Günther Seiler

Tod auf dem Sockel


Скачать книгу

Vorfälle. Monika wusste selber nicht, warum sie ihren Mann derartig mit diesen Vorhaltungen anging, denn diese hatten mit der aktuellen Situation nach Meinung von Michael Gruber nichts zu tun. Es war der Punkt erreicht, der in solchen Situationen immer vorkam. Es kamen die Fragen, die in der immer wiederführenden Gleichmäßigkeit ohne eine Chance auf eine klärende Antwort das Gehirn im wahrsten Sinne des Wortes der nächsten Angehörigen bis zum beginnenden Wahnsinn zermarterten. Was haben wir falsch gemacht, haben wir Hinweise zur möglichen Krankheit von ihr übersehen, warfen wir kein Auge auf ihren Umgang, hatte sie heimlich einen Freund, hatte sie Ärger in der Schule oder im Fischereibetrieb? Monika ahnte wohl bei aller Kritik an ihrem Mann, dass sie nicht zu weit gehen durfte. Unbedachte Worte in einer Mischung aus Wut und Trauer ausgesprochen, bohren sich wie Pfeile mit einer Langzeitsprengung mit Gift in die Köpfe des Anderen hinein. Das Gemisch an diesem Pfeil würde über eine ganze Zeit dosiert in den betroffenen Menschen abgegeben. Wenn man als Betroffener nicht willensstark genug war, könnte das Gift obsiegen und die Ehe weit nach der Beerdigung des geliebten Kindes seine fatale Wirkung vollbracht haben. Dann half nur noch die Trennung des Ehepaares. Sie mussten dringend mit anderen Leuten über ihre Verzweiflung sprechen, die auch notfalls als Lebensschiedsrichter einschreiten konnten. Hier in Worpswede bei den Brunckhorst waren sie gut aufgehoben. Mechthild war ja vor ihrer jetzigen Tätigkeit seinerzeit als leitende Polizeirätin im Lagezentrum in Hannover tätig. Theo war lange genug als zweiter Polizeipräsident von Rotenburg an der Wümme und Zeven verantwortlich. Diese beiden aus Worpswede saßen zwar in ihrer wunderschönen Umgebung in ihrem Garten unter Bäumen, doch das Leben kannten sie aus ihrem Polizeidienst mit allen grausamen sowie schönen Facetten her. Die Eheleute Gruber berichteten jetzt einigermaßen gefasst von ihrer Tochter.

      Nina verdiente sich im nahegelegenen Rostrumersiel in der Fischfabrik Claasen ihr Taschengeld, obwohl die Eltern sehr vermögend waren, wollte sie ihr Geld für einen neuen Roller und für ihr Studium an der Schauspielschule in Hamburg schon zum Teil selber zusammen bekommen. Das fanden ihre Eltern auch immer gut. Was war, wenn so ein Fischkopp, wie Michael die Leute in der Fabrik immer nannte, sich in Nina verliebt hatte und ihr heimlich nachstellte? Denn aus verschmähter Liebe war schon einiges im Leben zu Bruch gegangen. Das würde sie mir sagen, meinte Monika. Auch sprachen sie mit ihrem Hausarzt, ob Nina vielleicht heimlich dort war und eine ihnen unbekannte Krankheit hatte. Der Arzt konnte sie aber beruhigen. Dann kam die Idee, seine Frau sagte: „Wir haben doch durch die Fenstereinbauten mit den Brunckhorst einen ganz netten Kontakt und der Theo war ja der zweite Polizeipräsident von Rotenburg gewesen und der kann uns doch mit seinen Verbindungen und Erfahrungen sicher helfen, bevor wir hier langsam ganz verrückt werden und unsere Ehe darüber noch zerbricht, vor lauter Vorwürfen, die wir uns jetzt schon machen.“ Michael zeigte mit dem Finger auf sie und sagte: „Toll, das machen wir sofort, ich kann ohnehin keinen klaren Gedanken fassen.“ Die Brunckhorst hatten Zeit und sie kannten die kleine Notiz aus der Zeitung. Es war aber dort von einer unbekannten plötzlichen Krankheit einer jungen Frau die Rede. „ Wo die das von der Zeitung nur her hatten“, dachten auch die Gruber, als sie diese Notiz lasen.

      Theo und Mechthild hörten den Erzählungen der Beiden zu, die aus sich heraus ihren ganzen Kummer sprudeln ließen und es war manchmal schwierig, ihnen zu folgen. Neben Kaffee und duftendem Rosinennapfkuchen, selbst gemacht nach Omas Rezept, wie Mechthild beiläufig bemerkte, standen vor ihnen ein guter Cognac und Michael trank einen großen Schluck davon. Monika Gruber nippte nur daran und sie musste husten. „ Ist der stark, aber gut“, sagte sie mit heisererer Stimme. Als die Erzählungen der Gruber endeten und Monika still in ihr Taschentuch weinte, sagte Theo Brunckhorst: „Von der polizeilichen Sicht zum momentanen Sachstand wird wenig zu sagen sein. Die Staatsanwaltschaft ist sich nicht sicher, was hier vorgefallen ist. Habt ihr gewusst, dass in Nienburg an der Weser und in Verden an der Aller auch zwei junge Pantomimen wie aus heiterem Himmel vom Blitz getroffen wurden und vom Sockel fielen, als sie in der Fußgängerzone oder vor einer Kirche standen?“ Die Eheleute sahen sich verständnislos an und waren erstaunt. „Nein, das wussten wir nicht, ist da irgendeiner unterwegs und bringt auf eine perfide Art die junge Menschen um?“, fragte Michael und er bekam eine Gänsehaut. Theo erwiderte: „Das weiß ich nicht, aus diesem Anlass wird aber die Staatsanwaltschaft wichtige Gründe haben, um die Sache über die ihr unterstellte Kriminalpolizei zu klären. Die Kripoleute sind nämlich die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft. Ich bekomme als Pensionär und ehemaliger zweiter Polizeipräsident von der Staatsanwaltschaft nicht so ohne weiteres Informationen zu einem laufenden Fall, da sind die ganz eigen.“ „Was könnten wir tun, um den netten Gruber in ihrer verzweifelten Lage zu helfen, sollten wir nicht Enno bitten, was zu tun ist?“, sagte Mechthild und traf den Nagel auf den Kopf. Theo meinte: „Wir hätten für euch bestimmt eine Lösung. Auf unserer letzten Party war ein Gast aus dem nahegelegenen Trochelwarft bei uns, den habt ihr sicher gesehen. Das war ein gut aussehender relativ großer Mann mit dunklen Haaren mittleren Alters. Es war der Graf Enno von Höhenhaus, vielleicht ist euch sein Fahrzeug noch vor unserer Einfahrt in Erinnerung, das war ein langer Schlitten, eine amerikanische Stretchlimousine.“ „Ja, ja, das haben wir, Michael sagte noch, das ist ja ein doller Schlitten“, sagte Monika ganz aufgeregt. Sie vergaß sogar für einen Augenblick ihre Tränen. „ Dieser von Höhenhaus ist ein richtiger Honorarprofessor für römische Geschichte. Er ist nicht nur ein richtiger Graf mit Brief und Siegel, sondern auch ein ganz engagierter Hobbydetektiv, auch wenn er lieber Privatermittler hört. Mit dem sind wir befreundet. Über den Preis seiner Arbeit müsstet ihr euch einigen. Der fährt für seine Fälle überall hin, nur um die zu klären, falls es nötig ist. Ich für meinen Teil würde gerne mitmachen. Wir müssen aber vorher sehen, ob und was an der Sache überhaupt dran ist.“ Theo beendete seinen Vortrag und die Gruber stimmten zu.

      Kapitel 7 Magazin T

      Enno saß an diesem schönen Tag mit seinen Freunden unter dem reetgedeckten Vorsprung seines geliebten Heidehäuschens, obwohl es ein ausgewachsenes Haus war. Er schmauchte an seiner Pfeife einen gut riechenden Tabak. Heinrich hatte zusammen mit Hiltrud ein großes Frühstücksbüfett auf der unterdachten Terrasse aufgebaut. Hiltrud war schon seit Tagen mit den Vorbereitungen beschäftigt. Enno unterhielt in diesem Heidehäuschen ein zweites Büro und er dachte schon den ganzen Vormittag, sozusagen in Klausur, über das momentan wichtigste Thema für ihn nach. Er hatte dazu vor Tagen auch mit Freunden schon mehrere Telefonate geführt. Dieses aktuelle Thema hatte in vielen langen Nächten, die einige gute Zigarren und diverse Pfeifeninhalte verschlangen, sowie einige gute Tropfen Rotwein und gute Cocktails seinen Überlegungen bisher zum Opfer fielen. Die vielen Überlegungen von ihm waren vorher eher vage bis nebulös gewesen. Jetzt hatten sich schon festere Formen herausgebildet. Er wollte sich als Herausgeber und Autor versuchen. Weiter sollten gute Autoren, nein, exzellente Fachleute für verschiedene Gebiete gewonnen werden, die das Leben erst so richtig lebenswert machten. Zugegeben, er fragte sich kritisch, ob er, da er ja finanziell sehr gut dastand und sein Vermögen sehr beachtlich war, nicht aus Langeweile ein neues Betätigungsfeld suchen würde. Diese Frage verschob er und die Antwort überließ Enno Anderen. Wo kam man in der Welt hin, welchen Fortschritt würde es geben, wenn man nur auf seinem Bettenrost sitzen würde um zu sehen, wie der eigene Bart immer länger wurde? Stillstand im Leben. Kein Fortschritt war die schlichte Antwort. Ob man nun seine umgesetzte Idee auch wirklich brauchen würde, sei auch dahingestellt. Auch diese Antwort überließ er Anderen. Es ging um eine Hochglanzzeitschrift der gehobenen Klasse mit dem Namen „Magazin T“, das alle drei Monate erscheinen sollte. In dieser Zeitschrift, besser war Magazin, sollten von verschiedenen deutschen sowie internationalen Autoren über alte wirklich gute Autos der gehobenen Klasse, Länder, Ländereien, Weine, Diamanten, Gemälde, Schlösser und Burgen und natürlich über Speisen der Top Restaurants berichtet werden. Enno wollte den richtigen Wurf wagen, denn die warnenden Stimmen kamen sicher wie die Störche im Frühling nach Trochelwarft. Die erste Ausgabe sollte mit einem Hauptbericht aus Brasilien mit der Diamantenförderung beginnen. Weiter sollten in dieser Ausgabe Berichte über schöne Diamanten von Südafrika, Namibia, Botswana bis Australien die Leser in ihren Bann auch durch gestochen scharfe Hochglanzfotos ziehen. Das Diamantenthema würde aber in anderen Ausgaben des Magazins in lockerer Reihenfolge weiter behandelt werden. Für die zweite Ausgabe wollte er als einen roten Faden Steaks aus Argentinien der besonderen Art für das Hauptthema aufgreifen. Hier konnten nun Fachleuten