihr Herzschlag stieg an.

      Das zweite Abenteuer ihres Tages begann.

      Sunny war bereits mit den letzten Aufräumarbeiten fertig. Nach dem allerbesten Gutenachtkuss aller Zeiten, hatte er wie in Trance die üblichen Arbeiten erledigt und dabei nur an eines gedacht: Er freute sich auf das morgendliche Wiedersehen mit Alise.

      Nur eines machte ihm Sorgen, denn er hatte schon geraume Zeit Teddy nicht mehr gesehen. Dabei hatte er jetzt so viel zu erzählen und noch mehr zu fragen, denn er wollte das morgendliche Treffen gründlich vorbereiten.

      Suchend ging er über das Gelände des Gutshauses. Das letzte Mal, als er Teddy gesehen hatte, war dieser noch am Feuer gewesen.

      Außerdem schien es ihm so, als hätte Teddy vorhin im Obstgarten Gitarre gespielt, aber da konnte er sich auch irren, denn seine Aufmerksamkeit war ja von seiner rothaarigen Traumfrau völlig gefangen gewesen. Er machte sich ein wenig Sorgen, denn es war nicht Teddys Art, einfach verschwunden zu sein. Vielleicht hatte man ihn entführt?

      Langsam begann sich Sunny Vorwürfe zu machen.

      Während er durch den dunklen Obstgarten spähte, bemerkte er ein Aufleuchten. Er blickte hinüber zu der Pension und wunderte sich. Scheinbar war um diese späte Zeit noch einer der Gäste wach, denn es wirkte wie das Glühen einer Zigarette oben am Fenster einer der Gästezimmer. Sunny zuckte mit den Schultern. Wahrscheinlich genoss einer der Gäste die sternenklare Nacht von seinem Fenster aus, warum auch nicht?

      Als er zurück ins Haus trat, sah er mit einem Blick, dass Teddys Joggingschuhe verschwunden waren. War um hatte Teddy um diese Zeit das Bedürfnis zu laufen? Hatte seine romantische Liaison Teddy verletzt? Sunny machte sich Gedanken und beschloss, lieber oben in ihrem Zimmer auf Teddy zu warten. Vielleicht könnte er dort auch noch diesen wunderbaren Abend Revue passieren lassen, denn es war ihm irgendwie dringlich danach.

      Leise näherte sich Alise der dunklen Scheune. Das Licht der Sterne war hell genug, sodass sie ihren Weg auch ohne künstliche Lichtquelle fand. Ihr Hollandrad hatte sie ein Stück weiter hinten am Weg zurückgelassen, gut an eine Holzbank angeschlossen, die dort für Spaziergänger aufgestellt worden war.

      Sie war über den alten Holzzaun geklettert, der das leicht verwilderte Grundstück, auf welchem die Scheune stand, einschloss. Auf dieser Seite wurde das freie Land selten genutzt, daher hatte sich die Heide stückweise das Land zurückerobert und so schlich Alise über den weichen Untergrund aus duftenden Pflanzen. Sie kannte das Grundstück ausreichend genug, denn sie hatte oft in der Scheune geholfen, den Fundus des Vereines zu verwahren.

      Einen kurzen Moment meinte sie etwas zu bemerken, doch als sie ihre Sinne auf die Gegend ausrichtete, schien alles normal zu sein. In der Ferne schrie ein Käuzchen und sie sah ein paar Kaninchen durch das nächtliche Heideland hoppeln.

      Vorsichtig näherte sie sich dem dunklem Gebäude. Ohne in der Dunkelheit den Tritt zu verlieren, erreichte sie die Rückwand der Scheune. Der Brandgeruch und der beißende chemische Geruch des Löschschaumes lagen immer noch in der Luft.

      Sie tastete sich vorsichtig an der alten Holzwand entlang. Die aufgebrochene Tür war genau die Hintertür, die sie aufgrund der Erzählung ihres Vaters vermutet hatte. Sie spürte die Kratzer und Splitter am Holz des Rahmens, wo scheinbar eine Brechstange ihr zerstörerisches Werk getan hatte. Sie ertastete vorsichtig Winkel und Höhe der Kerben und stellte fest, dass der Schuldige wahrscheinlich gute 20 Zentimeter größer als sie war und damit nahe an den 190 Zentimetern.

      Außerdem war er sehr offensichtlich Rechtshänder und nicht sehr geübt mit dem Brecheisen. Er hatte das Schloss und den Rahmen eher mit der Kraft seines Körpers, als mit einer vernünftigen Hebeltechnik bearbeitet. So, wie es sich anfühlte, hatte er dafür drei- bis viermal angesetzt.

      Elegant glitt sie auf ihre Knie und betastete den Boden. Weitere Splitter bestätigten ihre Vermutungen. Aber sie fühlte noch etwas anderes. Ein kleiner Gegenstand, von komischer, unregelmäßiger Form, eindeutig aus Leichtmetall. Als sie den kleinen spitzen Dorn auf einer der flachen Seiten spürte, war sie sicher, dass es sich um einen Pin zum Anstecken handelte. Sie packte ihn umsichtig in ein Taschentuch ein, um ihn nachher bei Licht besser untersuchen zu können und verstaute ihn in ihrer Umhängetasche.

      Leider war der sommerliche Boden zu trocken und zu hart, als dass es sich gelohnt hätte, nach Fußspuren zu suchen. Aber da es dafür sowieso zu dunkel war und auch bestimmt die gesamte uniformierte Macht von Freudental heute Nachmittag hier durch getrampelt war, versprach sie sich sowieso nicht viel davon.

      Sie probierte leise die kaputte Tür aus, die sich leicht quietschend öffnete. Typischerweise hatte scheinbar keiner der Männer an ein neues Schloss gedacht.

      Als sie die Tür fast offen hatte, vermeinte sie einen Lichtreflex im Innern auszumachen. Sie versuchte sich leise durch den Spalt zu drücken, um kein weiteres Geräusch zu riskieren, aber ihre Füße stießen gegen etwas Metallisches. Vom Geräusch her erkannte sie sofort die Glieder einer dickeren Eisenkette, die aus irgendeinem Grund auf dem Boden lag.

      In der Scheune war es dunkel und nur schemenhaft konnte sie die Kleiderstangen, Kisten und Regale erkennen, die diesen hinteren Raum der Scheune ausfüllten. Der Geruch nach verbrannten Textilien und angesengten Stoffen war hier deutlich präsenter als draußen und unterdrückte jegliche andere