Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


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bei den Naujoks hielt nie lange an, seine Schwester war eben sehr temperamentvoll und er war das genaue Gegenteil davon. Beide waren nie verheiratet und aus praktischen sowie wirtschaftlichen Gründen wohnten sie zusammen.

      Friedo Naujoks öffnete das Fenster in seinem Büro wie jeden Morgen und sah den spielenden Kindern auf der Straße zu. Eben fuhr die sogenannte grüne Minna der Justizverwaltung aus der nahe gelegenen Justizvollzugsanstalt vor und einige Personen wurden unter Bewachung in das Gericht geführt. Diese Personen bekamen heute ihren Prozess. Entweder fuhren sie mit der grünen Staatskarosse retour in ihr Staatshotel oder sie benutzen ein anders Fahrzeug mit einem Taxischild auf dem Dach. Je nachdem, wie es heute für sie laufen würde. Friedo Naujoks hatte heute keinen Schlachttag, wie die Juristen ihre Gerichtstermine despektierlich nannten. So hatte wohl jede Berufsgruppe ihre internen Bezeichnungen, die nicht für jede zarten Ohren geeignet waren. Er wollte gar nicht wissen, wie die Bestatter ihre Termine nannten. Er schloss leise das Fenster wieder, nahm die Akte mit dem roten Deckel und schlug diese auf.

      Unbekannte Todessache Daniel Böttcher aus Nienburg an der Weser. Er las sich den Bericht der Schutzpolizei und die Zeugenberichte durch. Weiter prüfte er den ausführlichen Bericht der Kriminalpolizei. Diese vernahmen die Eltern sowie Freunde des Daniel Böttcher. Dem Bericht waren zahlreiche Farbfotos von dem Unglücksort und von der Leiche beigelegt worden. Friedo Naujoks nahm eine stake Lupe zuhilfe, um sich Details auf den Fotos genauer anzusehen. Mit dieser Methode der akribischen Untersuchung hatte er schon manche Details aufgedeckt, die von den Fachleuten der Ermittler schlicht übersehen wurden. Eine Kleinigkeit auf einem Foto an dem Tatort hatte ihn schon bei weiteren Nachprüfungen geholfen, einen Täter mithilfe der Kripoleute zu überführen.

      Die Leiche des Daniel Böttcher lag noch bei dem Beerdigungsunternehmen in der Kühlkammer und diese wurde von ihm vorerst beschlagnahmt. Die Mutter des Daniel rief schon einige Male bei seiner Sekretärin der Staatsanwaltschaft an und sie wollte die Beerdigung ihres Sohnes planen, weil einige Verwandte aus Kanada zur Bestattung anreisen mussten. Friedo Naujoks war wieder ganz in dem Element eines Juristen, der häusliche Ärger war verflogen und er überlegte. Dabei nahm er aus seiner Pfeifentasche eine erst vor kurzem neu angerauchte englische Pfeife mit einer feinen hellbraunen bis rötlichen Maserung heraus. Die Pfeife hatte den Namen Wooden Block. Das bedeutete zwar Holzklotz, doch so grob war diese edle Pfeife natürlich nicht. Sie lag tatsächlich mit dem großen runden Kopf gut in der Hand. Diese Pfeife war in der Herstellung sehr aufwändig und gut in der Polierung des Pfeifenkopfes. Alles war reine Handarbeit. Er wählte einen wohlriechenden englischen Tabak aus, es sollte ja alles aus dem englischen Hause sein. Friedo öffnete die Tabakverpackung und roch an dem wundervollen Tabak, danach stopfte er die Pfeife. Als Pfeifenraucher roch man erst selber den angebrannten Tabak, wenn man das Zimmer verließ und schnuppernd wieder das Zimmer betrat. Friedo Naujoks blieb aber sitzen und brannte sich seinen Knösel, wie er immer sagte, an. Wunderbar dieser herrliche Duft, dabei war der Tabak sehr mild auf der Zunge. Ein junger Kollege klopfte an, steckte kurz den Kopf in die Tür und begrüßte ihn. Friedo Naujoks war sein Vorgesetzter und dieser junge Mitarbeiter sollte sich sputen, sein Auftritt im Gerichtssaal nahte. Friedo wünschte ihm viel Glück für seinen Prozess. Die Tür schloss sich und er suchte die Telefonnummer des Bestatters aus seinem Register heraus und griff zum Telefon. Er hatte sich entschlossen, aufgrund der völlig ungeklärten Todesart eine Obduktion der Leiche von Daniel Böttcher vornehmen zu lassen. „Mal sehen“, dachte Friedo, als er auf das Freizeichen des Bestatters am Telefon wartete: „Was der wohl in seinem internen Terminus sagen würde, wenn er jetzt von meiner Entscheidung hörte, die Leiche des Böttcher zur Gerichtsmedizin nach Hannover zu fahren.“ Es meldete sich jemand mit einer gar nicht traurigen weiblichen Stimme. „Beerdigungsinstitut Brühl, guten Morgen, mein Name ist Maria Brühl.“ „Guten Morgen, hier ist der leitende Oberstaatsanwalt Naujoks von der Staatsanwaltschaft Nienburg an der Weser, Frau Brühl, Sie haben dort die Leiche von Daniel Böttcher verwahrt und ich habe entschieden, eine Obduktion vornehmen zu lassen und bitte fahren Sie heute noch, wenn es geht, die Leiche zur Gerichtsmedizin nach Hannover. Mein Büro schickt Ihnen gleich wie gehabt die Papiere per Fax zu.“ „Ist recht, das machen wir noch heute“, sagte Frau Brühl fröhlich und verabschiedete sich. Friedo Naujoks sah verblüfft über so viel Fröhlichkeit in seinen Hörer und führte ein weiteres Gespräch mit der Gerichtsmedizin in Hannover.

      In Verden an der Aller stand vor der Albertus Kathedrale bei leichtem Nieselregen Dieter Kluth als Pantomime verkleidet. Er verkörperte Heinrich den Achten. Sinnigerweise hatte er diesen mit einem Hackbeil auf seinem Sockel präsentiert. Der Begriff Sockel war nicht ganz richtig, es war schon ein richtiger Podest, den der Meister stehend benutzte. Den hatte er sich selber gezimmert und mit Stoffen aus dem Schlussverkauf gekonnt drapiert und so gerafft, dass es an sich ganz gut aussah. Er hatte den Sockel mit einer Klapptreppe versehen. Im Innenraum war reichlich Platz für seinen Rucksack und eine kleine Kiste Saft. Das sagte er immer, in Wirklichkeit war in den Saftflaschen Bier abgefüllt. Es war ihm schon mehrfach passiert, dass er beim Betreten seines Arbeitsplatzes stolperte und nach vorne von seinem Sockel fiel. Sofort hatte ein Rentner einen Rettungswagen gerufen, was ihm gar nicht recht war. Die Sanitäter rümpften auch die Nase und einer sagte zu ihm, du solltest hier nicht als Vogelscheuche stehen, sondern lieber als Bierflasche. Mit Bügelverschluss, bemerkte sein Kollege lachend. Als Vogelscheuche, grollte Dieter Kluth den Sanitätern hinterher, sehen die nicht, dass ich eine historische Figur als Heinrich den Achten abgebe? Diese Geschichtsignoranten. Dabei wäre die Platzwunde mit dem Blut im Gesicht und dem Hackebeil für das Stehgeschäft doch nicht schlecht, so etwas fiel doch gruselig auf. Er machte weiter, denn er hatte seine feste Dienstzeit mit sich vereinbart, schließlich war man ja auch in der Pantomimenvermittlungsgesellschaft in Brüssel Mitglied und dafür hatte er auch ganz ordentlich gezahlt. Den tollen Schminkkasten, den es gratis gab, benutzte er fleißig. Super gut fand er das top coole Folienbatterieteil, das er unter seiner Kleidung mit Klettverschlüssen oberhalb seines Nackens auf der Haut ganz nach Vorschrift befestigte. So konnte er mit Solarstrom den ganzen Tag Musik hören, während er still stand. Er konnte aber nicht immer still stehen bleiben, denn wenn Passanten ihm für Fotos zu nahe rückten, bewegte er sich ruckartig wie eine Maschine nach vorne. Er bückte sich schnell und zog das Hackebeil aus Plastik aus seinem Podest hervor. Danach deutete er einen Vorgang an, der das Köpfen einer seiner Ehefrauen darstellen sollte. Nun ja, wenn der richtige Heinrich aus England ihn so sehen würde, hätte der bestimmt Mitleid mit ihm gehabt. Trotz einer Ausstaffierung an seinem Bauch hatte er nicht annähernd die Figur des wirklichen Königs von England. Einmal sagte eine ältere Frau laut zu ihrem Mann, wer soll das denn sein, doch nicht etwa der Massenmörder Fritz Haarmann aus Hannover mit seinem Hackebeil? Dieter Kluth musste daraufhin von seinem Sockel herunter steigen und erst einmal ein Bier zischen. Als er den älteren Herrschaften nachrief, ich stelle Heinrich den Achten dar, drehte sich der ältere Mann um und meinte trocken, das würde ich als Schild mit diesem Namen an den Sockel hängen. Er war auch einmal bei einer anderen Kirche zu Nahe während des Gottesdienstes am Sonntag an den Eingang gerutscht. Als er gerade sein helles Bier aus der getarnten Saftflasche ansetzte, kam der Küster ganz aufgeregt herbei und gestikulierte, er solle doch mit seinem Mörderbeil woanders stehen, das ist hier ein Gotteshaus, brüllte ihn der Küster an. Dieter blieb an dem Platz stehen und die gerufene Polizei erteilte ihm ein Platzverbot. „ Na“, sagte er, „meinen Saft kann ich auch woanders auf meinem Podest trinken.“ Der Polizist meinte nur trocken, nach Ihrer Fahne zu urteilen, muss der Saft aber sehr nahe bei dem Bier im Regal des Supermarktes gelegen haben, dabei gab er die kontrollierten Papiere mit der Standgenehmigung an Dieter zurück. „ Andere tranken ihr Feierabendbier auf dem Sofa und ich eben auf dem Sockel“, dachte Dieter Kluth. Er baute seinen Stand, wie er immer sagte, eben ab und zog weiter.

      Der Nieselregen hatte in Verden nachgelassen und von der Aller her kam noch ein etwas kühler Wind auf. Dieter wollte gerade einem jungen Mädchen, offensichtlich handelte es sich um eine Touristin, mit seiner Beilnummer imponieren, als ihm die Knie wegsackten, er laut aufstöhnte und seitlich vom Sockel fiel. Danach blieb er auf dem Rücken liegen. Das Plastikbeil hatte er noch in der Hand und es sah aus, als ob sich der Henker von seiner schweren blutigen Kopfarbeit ein wenig erholen wollte und er einen Mittagsschlaf hielt, um danach genügend Kraft für die restliche Arbeit bis zum Feierabend zu haben. Das junge Mädchen ging leicht zurück. Sie sagte bewundernd: „Tolle Standnummer, wirklich cool und so echt.“ Es war aber