Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


Скачать книгу

ging mit ihrer Hündin Debby, eine schöne Colliedame, am Balkseeufer spazieren. Debby war vorschriftsmäßig der vielen Enten wegen angeleint, als diese anschlug und in das struppige, sowie dornenreiche Gebüsch wollte. Da lag etwas an dem Wegesrand, was nicht gleich zu erkennen war. Man konnte aber um das Gebüsch herumgehen, um zur Gabelung des Weges zu kommen. Frau Schmidt- Rein sah schon von weitem das Bündel liegen. Unter einem historischen Kleid blickten ein Bein und ein verdrehter Arm hervor. Es war ein junges Mädchen. Frau Schmidt- Rein beugte sich darüber und sah das grell weiß geschminkte Gesicht. Unterhalb des Gürtels ragte ein langes Kabel aus dem Kostüm hervor und an diesem Kabel war ein Handy eingesteckt. Die Augen des Mädchens waren wie von einem Schreck weit geöffnet. Da, wo sich der Mund befand, war durch das Atmen der Sand leicht weggepustet worden. Jetzt bewegte sich nichts mehr. Die Hündin von ihr hatte ihre Sitzhaltung angenommen und sie winselte leise vor sich hin. Luise Schmidt- Rein sah in die offenen Augen des jungen Mädchens und sie nahm das Handy in ihre Hand. Mit einer Buchstabenmaschine war auf blauem Plastik ein Name eingestanzt und der lautete: Türen und Luken GmbH, Gruber, Wingst. Dieser Plastikstreifen klebte auf dem Handy. Luise Schmidt – Rein betrachtete wieder die offenen Augen. Der Blick dieses jungen Mädchens richtete sich in eine imaginäre, entrückte Weite. Dieser Blick war nicht mehr von dieser Welt. Luise Schmidt- Rein ahnte es, das junge Ding war tot. Sie hielt immer noch das Handy des jungen Mädchens in der Hand und drückte die letzte gespeicherte Nummer und ließ es läuten. Dabei dachte sie nicht daran, mögliche Spuren auf dem Handy zu verwischen.

      Michael Gruber saß nach dem Fußballspiel mit seinen Freunden in gemütlicher Runde in der Vereinsgaststätte. Zwar hatte Bad Bederkesa verdient mit zwei Toren Unterschied gewonnen, doch es war ein ordentliches und kämpferisches Spiel seiner Mannschaft. Darauf konnte man doch auch stolz sein. Er bestellte noch eine Runde frisch gezapftes Bier und für jeden seiner Freunde ein eiskaltes Körnchen, denn auf einem Bein konnte man bekanntermaßen nicht stehen, als sein Handy läutete. Michael klappte sein Handy auf und meldete sich. Im Telefongespräch erstarrte er plötzlich am Tresen zur Salzsäule. Erst fiel sein Handy am Barhocker herunter und danach brach Michael Gruber zusammen. Er fiel mit dem Oberkörper wie vom Blitz getroffen auf den Tresen. Einige halbvolle Biergläser fielen klirrend um. Der Wirt rief noch, hey, so schlecht kann mein Bier aber wirklich nicht sein, da rutschte Michael Gruber auch schon von dem Tresen herunter und lag seitlich verdreht auf dem Kneipenboden in der Bierlache.

      Die Polizei aus Cuxhaven rückte mit dem kleinen Zirkus an, wie es der Leiter Hans Uckermann immer zu sagen pflegte. Sie mussten mit ihrer umfangreichen Ausrüstung bis zur Unglücksstelle am Balkssee gehen, wo Nina Gruber lag. Nina musste auf einem Baumstumpf als festen Sockelersatz zum Üben gestanden haben, als sie, aus welchen Gründen auch immer, von diesem auf den Waldweg stürzte. Äußere Verletzungen waren an ihr nicht sichtbar. Es sah schon gespenstisch aus, wie ein so junges Mädel in dem alten Brokatkleid, weiß geschminkt, sowie verdreht an diesem stillen Ort lag. Es waren keine Autospuren sichtbar, ein Hinweis auf ein Gewaltverbrechen war nicht zu erkennen. Der diensthabende Arzt konnte so keine Angaben über die tote Nina machen und Hans Uckermann telefonierte von seinem Fahrzeug aus mit dem zuständigen leitenden Staatsanwalt Möller von der Staatsanwaltschaft Cuxhaven. Dieser hatte auch von den anderen mysteriösen Pantomimen Vorfällen in Nienburg und Verden gehört. Er sagte dem Polizeibeamten Uckermann, dass die Leiche von ihm vorerst beschlagnahmt wurde und er würde wieder von ihm hören. „Das ist eine Anordnung von mir“, sagte der Staatsanwalt scharf zu Hans Uckermann am Telefon. Der Staatsanwalt hatte nicht das allerbeste Verhältnis zur örtlichen Schutzpolizei von Cuxhaven. Er wurde einmal als junger Anwärter der Staatsanwaltschaft von der Cuxhavener Polizei aus dem Überlandbus der Linie 55 nach Stade zur Überprüfung seiner Personalien mit auf die Wache genommen. Bei einer gemeinsamen Fahrscheinüberprüfung des Kontrolldienstes der Cuxhavener Verkehrsbetriebe mit der Polizei aus Cuxhaven hatte er seine Monatsfahrkarte in einer anderen Jacke zuhause vergessen. Obwohl er seine Heimatadresse und seinen Arbeitgeber, die Staatsanwaltschaft Cuxhaven nannte, musste er mitkommen. Solche Jüngelchen wie dich kennen wir, sagte damals der Polizeibeamte und steckte ihn in den Streifenwagen. Das war aber noch nicht genug, der Polizist setzte sich während der Fahrt bis zur Wache auch noch im Fond neben ihn hin. Um eine Flucht zu verhindern, meinte der Polizist während der Fahrt und blickte ihn grimmig von der Seite an. Das Ganze klärte sich in der Wache auf, nachdem ein anderer Kollege ein Telefongespräch mit dem leitenden Oberstaatsanwalt in Cuxhaven führte. Es gab aber kein Wort der Entschuldigung. Der Polizist von dem Rücksitz im Streifenwagen sagte nur süffisant, Sie können gehen Herr Staatsanwalt, aber in Zukunft haben Sie bitte vorschriftsmäßig Ihre Monatskarte dabei. Dieses Schlüsselerlebnis mussten nun stellvertretend viele Polizeibeamte im Gerichtssaal ausbaden, wenn sie als Zeugen von dem Staatsanwalt Möller vernommen wurden.

      Hans Uckermann kannte natürlich die Abneigung des Staatsanwaltes gegen ihn und seine Leute. Hans Uckermann schimpfte laut über den Staatsanwalt. Er stand hier in der Walachei und der Möller am Schreibtisch hatte es gut, der ahnungslose Robenträger. Der Staatsanwalt zog sich den ganzen Unmut zu, denn das Mädel war hier einfach im Wald an einer Krankheit gestorben, glaubte Hans Uckermann zu wissen. Der Notarzt fuhr mit Blaulicht an dem Fahrzeug von Hans Uckermann langsam vorbei und sagte bei geöffneter Scheibe der Beifahrerseite: „Wir haben einen weiteren Notfall in der Sportlerkneipe hier in Wingst, hier ist ja richtig was los.“ Dabei fuhr der Arzt die Scheibe im Notarztwagen hoch und das Martinshorn setzte infernalisch ein.

      Der Staatsanwalt aus Cuxhaven telefonierte bereits mit dem Oberstaatsanwalt, wie hier weiter verfahren werden sollte. Herr Möller schlug seinem Vorgesetzten vor, den Fall an die Sonderkommision nach Nienburg an der Weser, an den Leiter der Sonderkommission Pantomime Friedo Naujoks abzugeben. Sein Vorgesetzter wollte sich schnell der neuen Sache entledigen und stimmte zu. Der Staatsanwalt aus Cuxhaven informierte den Polizeibeamten Hans Uckermann. Er sollte schleunigst die Spurensicherung einschalten und ihm sofort einen detaillierten Bericht zukommen lassen. Die Leiche war vorläufig bis zu einer Klärung über die Zuständigkeit mit dem Leiter der Sonderkommission Naujoks in Verden beschlagnahmt und alles weiter möchte er veranlassen und unverzüglich berichten. Bis dahin soll bitte Herr Uckermann sauber arbeiten und sich keinen Fehler, wie bei dem letzten Fall erlauben, sonst würde es diesmal Konsequenzen für ihn nachziehen. Zum Glück hörte der Staatsanwalt nicht, was Uckermann sagte, als das Telefon aufgelegt wurde.

      Am späten Abend rief Monika Gruber bei der Polizei in Cuxhaven an und sie sprach lange mit dem Leiter der Kriminalpolizei. Sie war ziemlich konfus, denn sie hatte ihren Mann zu betreuen, der von den Freunden nach der Behandlung in der Sportlerklause nachhause gebracht wurde. Es ging ihm vor dem Eintreffen des Notarztes wieder einigermaßen gut und er wurde auf die lange Bank in der Kneipe gelegt sowie dort untersucht. Er konnte sich auch an die Anruferin erinnern, er sah auf seinem Handydisplay die Nummer seiner Tochter und als eine fremde Frauenstimme ihm mitteilte, woher sie anrief und das hier ein junges Mädel in diesem Kostüm tot am Balkssee lag, entschwanden ihm die Sinne. Monika wollte jetzt wissen, wo ihre Tochter war. Hans Uckermann sagte, die Kripo kommt gleich zu ihnen. Wir bringen Sie zu dem Bestatter und Sie möchten sich bitte die Leiche ansehen, ob das Ihre Tochter war oder nicht. Es dauerte nicht lange, ihr Mann saß mit gesenktem Kopf auf der Terrasse und hatte keinen Blick für die Schönheit dieser einzigartigen Geestlandschaft. Ein ziviles Fahrzeug der Polizei kam und brachte sie zum Beerdigungsinstitut Möller nach Cuxhaven. Dort warteten weitere Beamte der Kripo und zwei Mitarbeiter des Beerdigungsunternehmens auf sie. Die Eheleute Gruber wurden über den hinteren Hof in die angrenzende Sargwerkstatt geführt, wo ein Mitarbeiter beim Erscheinen der Gruppe seinen elektrischen Bandschleifer ausstellte, damit keiner gestört wurde. In einem Nebenraum war der Kühlraum und dieser hatte Platz für drei Leichen, die in den nummerierten Kühlfächern aufbewahrt wurden. Das Kühlfach Nummer drei wurde von dem Bestatter mit einer ernsten Miene aufgezogen, dabei kam fast geräuschlos ein Gestell mit einer Wanne zum Vorschein. Da lag sie in der kalten, schmucklosen Zinkwanne, ihr Sonnenschein Nina. Monika Gruber fing laut zu Schreien an. Sie hielt sich krampfartig an ihrem Mann fest und sie rief laut auf: „Das kann doch nicht wahr sein, sie war doch von zuhause gar nicht lange weg, was war los, Nina?“

      Die Mitarbeiter des Institutes stützten sie und einer zog knarrend über den Boden einen Stuhl heran. Monika Gruber setzte sich schluchzend wie in Trance auf den Stuhl. Ihr Mann starrte fassungslos in die Wanne und konnte nicht glauben, dass da seine Tochter lag.