Gudrun Grobleben

Wuschel, vom Streuner zum Champion


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entsorgen kann. Ich öffne den Kofferraum, nehme eine zusammengerollte Teppichleiste aus dem Wagen, als sich diese plötzlich, unter Spannung stehend, öffnet. Wie ein Peitschenschlag trifft sie mein Auge. Ich sehe Sterne, taumle durch den heftigen Schlag und fühle einen unglaublichen Schmerz. Ich halte mir das rechte Auge und spüre etwas Warmes zwischen meinen Fingern. Ich kann nichts mehr sehen, alles ist milchig und verschwommen. Der Mann, der mir beim Entladen geholfen hat, sieht meine Hilflosigkeit.

      „Blute ich aus dem Auge?“ frage ich ihn.

      „Das sieht nicht gut aus“, antwortet er mir. „Sie bluten! Soll ich einen Krankenwagen rufen?“

      In mir überschlagen sich die Gedanken. Wenn ich mit dem Sanka in die Klinik gebracht werde, weiß Matthias erst nach einiger Zeit, warum ich nicht zurückkomme. Ich lehne das Angebot ab, obwohl es mir schlecht geht. Ich fahre mit dem Auto nach Hause und halte mir während der Fahrt mit der rechten Hand das Auge zu und kann nur noch einäugig gucken. Ich möchte nur noch nach Hause zu Matthias, und dann besprechen wir alles, was weiter geschehen soll.

      Ich bin froh, als ich zu Hause ankomme.

      „Matthias, wir sollten in die Augenklinik fahren, ich habe mir das Auge brutal verletzt. Es scheint, als ob ich Glaskrümel im Auge habe“.

      Matthias kommt die Treppe runter, sieht mich an und stöhnt. „Oh, mein Gott!. Du siehst ja übel aus. Wie ist das passiert? Wahrscheinlich warst du wieder so hektisch und hast nicht richtig geguckt!“

      Seinen Kommentar kann ich im Moment nicht gebrauchen. Ich berichte ihm, was und wie es passiert ist, und er macht sich heftige Vorwürfe, dass er mir nicht gesagt hat, dass die Teppichleiste unter Spannung gestanden hat.

      „Du hast Glück gehabt, dass die Nägel auf der anderen Seite der Rolle waren, hättest du sie ins Auge bekommen, wäre dein Auge hin gewesen!“

      Mich schaudert.

      Während der Fahrt in die Klinik geht es mir gar nicht gut. Das Auge brennt unerträglich. Wir fahren ins Klinikum Süd und uns wird mitgeteilt, dass sie für Augensachen nicht zuständig sind, sondern das Klinikum Nord.

      Die Höllenfahrt will kein Ende nehmen, wir müssen, um ins Klinikum Nord zu kommen quer durch Nürnberg fahren.

      Endlich bin ich in der Notaufnahme. Viele, viele Menschen sitzen dort. Ich kenne es aus meinem Beruf als medizinisch-technische Assistentin. Wenn ich Bereitschaftsdienst am Wochenende hatte, ging es oft sehr hektisch zu, und die Wartezeiten auf Grund der geringeren Besetzung waren lang. Nun bin ich selbst so ein Patient, muss warten, bis sich jemand um mich kümmert. Mein Auge brennt nach wie vor.

      Die Wartezeit nutze ich, um Marlies in Kenntnis zu setzten. Mit dem gesunden linken Auge erblinzelne ich ihre Telefonnummer und wähle.

      „Hallo Marlies, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Alles Gute für dich!“ Dabei halte ich mir die Hand mit dem Taschentuch vor das Auge. „Ich muss dir leider mitteilen, dass wir nicht kommen können. Ich habe mir mein Auge verletzt!“

      Ordnung muss sein. Wir sind schließlich eingeladen, also habe ich die Pflicht, wenn wir nicht können, abzusagen. Matthias war wegen meiner Anmeldeformulare beschäftigt, sonst hätte er diesen Anruf getätigt.

      Ich berichte ihr, was passiert ist und höre aus dem Telefonhörer nur ein mitfühlendes „Oh, Gott, oh, Gott!“

      „Ich melde mich wieder bei dir. Ich muss aufhören. Ich bin aufgerufen worden. Tschüss.“

      Ich gehe zu dem Untersuchungsraum, in dem eine junge Ärztin auf mich wartet. Ich schildere ihr das Erlebte. Sie sieht sich das lädierte Auge an, und an ihrer Mimik erkenne ich, dass es nicht gut aussieht.

      „Ich muss Ihnen eine Betäubung geben, damit ich die Fremdkörper entfernen kann“.

      Ich lege den Kopf zurück, und sie betäubt das Auge. Trotz der lokalen Narkose spüre ich jede Handhabung. Es tut höllisch weh, als sie mir mit der Pinzette einen Fremdkörper nach dem anderen aus dem Auge zieht. Es ist die reinste Folter. Mir rinnt der Angstschweiß den Rücken runter. Endlich ist die Prozedur beendet, und sie verkündet mir die Diagnose.

      „Das Augenbindegewebe ist gerissen und es muss wahrscheinlich genäht werden. Dazu muss ich Sie stationär aufnehmen. Ich melde Sie auf der Station 14 an und werde später noch einmal eine Untersuchung an Ihrem Auge vornehmen. Sollte sich der Augendruck erhöhen, müssen wir sofort handeln. Ihr Auge hat bei dem Schlag quasi eine Gehirnerschütterung erhalten. Es ist am ersten Tag ganz wichtig, alles unter Kontrolle zu haben.“

      Wie begossene Pudel gehen Matthias und ich auf die Station 14, und mir wird das Zimmer gezeigt.

      Mir ist zum Heulen zu Mute.

      „Na, dann werde ich mal nach Hause fahren und dir deine Sachen holen. Wuschel-Spaziergang fällt heute aus!“

      Stunden später kommt Matthias zurück, voll bepackt mit meinen Sachen. Wir wissen nicht, wie lange ich bleiben muss. Was würde ich für einen Gassi-Rundgang geben, anstatt hier zu liegen.

      Die Schwester betritt das Zimmer und verabreicht mir eine Augensalbe, damit die Schwellung und die Entzündung abebbt. Dann bekomme ich einen Augendeckel.

      „Ich sehe aus wie ein einäugiger Pirat. Fehlt nur der Totenkopf auf der Mütze und die Metallhand.“

      „Zum Scherzen biste ja wieder aufgelegt!“

      „Na ja, Galgenhumor, weil ich an der momentanen Situation leider nichts ändern kann. Du kannst aber nach Hause fahren, spät genug ist es geworden und außerdem fange ich an, müde zu werden durch die ganze Aufregung“.

      Matthias verabschiedet sich, und ich versuche zu schlafen. Lange denke ich noch an diesen Tag und ärgere mich im Nachhinein über meine Ungeschicklichkeit auf der Mülldeponie. Matthias hatte sich große Vorwürfe gemacht, dass er mir nicht gesagt hatte, dass die Teppichleiste eine Eigendynamik entwickeln kann. So vergeht die Nacht, mir ist kalt, und ich bin froh, dass ich mir den Bademantel über den dünnen Bettbezug legen kann. In der Nacht schlafe ich mehr schlecht als recht.

      Bei der Visite bekomme ich die Empfehlung, weiterhin unter Beobachtung im Krankenhaus zu bleiben. Falls etwas passieren sollte, kann ich gleich versorgt werden. Das leuchtet mir ein und ich stimme zu.

      Während meines Aufenthaltes denke ich viel an Wuschel. Wenn er bei uns ist, müssen wir jemanden kennen, der ihn nehmen könnte, wenn uns mal gesundheitlich etwas zu stößt. Bloß wen? Bringen wir ihn zur Betreuung ins Tierheim? Da kennt er das Personal und als Übergangslösung wäre es nicht schlecht. Aber, wenn er im Tierheim ist, weiß er dann, dass es nur zur Betreuung ist, und denkt er nicht, dass er wieder abgeschoben wird?

      23. Februar

      Ich lag drei Tage in der Augenklinik, und wir können erst jetzt Wuschel aus dem Tierheim holen.

      Ich will diesen Tag ganz besonders zelebrieren. So viele Gassi-Geher, auch Georg und seine Frau Heide, haben mich während der drei Monate mit Worten und Ratschlägen begleitet, haben mir Mut gemacht, wenn ich verzweifelt war.

      Ich habe Konfekt mitgenommen und begrüße alle, die sich zum Gassi-Gehen um 14:30Uhr einfinden. Es ist direkt etwas wehmütig.

      „Heute ist der große Tag, dass wir Wuschel zu uns nehmen. Ich möchte mich bei allen bedanken, die uns mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben, uns geholfen haben, wenn Bedenken oder Zweifel aufkamen, ob ein Hund überhaupt in unser Leben passt“. Ich wende mich an die junge Frau. „Wie du mir schon gesagt hast, wenn du es nicht ausprobierst, dann weißt du auch nicht, ob du etwas versäumst. Danke für diesen Ratschlag! Wir wollen es jetzt mit Wuschel nicht nur ausprobieren.“

      Herr F. holt Wuschel, und ich mache ein Foto von Wuschel und den Hunden, mit denen er sich verstanden hatte. Wuschel sitzt vor den großen Hunden. Ohne Leine! Es fehlt nur noch, dass er lächelt.

      Nach der Gassi-Runde mache ich mit Herrn F. den Vertrag. Ich zahle für den Hund 170 Euro als Schutzgebühr. Das ist ein fairer