Gudrun Grobleben

Wuschel, vom Streuner zum Champion


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      Drei Wochen sind wir bereits tagtäglich mit dem Streuner unterwegs. Wir laufen die übliche Tierheim-Gassi-Runde, die circa fünfundvierzig Minuten dauert. Inzwischen dürfen wir den Hund sogar vor seiner Box in Empfang nehmen. Wenn er meine Stimme hört und ich mit der Leckerli-Tüte knistere, dann stellt er sich auf seine kleinen Hinterbeine und guckt sehr interessiert, was ich zu bieten habe. Da es aber nicht erlaubt ist, den Hunden Leckerlis zuzustecken, machen wir so etwas natürlich schon gar nicht! vor den strengen Augen des Herrn F. Ich kann es ja verstehen, denn, wenn jeder den Hunden etwas gibt, hat das Tierheim bald rollende Moppels. Während des Spazierganges kommt mir die Idee, den Hund zu testen, ob er auf einen willkürlich gewählten Namen hört, den ich ihm zurufe. Der Streuner schnüffelt gerade an einer wichtigen Spur: „Karl-Heinz, komm!“ keine Reaktion. Nächster Name: „Gustav, komm!“ Scheint ihm am „A“ vorbeizugehen, keine Reaktion, und so probieren wir etliche Namen aus, und dann haben wir eine tolle Idee

      „Was hältst du von dem Namen Wuschel? Er sieht doch aus wie ein Wuschel, wie ein Pfeifenputzer. Außerdem wurde in der Zeitungsanzeige geschrieben, er ist ein wuscheliger, schwarzer Mischlingshund!“

      „Ja, finde ich gut, also nennen wir ihn auf unseren Gassi-Spaziergängen „Wuschel“.

      „Aber er gehört uns doch gar nicht, außerdem sind wir doch übereingekommen, dass wir einen Hund mir all seinen Konsequenzen nicht betreuen können“

      Keinen Hintergrund

      Nachdem wir bereits so lange den Fundhund ausgeführt haben, und er jetzt von uns einen neuen Namen bekommen hat, frage ich den Tierheimleiter nach der Herkunft von Wuschel, und was er von ihm weiß.

      „Nichts, Wuschel wurde in der Nähe eines Möbelhofes streunend aufgegriffen und in das Tierheim, wie die Polizei so gerne sagt „verbracht“. Keine Tätowierung im Ohr, keine Hundemarke, keinen Chip, sondern nur ein anonymes Halsband um den Hals.“

      Wir sind geschockt, wie man so einen liebenswerten, freundlichen und kontaktfreudigen Hund einfach aussetzen kann! Der Gedanke daran, wie er dem Halter hinterher schaut in dem Glauben: “Herrchen oder Frauchen werden ja gleich wieder kommen“ und der Besitzer dann nicht zurückkommt, bricht mir schier das Herz. Er muss als Welpe eine gute Erziehung gehabt haben, denn wenn wir unterwegs sind und er sein Geschäft macht, verkrümelt er sich so dicht unter einem Busch oder Baum, dass es mir oft schwerfällt, seine Hinterlassenschaft zu finden und einzutüten. Unsere Vermutung ist, dass er von einer amerikanischen Familie, die in der Nähe des Möbelhofs stationiert war, zurückgelassen wurde. Einen Tag später sehe ich mir den Zettel an, der an seiner Hundebox hängt. Dieser Zettel gibt Auskunft über den Fundhund, nämlich wo er gefunden wurde, welcher Rasse er angehört, sofern erkennbar, was für Eigenschaften er hat, wer ihn abgegeben hat und welche Aussagen die Person gemacht hat, die ihn gefun-

      den hat. Nichts auf dem Zettel deutet darauf hin, wer Wuschel ist. Wie alt ist er?

      Welcher Rasse gehört er an?

      Wo kommt er her?

      Entscheidung

      Eigentlich wollen wir keinen Hund, andererseits schleicht sich dieser kleine schwarze Wirbelwind unmerklich immer tiefer in unser Herz. Dass wir ihn am Anfang als Therapiehund für uns gesehen haben und wir nur Gassi-Geher sein wollten, entwickelt sich, je länger wir mit dem Hund gehen, eine Beziehung.

      Ich fange bereits an, Herrn F. Bescheid zu sagen, wenn wir den Hund mal nicht abholen können. So auch, als wir vorhaben nach Dorf Gastein in Österreich zum Langlauf zu fahren. Ich habe Sorge, dass, wenn wir zurückkommen, der Hund nicht mehr da ist. In einem kühnen Moment sage ich zu Herrn F, mit Matthias Zustimmung, dass wir Wuschel zu uns nehmen werden. Nun ist es raus und gesagt, einfach so, weil ich befürchte, ihn nach unserer Rückkehr nicht mehr wiederzusehen.

      In Gastein gefällt es uns, wir haben eine große Wohnung unter dem Dach eines alten Bauernhofes und stellen uns bereits bildlich vor, wie es wäre, hier mit Wuschel zu sein. Platz genug hätten wir. Der Streuner fehlt uns an allen Ecken und Enden, stets sehen wir uns zu Dritt spazieren gehen. Als der schöne Urlaub im Winter vorbei ist, freuen wir uns auf die erste Gassi-Runde mit ihm. Im Urlaub hatten wir viel über Wuschel gesprochen. Er war bei unseren Gesprächen mental sehr präsent, wir sahen ihn vor uns sitzen, wenn wir bei der Gassi-Runde einen Stopp auf der Parkbank einlegten, sahen ihn, wie er um ein Leckerli bettelte, und seine Rute in freudiger Erwartung den Gehweg sauber wedelte.

      Wie würden wir uns entscheiden?

      Wir hatten uns entschieden!

      Wuschel soll zu uns kommen, er gehört zu uns!

      „Ich glaube, nachdem wir fast zwei Monate jeden Tag zum Tierheim gefahren sind, um mit dem Hund zu gehen, haben wir uns doch genügend geprüft, ob er zu uns und in unser Leben passt“

      „Das finde ich auch. Wir haben uns gut genug getestet, um unser Leben neu auf einen Hund auszurichten, und wir haben festgestellt, dass es mit unseren Aktivitäten zu vereinbaren ist“, antwortet Matthias. Uns fällt mit dieser Entscheidung eine große Last von unserem Herzen. Wir brechen sozusagen zu neuen Ufern auf, im Gepäck einen schwarzen Wirbelwind.

      Training

      Zurück zu Hause, bin ich nicht mehr zu halten.

      Tiersendungen werden bewusst angesehen, Bücher über Erziehung und über das Wesen „Hund“ werden gekauft. Ich sauge im Moment alles Wissen über Hunde auf. Auf den Gassi-Runden trainiere ich bereits mit ihm, wie er sich verhält, wenn ich ihn an einen Pfosten binde und weggehe.

      „Mal sehen, ob er bellt, wenn ich weggehe?“ murmele ich.

      „Wau, wau“ ertönt es hinter mir, und es hört sich fast so an wie: „Eh, was soll das? Komm sofort zurück!“

      Ich verharre noch etwas und gehe zu ihm zurück. Große Freude, Schwanzwedeln und Anspringen, das ganze Repertoire der Pöbelei. Dass er mich anpöbelt, weiß ich zu dieser Zeit durch meine Unwissenheit noch nicht.

      „Ist ja gut, ich freue mich ja auch, wieder bei dir zu sein!“

      Ich mache ihn vom Pfosten ab und traue mich, ihn frei laufen zu lassen. Aus heutiger Sicht kann ich nur sagen: Mann, oh Mann, war ich blauäugig! Meine Vorstellungskraft reichte nicht so weit, dass ich mir vorstellen konnte, dass Wuschel einfach abhauen würde, wenn er etwas Interessantes sieht. Die Leine empfand ich, wenn sie hinter ihm herschleifte, wie einen Schleppanker und sah daher keine Gefahr des Weglaufens. Ich hatte unglaubliches Glück, dass er mir nicht ausbüxt war.

      „Sitz!“, ich fuchtel irgendwie mit der Hand vor seinen Augen rum, er sieht zu mir hoch, weiß natürlich nichts mit diesem komischen Befehl anzufangen. Ich versuche es noch einmal und mir fällt auf einmal ein, dass man zu dem Befehl „Sitz“ den Finger hochstrecken muss.

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      Finger hoch plus „Sitz!“, und Wuschel sitzt.

      Das ist geil! Angespornt von meinem Erfolg, versuche ich es mit „Platz“.

      Finger hoch!

      „Platz“, Hund sitzt!

      Das war wohl nicht präzise genug.

      Ich versuche es noch einmal. Vielleicht hat er nicht richtig auf meinen Finger geguckt.

      Finger hoch! „Platz“, Hund sitzt brav vor mir und schaut mich freudig schwanzwedelnd an.

      Irgendetwas mache ich falsch! Vielleicht sollte ich ihn runterdrücken?

      Ich rufe Wuschel zu mir und versuche ihn sanft auf die Erde zu drücken.

      „Krrr“ antwortet er. Unmutslaute kommen aus seinem Maul. Ich breche das „gestörte“