Gudrun Grobleben

Wuschel, vom Streuner zum Champion


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Mischlingshund. Er wurde am 28. Oktober 2010 auf dem Parkplatz des Möbelhofs umherirrend aufgefunden und am 29. Oktober schließlich ins Tierheim gebracht. Der Hund trug auch ein Halsband. Wem ist im Bereich des Möbelhofs dieser Hund entlaufen oder wer kennt ihn?“

      Wie sehen uns den Hund an. Goldig sieht er aus. Vom Körperbau etwas tiefer gelegt, aber irgendwie sehr pfiffig und drahtig. Dichtes Fell bedeckt seinen Körper, und er sieht ungepflegt aus.

      Ich kenne Georg aus meinem Acrylkurs und weiß, dass er und seine Frau als ehrenamtliche Helfer und Gassi-Geher in ihrer Freizeit ab 14 Uhr im Tierheim arbeiten. Am nächsten Tag kann ich ihm bereits bei unserem Kurs das Bild dieses kleinen Streuners zeigen und frage ihn, ob wir den Hund zum Gassi gehen bekommen können.

      „Da musst du Herrn F., den Leiter, fragen, der teilt den Gassi-Gehern die Hunde zu. Ich werde aber sehen, was sich machen lässt. Kommt pünktlich um 14:30 Uhr zum Tierheim.“

      Mit dem Zeitungsausschnitt bewaffnet, erscheinen wir pünktlich vor dem Tor. Die Hunde randalieren bereits mächtig in ihren Boxen, es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm. Genau um 14:30Uhr schließt Herr F. das Tor auf. Mit uns warten noch viele andere Gassi-Geher und der Tierheimleiter holt einen Hund nach dem anderen aus den Boxen. Ich zeige ihm das Zeitungsbild von dem Fundhund.

      „Der ist noch nicht von der Polizei freigegeben, weil er die vorgeschriebene Zeit in der Quarantäne noch nicht hinter sich hat“, sagt er kurz angebunden.

      Er verschwindet wieder im Gebäude und wir denken, das ist es. Plötzlich kommt er mit dem Hund an der Leine auf uns zu und übergibt ihn uns mit den mahnenden Worten:

      „Sie dürfen ihn nicht von der Leine lassen, es könnte sein, dass er sonst wegrennt!“

      Der erste Spaziergang mit ihm ist lustig. Da wir keinerlei Ahnung mit dem Umgang eines Hundes haben, werden wir sozusagen von ihm Gassi geführt. Dieser kleine, schwarze Teufel zieht an der Leine, was das Zeug hält. Überall steckt er seine Nase in die Wiese, schnauft und schnieft, wenn er sich die Nasenlöcher frei pustet.

       Ich kann ihn kaum bändigen und entschließe mich, mit ihm zu rennen. Und wie er rennen kann! Dabei sieht er wie ein tief gelegener Sportwagen aus.

      „Mann, der hat ja Temperament!“

      Ich übergebe den Hund meinem Mann Matthias, der auch mit ihm rennt, und so kommen wir nach einer Stunde

      Gassi-Rennen ausgepowert vor dem Tierheim an. Mensch und Hund haben etwas für die Fitness getan. Ich klingele, und wir warten brav, bis Herr F. uns den Hund abnimmt. Ihn selber in seine Box zu bringen, ist ein „No-Go“.

      Gassi-Geher

      Die Gassi-Zeiten sind streng einzuhalten und fangen nicht vor und auch nicht nach 14:30Uhr an, sondern exakt um 14:30Uhr. So werden wir zur Disziplin erzogen. Das bekommen wir am nächsten Tag zu spüren. Da wir mit Hunden und deren Bedürfnissen völlig unbeleckt sind, denken wir uns, dass sich das Personal vom Tierheim darüber freut, dass wir überhaupt erscheinen, um mit dem Hund spazieren zu gehen. Wir kommen zehn Minuten zu spät und „unser Hund“ ist bereits mit anderen Leuten unterwegs. Obwohl wir noch keine Bindung zu ihm aufbauen können, sind wir doch komischerweise sehr enttäuscht, dass er nicht da ist. Wir sind sogar etwas eifersüchtig.

Grafik 7

      „So ein Mist, dass er mit anderen Leuten weg ist, das nächste Mal müssen wir sehr pünktlich vor der Tür stehen. Ich glaube, hier herrscht Zucht und Ordnung.“

      Die Gassi-Geher sind teilweise über viele Jahre tagtäglich mit den Hunden unterwegs, manche Hunde können schnell vermittelt werden, andere nicht, wie z. B. ein Schäferhund, der schon Jahre im Heim verbringt.

      Am folgenden Tag stehen wir rechtzeitig vor dem Tierheim. Ich bin aufgeregt, dass uns bald der Streuner, so nennen wir ihn, gegeben wird. Da kommt auch schon der schwarze Teufel um die Ecke, vor lauter Aufregung hat er sich in die Leine verbissen und hüpft dabei wie ein Gummiball. Der Wechsel der Übergabe ist sozusagen fliegend und ab geht die Post mit ihm. Schnüffeln hier, schnüffeln da, Pipi machen, Kacki machen, und weiter geht es mit dem Wirbelwind.

      „Hast du das gesehen? Iihh, der frisst ja Scheiße! Igittigitt! Nun stell dir mal vor, dass es Leute gibt, die sich von ihrem Hund küssen lassen!“

      „Ja, das gibt’s“, Matthias schüttelt sich bei dem Gedanken, „wir haben es bei unseren Katzen nicht zugelassen, dass sie bei uns im Bett schlafen, genauso würden wir es auch keinem Hund erlauben.“

      Ich sehe ihn an. Will er den Streuner zu uns nehmen? Schweigend gehe ich weiter. Passt denn ein Hund bei uns überhaupt in unser umtriebiges Leben? Wir sind viel unterwegs, wir machen viel Sport und was passiert, wenn wir mal krank sind und keiner auf den Hund aufpassen oder mit ihm Gassi gehen kann? Fragen über Fragen! Ein klein wenig nistet sich bei uns der Gedanke ein: wollen wir den liebenswerten Hund haben?

      Therapie und Unsicherheit

      Ich glaube, dass wir uns plötzlich dazu entschlossen hatten, uns auf die Zeitungsannonce im Wochenanzeiger einzulassen, entsprang einem anderen Gedanken. Matthias und ich waren gesundheitlich etwas aus dem Ruder gelaufen. Er hatte einen Leistenbruch, der operiert werden musste, und ich plagte mich mit einer Sportverletzung wegen meiner vielen Laufwettkämpfe herum. Die bekam ich im Moment nicht so richtig in den Griff. Außer vielen Arztbesuche und Kosten, hatten sich meine Probleme nicht wirklich gelöst. So waren wir beide mental etwas angezählt, und da erscheint dieses Bild von Hund in der Zeitung, der uns direkt in das Herz schaut. Ich hatte schon öfters gehört, dass Tiere gute Therapeuten sind, und das war unserer Hintergedanke gewesen, warum wir uns überhaupt auf die Idee einließen, uns diesen Hund zum Therapie-Gassi-Hund zu holen. Es hätte auch jeder andere Hund sein können, aber es war eben dieser. So nahm das Schicksal seinen Lauf, und deshalb traben wir jeden Tag pünktlich um 14:30Uhr zum Tierheim, um ihn abzuholen. Unser Tag wird von diesem Rhythmus bestimmt, und wir testen uns dabei, ob wir der Regelmäßigkeit, die ein Tier einfordert, gerecht werden. Georg, Matthias und ich haben eine gemeinsame Gassi-Geher Runde hinter uns, als sich Georg plötzlich outet.

      „Ich habe Herrn F. gesagt, dass ihr an dem Hund interessiert seid.“

      „Was hast du gesagt? Wir haben so etwas nie ins Auge gefasst. Wir wollten nur Gassi-Geher sein, und da hatte uns gerade dieser Hund wegen seines Aussehens gefallen. Nee, nee, Georg, vergiss es, wir hatten noch nie einem Hund, ich weiß überhaupt nicht, was da alles auf uns zukommen würde. Hör mal, wir sind viel unterwegs, wir machen Sport, wie soll da ein Hund in unser Leben passen? Du weißt, dass wir nicht einfach leichtfertig ein Tier zu uns nehmen und dann nicht wissen, wohin mit ihm.“

      „Dann kann es euch passieren, dass Herr F. den Hund anderen Leuten vermittelt“

      Oh, verdammt, ich bin in einem großen Gewissenskonflikt. Wir sind schon so lange mit dem kleinen Streuner nachmittags unterwegs, und er ist uns unmerklich ans Herz gewachsen. Ich habe mit ihm sogar schon etwas Gehorsam trainiert, wenn ich mit ihm vom Tierheim losgehe. Ich gebe zu, die Freude, wenn er uns gebracht wird, ist immer groß. Ich habe sogar eine Katzenhaarbürste mitgenommen, um die vielen Verfilzungen aus seinem Fell rauszukämmen, was sich aber als unlösbar herausstellt. Er darf auch noch nicht geschoren werden, da der Streuner noch nicht freigegeben ist. Der Besitzer könnte sich noch melden, und dann ist es „Sachbeschädigung“, wenn er geschoren sein würde. Der Hund muss sich sicherlich unwohl unter seinem Fell fühlen, da der Luftaustausch nicht wie bei einem gepflegten Fell gegeben ist. Unbeeindruckt von der „Sachbeschädigung“ hatte sich eines Tages eine Stamm-Gassi-Geherin ein Herz gefasst und dem Hund einigeVerfilzungen herausgeschnitten. Eigentlich müsste er einmal total geschoren werden.

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