Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


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gute Nacht wünsche ich Ihnen.“ Heinrich war auch schon lautlos von der Terrasse und aus dem Raum gegangen. Enno legte sich entspannt zurück, wärmte mit einem brennenden Streichholz seine Zigarre von der Unterseite an und entbrannte diese. Er schaute dem wohlriechenden und im wahrsten Sinne des Wortes kostbaren Rauchkringel in der Luft zu. Enno nahm die Einladung und öffnete den Umschlag. Er kannte schon die schwungvolle Handschrift von Mechthild Brunckhorst. Das war die Ehefrau von Theo Brunckhorst aus Worpswede. Den Theo Brunckhorst lernte Enno sozusagen beruflich kennen. Denn Enno war nicht nur ein Graf und Professor, nein, er hatte eine noch viel größere Leidenschaft in seinem Leben entdeckt. Damit wurde er inzwischen auch auf eine nette sowie liebevolle Art und Weise von seiner Familie aufgezogen. Die alten Hinterlassenschaften wie Scherben der Römer mussten bisher immer für Hänseleien über ihn bei Familienfeiern herhalten. Die Variationen dafür schienen unendlich bei seiner Familie zu sein. Speziell seine von ihm geschätzte Nichte Brigitta von Höhenhaus, konnte hier sehr phantasievolle Abhandlungen zum Besten sowie zum Schmunzeln der Gesellschaft bringen. Auch mit seinem neuen Hobby, wie seine Nichte bemerkte, hatte sie ihren großen Spaß am Necken. Enno von Höhenhaus hatte für sich die Aufklärung von ungelösten Kriminalfällen entdeckt, er selber nannte sich ganz bescheiden einen Privataufklärer. Den Begriff Privatdetektiv mochte er nicht besonders, das sah so nach Schlapphut, dunkler Sonnenbrille mit dampfender, gebogener Pfeife im Mund und hochgezogenem Trenchcoatmantelkragen sowie Blicke in alle Richtungen aus. Nein, Enno liebte besonders die Fälle, die hart wie Nüsse waren und wo er etwas zu knacken hatte. In dieser Tätigkeit begegnete ihm auch Theo Brunckhorst. Der war seinerzeit der Vizepolizeipräsident der Polizeiinspektion von Rotenburg an der Wümme und Zeven. Die Personalpolitik des Innenministeriums in Hannover war in seinem Fall nicht ganz nachvollziehbar. Der amtierende Polizeipräsident war sehr lange krankheitsbedingt nicht im Dienst und Theo Brunckhorst vertrat ihn, dabei machte er seine Arbeit sehr gut. Theo war als Vorgesetzter bei seinen Beamten sehr beliebt. Seine Beamten waren mit seiner Führung glücklich und sie erledigten engagiert ihre Arbeit. Als dann die Beförderung von Theo zum Polizeipräsidenten anstand, stellte jemand vom Personaldezernat in Hannover fest, dass dieser ja bereits Pensionsnah war und wenn er jetzt befördert werden würde, stiegen demnach ja auch automatisch seine Pensionsansprüche. Schlau wie die Innendienstler waren, wollte man doch gleich einen jüngeren Beamten aus dem höheren Führungskader nehmen. Man entschied sich tatsächlich für einen weitaus jüngeren Beamten, der somit auf den Posten des Polizeipräsidenten von Rotenburg und Zeven befördert wurde. Natürlich war die Enttäuschung bei Theo sehr groß, er hegte aber nach einiger Zeit keinen Groll mehr und machte seine Arbeit engagiert wie bisher weiter. Irgendwann gefiel ihm die Art seines neuen Vorgesetzten mit dem Umgang seiner Untergebenen nicht mehr. Theo musste sich schon wundern, wie ein junger, intelligenter Mensch mit einer guten Schulbildung und einer sehr guten Ausbildung bei der Polizei sich so auf das Niveau eines brüllenden Hauptmannes auf dem Kasernenhof aus der Kaiserzeit herabließ. Seine Untergebenen waren schließlich überwiegend gestandene Beamte, die in der Verbrechensbekämpfung etwas vorweisen konnten und auch die angehenden neuen, jungen Kollegen sollte man respektvoll behandeln, auch wenn mal etwas nicht ganz so reibungsvoll klappte. Theo hatte viele und lange Gespräche mit seinem neuen Vorgesetzten geführt. Er konnte ihn aber in seiner Haltung nicht ändern. Bei einem guten Glas Rotwein besprach er in seinem schönen großen Haus in Worpswede den Fall mit seiner Frau, die auf ihrem Anwesen eine Mal- und Künstlerakademie mit interessanten Lehrern aus ganz Deutschland mit angrenzendem Hotel betrieb. Vorher war seine Frau eine leitende Polizeidirektorin im Lagezentrum der Polizei in Hannover. Sie hatte sich für die Altersteilzeit entschieden und verwirklichte damit ihren Lebenstraum einer Mal- und Zeichenschule mit eigenem Hotel als Künstlerakademie in Worpswede.

      Sie trank einen Schluck Rotwein, nein sie nippte wie immer an dem Glas, wartete etwas, wahrscheinlich wie sich der Wein im Mund anfühlte und sie sah ihn aufmerksam an. Wie auch sonst war ihr Rat kurz und knapp: „Deine Pension ist sicher, du hast keine Abzüge zu erwarten und reiche doch einfach deine Versetzung zu höheren Aufgaben in dem Hotelgewerbe nach Worpswede ein, denn ich brauche hier dringend einen guten Portier und Kofferträger.“ Sie lachte und ihre Grübchen sahen aus wie früher. Er musste in solchen Fällen immer auf ihre Grübchen schauen, wie seinerzeit, als er sie kennenlernte. Damals sagte sie: „Wo starren Sie hin? Sehen Sie mir ruhig in die Augen.“ Er wurde damals sicher das erste Mal in seinem Leben richtig rot im Gesicht. Nun gut sagte er wieder, hielt sein Rotweinglas in der Hand: „Warum auch nicht, aber ich setze als Page kein Käppi auf, eine Uniform habe ich ja vom Dienst her im Schrank hängen.“ Sie mussten beide herzlich lachen. Sie stießen mit den Gläsern an und ein leises klingendes Geräusch war zu hören. „Auf den neuen Pagen für den Fahrstuhl ohne Käppi“, sagte sie weiter lachend. Sie beugte sich nach vorne und gab ihrem Mann einen Kuss auf die Wange.

      Durch eine gute berufliche Zusammenarbeit kamen sich Enno und Theo freundschaftlich näher. Auch die Malschule seiner Ehefrau fand Enno sehr interessant. Er hörte sich einige Vorträge über die Kunst des Malens und der Bildhauerei an. Manchmal musste einer einem die Schleier von den Augen nehmen und man war sehr erstaunt, welche Interessen jemand plötzlich entwickeln konnte oder welche Neigungen zur Malerei in einem steckten. Wenn man dann von Bekannten nach einem Mallehrgang bei der Besichtigung seines Werkes hörte, oh, das hast du gemalt, das finde ich ja richtig gut. Man fühlte sich schon wie ein kleiner Künstler. Enno nahm sich vor, auch einmal bei ihr einen Mallehrgang zu belegen. In langen und vielen Nächten diskutierten sie bei einem guten Tropfen Wein über die Kunst und mit Theo diskutierte er viele Gespräche über die Kriminalistik. Die Familie Brunckhorst war auch schon oft bei Enno auf dem Anwesen in Trochelwarft eingeladen. Auf Partys lud man sich gegenseitig immer wieder ein. Es stimmte schon, man kam sich freundschaftlich näher und sie fühlten sich miteinander verbunden. Seit der damaligen Entscheidung, den Polizeidienst zu quittieren und das mühselige Leben, wie Theo lachend Freunden gegenüber einmal bemerkte, das Leben eines Pensionärs, natürlich nicht als Rentner, das sind die anderen, zu beginnen, war schon einige Zeit vergangen. Theo musste sich neu sortieren, denn er wollte um alles in der Welt nicht auf einer Parkbank mit Taubenanschluß zum Füttern enden. Er stellte sich auch vor, wie er auf einer Parkbank in Worpswede saß, um einmal den Touristen in der Hauptstraße wehmütig nachzublicken. Wenn keine Touristen in Worpswede vorhanden waren, würde er mit seinen neuen gefiederten Freunden reden und sie füttern. Ihr seid alles, was ich habe und ihr versteht mich mit meinem gebrochenen Herzen, keiner mag mich. Keiner hat mich richtig lieb. Was er von seiner Frau erntete, war ein nachdenklicher und sorgenvoller Blick für seine Zukunft als Pensionär.

      Also, es wurde als Pensionär kräftig in die Hände gespuckt und angepackt. Das Hotel sollte erweitert werden und dazu sprachen sie einen befreundeten Architekten an. Die Zeichnungen sowie die Hotelerweiterung wurden unter der Aufsicht des Herrn Baurates Theo Brunckhorst vorgenommen. Auch wenn beim Haare raufen die letzten Büschel bei Theo für den Neuanbau zum Opfer fielen, weil nicht alles auf Anhieb klappte, war er zum Abschluss recht zufrieden. Das Hotel war noch schöner und heller als vorher. Das großzügige neue Atelier war schon ein Hingucker für sich. Die angereisten Gäste für die Malkurse blieben erst einmal staunend in der Tür zum Atelier stehen. Das ganze Ambiente des Hotels und auch die Außenanlage mit den alten großen Bäumen, die ausreichend Schutz vor der Sonne gaben, waren einfach ein Genuss. Hier konnte man in Ruhe ungestört malen sowie bildhauerisch unter einer Anleitung von Fachleuten tätig werden. In der neuen angebauten Werkstatt wurden auch qualifizierte Töpferkurse angeboten. Hier war ein kreatives Auftanken möglich, denn nur an einem sonnigen Strand zu liegen, konnte auch für eine gewisse Zeit schön und erholsam sein. Doch viele Leute hatten eine innere Freude und Zufriedenheit daran, wenn sie ihr Meisterwerk betrachteten und zuhause zeigen konnten. Einige angehende Künstler und auch richtige Künstler hatten ihre Werke hier aufgehängt. Im Skulpturengarten auf dem Anwesen standen schon einige ansehnliche Kunstwerke, die auch von der Fachwelt durchaus bewundert wurden.

      Am nächsten Tag stand Enno sehr spät auf, nach dem Frühstück ging er in seine Bibliothek und vorher sagte er Heinrich Bescheid, dass er die Einladung von Frau Brunckhorst annehmen wollte. Heinrich möchte ihn bitte gegen Nachmittag zu den Brunckhorst fahren. Das Mittagessen und das Abendbrot für ihn fielen demnach aus, das möchte er bitte der Köchin Hiltrud mitteilen. Durch die Abwesenheit von einigen Tagen war eine Menge an Post eingegangen und Enno wollte bis zur Abfahrt noch einiges aufarbeiten. Auch wollte er wichtige Notizen