Gudrun Grobleben

Wuschel, vom Streuner zum Champion


Скачать книгу

Wuschel stört sich an keinen lauten Geräuschen. Der Staubsauger brummt, die Schleifmaschine kreischt. Wuschel rollt sich zusammen und legt sich etwas entfernt von uns auf den staubigen Boden. Hauptsache das Rudel ist zusammen!

      Ich gehe in den Keller, um für Matthias ein Werkzeug zu holen, und als ich nach oben komme, sehe ich, wie Wuschel gegen meinen PC pinkelt. Gegen meinen PC! Nun reicht es mir, ich schnappe mir den Hund und setze ihn etwas unsanft in den Flur.

      „Pass auf, mein Freundchen, wenn du das nicht unterlässt sind wir getrennt von Tisch und Bett, das schwöre ich dir!“ Wuschel guckt mich mit seinen typisch dunklen

      Dackelaugen an, und ich muss mich beherrschen, nicht zu lachen. Dieser Dackel weiß genau, wie man den Charme ausspielen kann.

      Als dann das dritte Malheur passiert, und ich ganz verzweifelt versuche zu verstehen, warum er das macht, halte ich es nicht mehr aus und sage zu Matthias.

      „Bring den Hund zurück ins Tierheim, ich packe es nicht. Überall pinkelt er hin. Riecht er noch Charly? Warum macht er das?“

      Ich bin total verzweifelt. Ich komme mit der Situation nicht klar. Mir wird wieder bewusst, dass wir im Moment ein unbekanntes Wesen bei uns haben, dessen Eigenarten ich überhaupt nicht einschätzen kann. Matthias nimmt sich den Hund, packt das Körbchen ein, das uns das Tierheim freundlicherweise ausgeliehen hat und fährt zum Tierheim zurück. Traurig winke ich den beiden hinterher und gehe mit schleppenden Schritten in das Haus zurück. Ohne Wuschel fühlt sich das Haus bereits jetzt schon leer an. Keine schwarze Lakritznase zu sehen, die alles erschnüffeln und erkunden muss. Verzweifelt versuche ich, mich abzulenken. „Jetzt ist Matthias bestimmt im Tierheim angekommen,“ denke ich bei mir und sehe meinen Mann vor meinem inneren Auge, wie er Herrn F. den Streuner übergibt mit den Worten: „Das hat bei uns mit dem Hund nicht funktioniert. Sie können ihn vermitteln!“ Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe, und ich kann mich auch nicht krampfhaft ablenken, und ich will es auch nicht. Ich sitze auf dem Sofa, vermisse jetzt schon den Hund und denke bei mir: “Vielleicht kommt Matthias zurück und hält den Hund im Arm und sagt zu mir: Alles gut, ich habe ihn wieder zurückgebracht.“

      Die Zeit verläuft zäh, immer wieder blicke ich auf die Uhr. Endlich höre ich unser Auto kommen und laufe eilig zur Haustür.

      Er schließt die Tür auf.

      Er kommt in den Flur.

      Ohne Hund!

      Erschüttert nehme ich die Tatsache wahr, dass mein Ritter auf dem weißen Pferd für mich keinen schwarzen Hund im Arm hält. Es ist alles doch Realität.

      Heulend gehe ich zum Sofa.

      „War die Entscheidung richtig? Was sollen wir machen?“

      Da sagt Matthias den ganz entscheidenden Satz.

      „Gib ihm eine zweite Chance. Jeder hat eine zweite Chance verdient!“

      Das stimmt mich auf einmal froh und wir sagen aus einem Mund: „Ja, das machen wir, jeder verdient eine zweite Chance!“

      Zwei Tage lang gebe ich mir noch Bedenkzeit, dann halte ich es nicht mehr aus und stehe erneut pünktlich um 14:30 Uhr vor dem Tierheim, um Wuschel abzuholen. Zum Glück war er noch nicht vermittelt worden. Herr F. übergibt mir den Hund zum Gassi gehen, und als Wuschel mich sieht, freut er sich wie verrückt.

      Die zweite Chance

      Ich weiß, dass ich jetzt eine andere Einstellung zu Wuschel bekommen muss. Wenn er bei uns bleiben soll, dann werde ich seine Anwesenheit mit allem Wenn und Aber akzeptieren. Ich werde in diese Aufgabe schon hineinwachsen, dafür bin ich zu gewissenhaft.

      Nun haben wir uns entschieden, dass er bei uns einziehen wird und mich stimmt die Aufgabe, mich um den kleinen Hund zu kümmern, sehr positiv. Am nächsten Tag gehe ich in die Buchhandlung, besorge mir entsprechende Hundeliteratur und versinke gemütlich lesend zu Hause im Sessel. Ich nehme einen Schluck Tee und sage zu Matthias: „Hier steht, dass man dem Hund klare Regeln geben muss, sonst übernimmt er die Verantwortung. Das stresst ihn dann aber. Wichtig ist auch, nicht an einem Tag „Hüüh“ zu sagen und am anderen Tag „Hott“. Im Prinzip ist es wie bei Charly, dem hatten wir auch klare Grenzen aufgezeigt und das hatte wunderbar geklappt.“

      Ich bin voller Tatendrang und weiß gar nicht, welches Buch ich zuerst verinnerlichen soll. Die Hundeerziehung ist mir im Moment genauso wichtig wie das Lernen über den Hund, was er meint, seine Mimik, seine Bedürfnisse.

      „Wuschel, komm mal her. Ich muss jetzt ganz viel über dich lernen. Wir wollen es doch richtig machen, damit wir uns alle wohlfühlen.“ Er trabt auf mich zu, setzt sich schwanzwedelnd vor mich hin, und ich würde etwas dafür geben, wenn ich seine Gedanken lesen könnte. Das Feuer im Kamin knistert. Wuschel gähnt und streckt sich. Dann legt er sich hin und fällt mit einem wohligen Grunzen auf die Seite, schließt die Augen und kurze Zeit später zucken seine Pfötchen im Schlaf.

      „Du kannst leider heute noch nicht bei uns bleiben, es ist noch immer ein Probewohnen.“

chapter11Image1.jpeg

      Ich sehe auf die Uhr, wir müssen ihn bis 18 Uhr zum Tierheim zurückbringen.

      Ich hatte mit Herrn F. ausgemacht, dass wir den Hund erst im Februar zu uns holen können, denn dann ist der Umbau abgeschlossen und Wuschel kann offiziell einziehen. Wir haben als Einzugstag den 23. Februar anvisiert. Dieser Tag ist für mich leicht zu merken, da an diesem Tag meine Schwester Geburtstag hat, und da wir von Wuschel nicht wissen, wann er geboren wurde, geben wir ihm den 23.Februar als seinen Geburtstag.

      Die verbleibenden zwei Stunden zu Hause genießen wir gemeinsam mit dem Hund und würden sein Hiersein am liebsten hinauszögern, aber die Uhr läuft erbarmungslos weiter. Nun wird es Zeit aufzubrechen, um ihn am Tierheim abzugeben, wenn wir uns nicht den Zorn von Herrn F. zuziehen wollen, nur weil wir unpünktlich sind. Als wir dort ankommen, begrüßt uns das übliche laute Hundegebell. Kein Wunder, dass Wuschel bereits eine heisere Stimme hat, denn jeder bellt jeden an. Die Hunde sind immer extrem aufgedreht, wenn sie wissen, dass die Gassi-Geher kommen, oder wenn es Fressen gibt. Die Lautstärke ist selbst für menschliche Ohren unangenehm. Wie muss es erst den Hundeohren ergehen? Noch im Kofferraum leine ich Wuschel an, hebe ihn aus dem Auto, gehe zur Klingel und läute.

      Es kommt niemand.

      Wir stehen vor der verschlossenen Tür des Tierheims und warten geduldig. Und warten und warten. Selbst Wuschel dauert es zu lange, und plötzlich erhebt er fordernd, aber nicht laut, seine Stimme und bellt.

      „WAU, WAU!“

      Eine Minute später, erscheint Herr F. Wir geben ihm den Hund, nicht ohne dass ich noch einmal liebevoll über Wuschels Rücken streiche.

      „Mach’s gut, mein Kleiner, bis morgen.“

      Auf dem Weg zu unserem Auto, sage ich zu Matthias: „Bin ich froh, wenn wir ihn zu uns nehmen! Jedes Mal dieser Abschied, er weiß doch gar nicht, wohin er nun wirk-

      lich gehört? Ins Tierheim oder zu uns? Es ist ja nicht mehr lange bis zum 23. Februar.“

      Matthias hängt genauso wie ich seinen Gedanken nach.

      Als wir bei uns ankommen, erscheint uns das Haus bereits leer ohne Wuschel. Es ist unglaublich, wie schnell man sich an ein Tier gewöhnen kann.

      Jetzt fiebere ich dem Hundeeinzug entgegen und zähle quasi die verbleibenden Tage bis zum 23. Februar rückwärts. Unser Umbau nimmt uns sehr in Anspruch, und wir nutzen die Zeit umso intensiver, wenn wir Wuschel für die Nacht ins Tierheim zurück gebracht haben.

      Wir räumen den Dreck aus der oberen Etage weg, der alte Teppichboden muss zur Mülldeponie und Matthias rollt ihn zusammen. Ich biete mich an, diese Aufgabe zu übernehmen, er packt mir den ganzen Müll in den Kofferraum. Wir liegen gut in der Zeit, es ist Samstagnachmittag, und wenn wir alles erledigt haben, wollen wir uns auf den Weg zu Marlies, meiner Freundin machen, die heute ihren Geburtstag feiert.